Uwe Schimunek

Mord auf der Messe


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Herren von der Presse etwas mitteilen …» Eggebrecht sprach, als ginge ihn die Sache nichts an.

      Bölke sagte: «Und Herr Katzmann, was wissen Sie über die Leiche?»

      «Es ist der Ober aus dem Bierrestaurant im Krystall-Palast. Wir haben dort getrunken und plötzlich nichts mehr bekommen.»

      «Und dann haben Sie mal vor der Redaktion geschaut, ob die Bedienung dort wartet?» Bölke lauerte, keine Spur von Humor in der Stimme.

      «Wir haben bei einem anderen Ober bezahlt und wollten dann die Messetermine durchgehen. Kollege Eggebrecht ist heute erst in Leipzig ankommen.»

      «Im Übrigen könnte es sein, dass Ihnen der Zettel dort mehr Antworten geben kann als wir.» Eggebrecht zeigte auf den Leichnam.

      «Und was steht drauf?»

      «Ich hatte gehofft, dass Sie fragen, Herr Polizist! Denn wenn Sie das wissen wollen, werden Sie das Papier bestimmt gleich an sich nehmen und etwaige Worte lesen. Und dann können Sie meinem Freund von der Presse sagen, was drinsteht. Ich hatte nämlich einige Mühe, ihn davon abzuhalten, im Vorfeld Ihrer Ermittlungen seiner Chronistenpflicht nachzukommen.» Eggebrecht zwinkerte Bölke zu.

      Er war auf dem gefährlichen Weg der Provokation, fand Katzmann. Immerhin ermöglichte das ihm selbst, die Rolle des Geduldigen zu spielen.

      «Wie kommen Sie zu der Ansicht, dass ich Ihnen etwaige Informationen mitteile?» Bölkes Schnurrbart schob sich nach vorn, mit diesem Gesichtsausdruck erinnerte der Oberkommissar an eine Robbe im Zoo. Er winkte einen Beamten herbei, befahl, den Zettel zu sichern, und sagte: «Sie entschuldigen mich bitte kurz.»

      Bölke, sein Kollege und der Zettel verschwanden am Dienstkraftwagen der Kriminaler.

      Die anderen Polizisten schienen mit ihrer Arbeit langsam fertig zu werden. Sie trugen Tütchen mit Dingen, die sie vom Boden aufgelesen hatten, zum Wagen: Krümel, Schmutz, Steinchen. Wahrscheinlich hofften sie, in dem Unrat Hinweise zu finden – worauf, wollte Katzmann nicht so recht klarwerden. Die Polizisten verstauten Beweismittel, Werkzeuge, Taschen und Zeichnungen im Kofferraum. Bölke stand mit dem Zettel neben dem Kollegen an der Beifahrertür. Die beiden sprachen so leise, dass Katzmann nichts verstehen konnte.

      «Ob der uns was sagt?» Eggebrecht fragte ebenso leise.

      «Hm, keine Ahnung. Sieht aus, als wüsste er es auch nicht so genau …»

      Der zweite Beamte stieg in den Kraftwagen. Bölke blieb draußen stehen, zog die Dienstmütze tiefer ins Gesicht. Dann drehte er sich um und kam herüber. Er hatte in den letzten Jahren immer mehr Speck auf die Hüften bekommen. Katzmann hatte das Gefühl, dass der Polizist in zehn Jahren zum Dienst rollen könnte, wenn er es bis dahin nicht in die Rente schaffen würde.

      «Kennen Sie die Blei-Bande, Herr Katzmann?»

      «Blei-Bande? Hm … Nein, ist mir noch nicht untergekommen.»

      «Letztes Jahr zu den Messen haben alle Kleinganoven vor einer neuen Bande gebibbert. Es war kaum was aus den Halunken herauszuholen. Die meisten hätten lieber ihre Zunge verschluckt, als einen Ton zu sagen.» Bölke schob die Mütze am Schirm nach hinten, über die Stirn zogen sich tiefe Falten. «Das Vögelchen, das ein paar spärliche Verse gesungen hat, hing tags drauf in der Gefängniszelle.»

      «Und warum erzählen Sie uns das?» Eggebrecht hatte wieder den Ton des unbeteiligten Zugereisten drauf.

      «Auf dem Zettel stand eine Botschaft. Vermutlich von der Blei-Bande. Da der Tote vor Ihrer Redaktion lag, mache ich mir Sorgen um Sie.»

       Sonntag, 28. Februar 1926

      ELEKTRISCHES LICHT ist eine praktische Erfindung. Mittels der richtigen Glühlampe und einer geeigneten Reflexionsfläche lässt sich die Helligkeit hervorragend steuern. Zum Beispiel kann ich morgens vor meinem Gespräch einen Lichtschein erzeugen, der es mir ermöglicht, mein Gegenüber zu blenden. So sehe ich ihn, aber er mich nicht.

