gestanden.“
„Man soll doch nicht alles glauben, was in den Zeitungen steht“, versuche ich mich auch hier herauszuwinden.
„Und wie war das vor kurzem, als, wie war das nochmal …?“, sagt Schorsch und kratzt sich dabei am Kopf. „Das waren doch auch zwei Morde und ein Umweltskandal, was du aufgedeckt hast.“
„Mann, habt ihr denn nichts Besseres zu tun, als in der Zeitung herumzuschnüffeln? Ich mach doch auch nur einen Job, wie ihr alle. Schaut euch doch den Reginald an, der hat von seinem Vater die Autowerkstatt übernommen und muss sich um einige Angestellte kümmern, für die er verantwortlich ist. Wenn der Scheiße baut, dann sitzen die auf der Straße. Schaut mal, wenn ich rausfliege, dann macht eben ein anderer den Job.“ Hoffentlich habe ich es nun geschafft, die Aufmerksamkeit auf den Regi zu lenken, um nun wieder meine Ruhe zu haben.
Meine alten Kameraden nehmen glücklicherweise den Faden auf und der Reginald erzählt die alten Geschichten, als wir auf seinem Abstellplatz die Schrottautos verheizt haben. Dabei spiele ich zwar auch eine tragende Rolle, aber immerhin brauch ich nicht mehr vor allen zu reden. Das hab ich in der Schule schon nicht gerne gemacht und mache es auch jetzt nicht gerne. Auch heute noch steht mir der Schweiß auf der Stirn, wenn ich eine Pressekonferenz abhalten muss.
Langsam nimmt nun die Party auch an Fahrt auf und der Alkohol fließt in Strömen. Der Freddy beginnt nun, wie bei jeder anderen Gelegenheit, wenn er genug getrunken hat, sich an Chrissi heranzumachen. Regi stimmt das Autofahrerlied von der »Dorfcombo« an und Lilo kotzt sich über ihre misslungene Ehe aus.
„Das ich an so einem faulen Arsch hängen geblieben bin“, heult sie in die Runde.
Regi ist derweil beim Refrain angekommen: „Ich liebe meine Frau und die Kinder“, grölt er, „du weißt, ich lieb sie so sehr, aber ganz unter uns sag ich dir, dich lieb ich noch mehr.“ Damit meint er seinen alten Ford Capri, mit dem er in seiner Freizeit an historischen Rallyes teilnimmt. Das sind Veranstaltungen, bei denen es nicht so sehr auf Geschwindigkeit ankommt, sondern darum, eine gewisse Durchschnittsgeschwindigkeit einzuhalten. So werden die alten Wagen geschont, damit sie noch lange erhalten bleiben, um unser Herz zu erfreuen.
Lilo erklärt gerade, dass für sie keine Trennung in Frage kommt, da sie ja schließlich »ja« gesagt hat bei »bis der Tod euch scheidet«.
Oh weh, hoffentlich muss ich da nicht einmal ermitteln, wenn sie das mit dem »bis der Tod euch scheidet« wörtlich nimmt.
Da nun alle besoffen sind, würde ich mich gerne verabschieden. Aber die Klassenkameraden machen mir einen ordentlichen Strich durch die Rechnung. Schließlich bin ich ja der einzige Abstinenzler und habe deshalb die ehrenvolle Aufgabe, zu guter Letzt die Meute nach Hause zu fahren. Also werde ich der Letzte sein, der ins Bett kommt, wenn sich das ins Bett gehen bis dahin überhaupt noch lohnt.
Inzwischen zeigt Holger eine seiner berühmten Strippeinlagen, die ich nicht sehen möchte. Na ja, immerhin hat er seinen Körper, im Gegensatz zu mir, in Schuss gehalten. Er ist solariumgebräunt und hat von der Fußspitze bis zum Hals einen dreiköpfigen Drachen tätowiert.
Das ist der Moment, an dem Lilo aufhört zu weinen, um sich Holger an den Hals zu werfen. Aber da hat sie die Rechnung ohne ihn gemacht, denn der stößt sie rüde zurück. Na ja, sie ist eben nicht gerade solariumgebräunt und tätowiert, sagen wir einmal, sie ist eher der Typ Mauerblümchen. Ist ja auch kein Wunder, sie wird ja bekannterweise seit Jahren von ihrem Mann unterdrückt und somit konnte sich das Blümchen Lilo auch nicht entfalten. Apropos Wunder, mich wundert eigentlich, dass dieser nicht mitgekommen ist, um seine Lilo zu bewachen. Sicherlich späht er durch ein Fenster aus, was seine Frau hier so treibt. Lilo unterbricht meine Gedanken, indem sie erzählt, dass ihr Gatterich sich in einer Kur befindet, um mit den Problemen seines Alltags besser umgehen zu können. Klar, es ist ja auch ein harter Alltag, vor dem Fernsehen zu hocken und dabei die Frau zu schikanieren.
