Martin Scheil

Der Flügelschlag des Zitronenfalters


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Blitz folgt Donner. Und es donnert viel. Kostprobe? Also bitte, Zahnstocher rein und her damit. Die Russen versuchen aus Afghanistan eine sowjetische Enklave zu machen. Ach ja, hatten wir schon. Was war sonst noch? Blätter blätter. Oha. So einiges. Säuberungsaktionen in Kambodscha durch Vietnam (sollten die es nicht besser wissen? Tss Tss Tss ...), blutige Aufstände in Südkorea (ja, richtig: der gute Teil), Bürgerkrieg im Jemen und außerdem wird zwischen Israel und den palästinensischen Provinzen im Westjordanland ... nun ja, die alte Geschichte eben. Gähn. Das war’s schon? Ach na ja, wissen Sie, das ist jetzt auch nicht soooo aufregend. Also mehr. Kein Problem. Putsch im Tschad, in Gambia, Liberia, Ghana, Uganda, Nigeria, Burundi und in der Zentralafrikanischen Republik. In Kamerun wird es zumindest versucht, in Mauretanien dagegen durchgeführt, aber anschließend durch Gegenputsch wieder rückgängig gemacht. Rinn inne Kartoffeln, raus ausse Kartoffeln. So wird das natürlich nix mit’m Wirtschaftswunder. Egal. Hier heißt der wahre Feind: Kolonialismus! Und der liegt nun endlich niedergestreckt auf der Bastmatte und verdorrt in der Sonne. Auch eine Ex-Kolonie: El Salvador. Auch dort: meine Schaufel, Deine Schaufel. Großoffensive der Guerilla gegen die Regierung. In Bolivien hingegen wird artig gewählt. Weil einem aber die guten Antworten immer zu spät einfallen, ist das mit dem Wahlergebnis dann zwar schön und gut, wird aber trotzdem hinterher mit der Knute geregelt. Und auch hier wieder: Knüppel aus dem Sack. Das ewig wildschlagende Herz.

      All das schafft es aber in den Nachrichten auch gerade so eben noch vor den Sportteil. Viel schlimmer sind da schon die Umtriebe von Maurice Bishop, Premierminister von Grenada und außerdem Marxist. Ohgottohgott, direkt vor der Haustür der freien Welt. Das geht nun wirklich nicht. Was macht der? Sowjetunion? Kuba? Bilateral? Das geht zu weit. Mr. President? Mr. President, könnten Sie kurz? Ja, ja, gleich gleich. Muss hier noch was in Auftrag geben. Also mal sehen, Neutronenbombe? Check! Star-Wars-Programm? Check! Größter Flugzeugträger aller Zeiten? Check! Kurz den Bleistift weg, was war jetzt gleich? Bishop? Ja, mach mal. Besetzen und gut. Aruba, Jamaica, ooooh I wanna take ya! So einfach ist das. Bishop wird exekutiert und der Cowboy schwingt weiter die Winchester-Flinte im Western. Oder war das vorher? Man kann da schon durcheinander kommen. War’s das denn nun? Grenada? Check!

      Klappt in Nicaragua leider nicht, aber immerhin gelingt es, dort wenigstens einen ordentlichen Bürgerkrieg anzuzetteln. Da wird auch noch Honduras mit hineingezogen. Querfinanziert, gesponsert, das ganze Netz wie schon in Afghanistan. Finger hoch, wer eine Waffe abfeuern kann! Ah ja! Da haste! Aber wie es eben so ist, hast Du ein Maul gestopft, schreit schon der nächste. Geiselnahme im Iran. Puh, das wird langsam lästig. Prompt wird eine geheime Operation mit den besten Kräften gestartet. Ergebnis: ohne eine feindliche Muskete erblickt zu haben, waren drei Hubschrauber kaputt, zwei explodiert, dazu ein ebenfalls explodierter Tankwagen und ein ausgebranntes Großraumtransportflugzeug Marke Hercules. Ein Hubschrauber musste dann zurückgelassen werden und – na ja, das kann passieren – da waren dann auch noch geheime CIA-Dokumente drin. Ganz schön viel Getöse für eine geheime Operation. Ein klassischer Rohrkrepierer, aber was soll’s. Schulle, kann schließlich jedem mal passieren.

      England war in Falkland viel erfolgreicher. Nutzte aber auch nichts, da John Lennon erschossen wurde. Da hätte man wohl lieber auf diese Bananeninsel verzichtet. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Trotzdem geriet Margaret Thatcher zur Eisernen Lady. Wer weiß eigentlich, dass sie vorher als Chemikerin das Softeis erfunden hat? Eher eine dunkle Episode Ihrer Karriere, denn soft wollte sie nun gar nicht sein. 15 Jahre Thatcher, 16 Jahre Kohl und da heißt es, Demokratie lebt vom Wechsel. Auch hier wieder: von den Roten lernen heißt Siegen lernen. Da wurde nämlich mehr so langfristig durchgetauscht, wenn auch mit den Füßen zuerst. Wer hat noch nicht, wer will nochmal. Der Posten des Generalsekretärs der KPdSU galt bis dahin eher nicht als eine schnell vorbeiziehende Karrierestation. Auf Breschnew folgte Andrpow folgte Tschernenko folgte Gorbatschow, wobei von einem kommenden Wind of Change bis dahin nicht einmal ein seichter Luftzug zu spüren war. So wundert es denn auch nicht, dass ein einfacher polnischer Werftarbeiter grobschlächtigen Typs eines Morgens aufstand, sich den buschigen Schnurrbart kämmte und beschloss, dass er die Schnauze voll hatte. Es folgten Solidarnosc, die Bürgerbewegungen in der DDR, in Ungarn, der CSSR und so weiter, und irgendwann fielen auch in der Sowjetunion zum ersten Mal die Worte Glasnost und Perestroika. Ähm, könnten Sie das bitte wiederholen, Genosse? Dies jedoch sollte keineswegs heißen, dass der Ostblock dabei war, die sprichwörtlichen Segel zu streichen. Nein, das nicht. Aber es brodelte in den Grenzen der Comecon, des Warschauer Paktes, wobei die Agenten der Geheimdienste in Ost und West nun alle Hände voll zu tun hatten. Und einem solchen Spieler im großen Match der bipolaren Welt saß unser frisch demissionierter Rick Pfeffer nun an jenem Abend gegenüber und überlegte angestrengt, wie er reagieren sollte.