      Überhaupt ist die Elektrizität eine großartige Sache. Mit Mikrophon, Verstärker und Lautsprecher lässt sich meine Stimme unkenntlich machen. Ich klinge, als hätte ich einen schweren Katarrh. Es hört sich so gruselig an, dass ich bei der Mikrophonprobe eine Gänsehaut bekommen habe. Diese Verstärkeranlage ist eine enorm hilfreiche Angelegenheit. Denn erstens erhöht das den Respekt bei meinem Gesprächspartner, und zweitens kann ich so unsichtbar bleiben. Denn seien wir ehrlich: Wenn der Mann mich erkennen würde, würde das sein Leben abrupt beenden. Und ich gebe mir stets größte Mühe um das Wohlergehen aller meiner Leute.

      Auch der Mann, der vor mir sitzt, ist ein wertvolles Mitglied meiner Gruppe, das ich nur ungern verlieren würde. Er kauert auf seinem Stuhl, als wolle er sich unter der Sitzfläche verstecken.

      Der Mann erzählt, dass der Ober von zwei Journalisten entdeckt wurde. «Ich selbst habe vom Eckhaus an der Mittelstraße zur Tauchaer zugesehen, wie die beiden die Leiche gefunden haben. Vorher saßen die Männer noch im Bierrestaurant im Krystall-Palast und ließen sich vom Ober bedienen. Sicher haben sie ihn erkannt.»

      Ei, ei, das hatte ich gar nicht bedacht. Wieso konnten sich diese Wichte von der Arbeiterpresse rauschende Feste im Krystall-Palast leisten – mitten in der Krise? Jammern in ihrem Blatt über den wirtschaftlichen Niedergang und prassen im Amüsierschuppen. Na ja, was ist schon dabei, dass sie den Ober erkannt haben? Den Beruf des Opfers würde jeder schnell herausbekommen. Nun wissen die beiden es gleich. Wo liegt der Unterschied?

      «Ich wollte eigentlich nach Hause gehen. Aber als ich die beiden und den Ober gesehen habe, bin ich noch ein bisschen geblieben. Ich konnte genau beobachten, wie die Journalisten den Leichnam inspiziert haben. Sie haben sich über einen Zettel unterhalten. Genaueres konnte ich auf die Entfernung leider nicht verstehen.»

      Ich gucke den Mann an. Nein, der verbirgt nichts. Der sitzt wie ein Häschen auf dem Stuhl.

      Ich frage: «Was haben die beiden denn im Krystall-Palast gemacht?»

      «Sie haben das Konzert von Bernadette La Belle besucht. Mir sind sie aufgefallen, weil sie das Da Capo versäumt haben und in das Bierrestaurant gegangen sind.»

      Zwei Journalisten, die zu früh aus dem Konzert gehen. Vielleicht haben die das Konzert schon ein paar Mal erlebt. Das klingt mir zunächst nicht, als müsse ich mir Sorgen machen. «Kennen Sie die beiden?»

      «Den einen habe ich schon ein paar Mal gesehen. So ’n gutaussehender junger Kerl. Teure Anzüge. Ich würde sagen, Salon-Sozi.»

      Aha, daher weht der Wind. Klar, wer’s dicke hat, kann sein Bier im Krystall-Palast trinken und am nächsten Morgen etwas für die Gerechtigkeit auf der Welt tun. Und der andere Kerl? Ich nicke dem Mann zu, denke wieder einmal nicht daran, dass er mich nicht sehen kann. Aber egal, der spricht bestimmt gleich von allein weiter.

      «Der andere Kerl ist ungefähr genauso alt, aber kräftiger und hat einen Lockenkopf. Er sieht irgendwie eckig aus …»

      Irgendwie eckig, darunter soll sich einer etwas vorstellen können … Das ist doch keine Rätselstunde! Aber ich will nicht ungeduldig werden. Sage nichts.

      «Er trug auch einen teuren Anzug, aber der saß nicht so perfekt. Ich habe das Gesicht noch nie gesehen.»

      Ein Modelinker und ein neureicher Zugereister, die ein Konzert vor der Zugabe verlassen und Bier trinken gehen … Was ist das denn für ein Pärchen? Hatten die was Wichtiges zu besprechen? Bestimmt ist der Fremdling nur ein harmloser Messegast …

      Und eigentlich habe ich genau erreicht, was ich wollte: Journalisten sollten den Ober finden. Das war das Ziel, und so ist es gekommen. Und dank der Aufmerksamkeit des Mannes vor mir weiß ich nun sogar, welche Schmierfinken meine kleine Botschaft entgegengenommen haben. Ich muss das Positive sehen. Andererseits: Vorsicht ist die Mutter des Erfolgs. Ich brauche mehr Informationen.

      «Also, hören Sie gut zu.» Wie herrlich meine Stimme aus den Lautsprechern knarzt! Ich bekomme Gänsehaut, der Mann schrumpft in seinem Sitz. «Bekommen Sie heraus, wer die beiden sind. Behalten