„Das ist gar nicht mehr so“, verteidigt sie ihn jetzt auch noch, „seit er die Playstation hat, schaut er gar nicht mehr so viel fern.“
Okay, mein Respekt, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob das ein Fortschritt ist. Ich mache mir darüber auch keine weiteren Gedanken, da Lilo, was ihre Ehe angeht, ein hoffnungsloser Fall ist.
Regi singt inzwischen Mercedes-Benz von Janis Joplin. Da nun genug Alkohol in der Luft liegt und eh jeder das Lied kennt, wird unsere alte Klasse nun zum Chor der schrägen Töne. Allerdings ist Regi nun so glücklich, dass er Rotz und Wasser heult.
Ich muss schon zugeben, dass unser Klassentreffen ein voller Erfolg ist.
Inzwischen liegen die ersten Alkoholleichen in den Ecken, was allerdings nicht heißt, dass hier schon einer nach Hause möchte. Somit ist auch für mich noch nicht abzusehen, wann ich ins Bett komme. Und das an einem ganz normalen Dienstagabend im Dezember. Zumindest schneit es heute nicht, was es mir erleichtern sollte, die Meute nachher nach Hause zu karren.
Die Musik ist inzwischen auch leiser geworden, was wieder Unterhaltungen ermöglicht. Die Gerda hat neben mir Platz genommen. Gerda ist so eine, die man nicht wahrnimmt. Man hört sie nicht und man sieht sie auch nicht, so unauffällig ist sie. Auch damals zur Schulzeit hat sie niemand wirklich wahrgenommen.
„Hallo Dieter“, sagt sie nun mit ihrer zarten, kaum hörbaren Stimme.
„Na Gerda, wie ist es dir so ergangen?“, frag ich mehr aus Anstand als aus Interesse.
„Ach ja, du weißt ja“, wispert sie, „meine Eltern sind damals jung gestorben und seitdem habe ich den großen Hof am Hals. Ganz alleine, einen Mann habe ich doch auch nicht gefunden.“
Klar, wir haben damals schon gewitzelt, dass die Gerda wohl mit intakter Unschuld altern wird. Und wenn das so ist, möchte ich das auch ganz sicher nicht ändern. Allerdings muss ich zugeben, dass sie hier wohl das einzige menschliche Wesen ist, welches sich noch klar artikulieren kann, außer mir versteht sich.
„Ist ja auch nicht schlimm“, spricht sie weiter, „dann brauch ich auch niemanden hinterherzuräumen, hab ich mir immer gedacht, hahaha, grunz, hahaha, grunz.“
Jetzt fällt es mir wieder ein. Dieses grunzende Lachen hatte sie auch damals schon. Genau, deshalb haben wir derzeit auch Grunzi zu ihr gesagt. Und nun sitzt sie genau neben mir und grunzt noch genauso, als wären nur Tage anstatt Jahre vergangen.
Da Freddy inzwischen bei Chrissi mehrmals abgeblitzt ist, versucht er sein Glück nun bei Lilo. Die ist immerhin Strohwitwerin. Vielleicht fallen seine Bemühungen ja bei ihr auf fruchtbareren Boden.
„Aber du musst wissen, so alleine bin ich gar nicht mehr hahaha, grunz“, bemüht sich Gerda Grunzi weiterhin um meine Aufmerksamkeit.
„So Gerda, hast du nun einen Mann bei dir wohnen?“, heuchele ich Interesse.
„Ach Dieter, hahaha, grunz, du alter Schelm, doch kein Mann, hahaha, grunz, nein, nein. Ich habe zwei Flüchtlingsfamilien bei mir aufgenommen. Platz hab ich ja genug und so bin ich nicht mehr so alleine, hahaha.“
Wie war das noch gleich? Da fehlt doch was. Genau, wo ist das Grunz? Schnell schaue ich zu Gerda rüber, um zu kontrollieren, ob sie noch atmet. Alles in Ordnung, anscheinend hat sie das Grunzen einfach vergessen.
„Ach ja? Flüchtlingsfamilien, das ist aber interessant. Mensch, du hast ja eine ganz soziale Ader, das hätte ich gar nicht von dir gedacht“, bin ich erstaunt.
Das Flüchtlingsproblem hat sich ja im ganzen Land breit gemacht. Wir von der Polizei hätten reichlich damit zu tun, die Flüchtlinge zu überprüfen. Allerdings vergeuden wir die nötige Zeit damit, irgendwelche Demonstrationen gegen die Flüchtlinge zu überwachen. Das ist einfach ein Teufelskreis, wenn wir die Flüchtlinge nicht überprüfen, dann können die Straftäter unter ihnen ihr Unwesen treiben und somit ist das wiederum Wasser auf die Mühlen der Gegner.
Aber nun wieder zur Gerda: „Erzähle, wie ist das mit den Familien?“
„Ach du, das sind ganz nette und hilfsbereite Leute, die sind ja so froh, dass ich sie aufgenommen habe. Ich habe endlich eine Aufgabe und es ist endlich wieder