       II.

      Er blickte sich noch einmal um. Die kleine Kapelle war bis auf den letzten Platz besetzt, an den Wänden hingen Messingkandelaber deren Kerzen die kunstvoll gearbeiteten Facettenfenster kaleidoskopisch beschienen. Wer all diese Männer und Frauen wohl waren, fragte er sich und streifte einige Gesichter in vorüberziehender Bedeutungslosigkeit. Frauen mit spitzenbedecktem Gesicht, ab und an ein Taschentuch unter den schwarzen Schleier führend, Männer allen Alters, deren teils zu eng sitzende dunkle Anzüge wohl immer nur zu traurigen Anlässen aus dem Schrank hervorgeholt worden waren. Blick nach unten, Kopfschütteln, Schluchz. Einige ließen, so wie auch er selbst, ihre Blicke schweifen und blieben immer wieder an dem Sarg hängen, schön aufgebahrt vor dem Altar. Dann wieder Blick nach unten, wieder Kopfschütteln. Nee nee, nu auch er. Vor und neben dem Sarg ein Blumenmeer von Gestecken, dem Anlass entsprechend geschmackvoll arrangiert. Grabgemüse. Darf man das sagen?

      Er selbst nun trug einen schwarzen Anzug mit ebenso schwarzer Krawatte. Tagesuniform. Doch ach, herrje, was war denn das? Erst jetzt bemerkte er den kleinen Kaffeefleck am linken Revers. Verflixt und zugenäht, entfuhr es ihm in Gedanken während er darüber rätselte und sich gleichsam zu ärgern begann, wie er dieses kleine Odium hatte übersehen können.

      Der Pfarrer, ein untersetzter, gutmütig blickender Mann fortgeschrittenen Alters, hatte gerade noch gesprochen, dabei immer wieder über seinen graumelierten Vollbart gestrichen, und anschließend hatte sie alle gemeinsam „So nimm denn meine Hände“, gesungen. Nun war sein Name genannt worden, und Richard genannt Rick Pfeffer stand auf, straffte sein Jackett und ging gemessenen Schrittes an das Katheder, welches dem fein gearbeiteten Eichensarg zur Seite gestellt worden war. Er legt sein Skript darauf, spürte die auf ihn gerichteten Blicke und Erwartungen, sah auf und begann zu sprechen:

      „Ich kannte Joseph Rebschläger nicht!“

      Er ließ seine Worte einige Sekunden lang wirken und setzte dabei einen gestochenen Blick auf, den er zwischen den Trauernden in der Kapelle sprungwechseln ließ. Er wartete noch kurz, bevor er fortfuhr.

      „Ja, ich kannte Joseph Rebschläger nicht, und doch weiß ich mittlerweile so viel über ihn.“ Er blickte kurz aber theatralisch den Sarg an und lächelte flüchtig nickend, so als wolle er den Verstorbenen nun zum ersten und letzten Mal grüßen.

      „Denn sehen wir uns einander an! So viele Menschen sind heute hier versammelt, um sich von ihm zu verabschieden. Um ihm Lebewohl! zu sagen. Freunde, Bekannte, Verwandte und natürlich seine liebe Familie, der mein ganzes Mitgefühl und mein aufrichtiges Beileid gilt.“ Er sah zu der weinenden Witwe hinüber und machte eine betroffene Geste. „So viele Augen, deren Tränen sich heute wohl nicht zählen lassen. Und so viele Erinnerungen, die das Leben von Joseph Rebschläger bei allen hier hinterlassen hat, dass es nicht genügend Tinte auf dieser Welt gibt, um sie alle aufzuschreiben.“ Nicken bei einigen Männern. Eine Frau schluchzte und Rick Pfeffer verbuchte dies als einen ersten Erfolg. Vielleicht fing sie ja gleich an zu heulen. Das wäre der Ritterschlag. Hatte seine Stimme zuvor noch ein leichtes Vibrato gehabt, wurde er nun zusehends sicherer. Er beschloss, jetzt in die erste Plural zu wechseln.

      „Ein Schmetterling kann einen Orkan auslösen, heißt es, und ebenso hat das Leben von Joseph Rebschläger bei uns allen etwas hinterlassen, ist dadurch größer geworden und bedeutungsvoller als es ohnehin immer gewesen ist. Wir alle aber, waren ein Teil seines Lebens, und wir alle wissen, dass er ein Teil des unsrigen bleiben wird. Für immer. Wir werden von ihm erzählen, werden seine Fotos betrachten, werden uns an ihn erinnern und an das,