schickte. Loos war der Szene expatriierter amerikanischer Schriftsteller eng verbunden und pendelte regelmäßig zwischen Los Angeles und Paris. Auf ihre Empfehlung ließen sich unter anderem Greta Garbo, Joan Crawford, Gloria Swanson und Mae West von Schiaparelli einkleiden. Selbstverständlich befeuerte auch die „Vogue“ den Hype. Elsa Schiaparellis geschäftlicher Erfolg war sensationell. Nur drei Wochen nach ihrem Auftritt bei der Dinnerparty konnte sie ein eigenes Atelier eröffnen – in bester Lage und mit riesigen, opulent ausstaffierten Räumen. Um 1932 besaß das Haus Schiaparelli neben diesem Flaggschiff bereits zehn weitere Ateliers. Eine Dependance befand sich in London, jener Stadt also, aus der Schiaparelli einst mit ihrem Mann fliehen musste, um einer Verurteilung wegen illegaler Geschäfte zu entgehen.
EIN ROSA SCHOCK FÜRS LEBEN
Die Kunst der Pariser Avantgarde, insbesondere der Surrealismus, brachte Elsa Schiaparelli auf die verrücktesten Ideen für ihre Mode. Als besonders fruchtbar erwies sich dabei ihre Freundschaft zu Salvador Dalí. Im Jahr 1936 schuf Dalí für einen englischen Kunstsammler sein berühmtes „Hummertelefon“. Es besteht aus einem funktionsfähigen Telefon mit Wählscheibe aus dem zeittypischen schwarzen Bakelit, wobei der Hörer die naturgetreue Form und Farbe eines Hummers besitzt. Schiaparelli war so begeistert von dem Objekt, dass sie gemeinsam mit Dalí das „Hummerkleid“ entwarf. Es war ein im Grunde klassisch-elegantes Kleid mit nur einem einzigen bewussten Stilbruch, nämlich einem riesigen Hummer als Dekor auf der Vorderseite. Dalís Vorschlag, bei der Präsentation des Kleids echte Mayonnaise darauf zu verteilen, lehnte Schiaparelli allerdings ab. Das Kleid war auch so schon provokativ genug, schließlich befinden wir uns Jahrzehnte vor dem Siegeszug schrill-bunter T-Shirts und anderer bedruckter Klamotten mit allen möglichen und unmöglichen Motiven. Wer trug ein solches surrealistisches Kleid? Beispielsweise Wallis Simpson kurz vor ihrer Hochzeit mit dem Duke of Windsor, zu dem Zeitpunkt britischer Thronfolger. (Er verzichtete später lieber auf die Königskrone.) Ein Foto der angehenden Duchess of Windsor in diesem Kleid, veröffentlicht in der amerikanischen „Vogue“, löste in England einen ordentlichen Skandal aus.
Elsa Schiaparelli konnten Skandale nur recht sein. Der Motor ihres Geschäftserfolgs waren Methoden, die erst Jahrzehnte später – genauer gesagt ab den Sechziger- und Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts – zu festen Bestandteilen der Modeszene werden sollten: bewusste Inszenierung von Stilbrüchen, demonstrative Abkehr von Traditionen (oder im Gegenteil ironisches Spiel damit) und nicht zuletzt erbitterter Kampf um Aufmerksamkeit. Letzteres inklusive Provokation und Skandal als Teil des Kalküls. Zu Schiaparellis Signatur wurden jedoch weder Dalís Hummermotive noch die nicht minder irritierenden „Skelettkleider“ und „Skelettpullover“, die ihre Trägerinnen wie wandelnde Röntgenbilder aussehen ließen. Es wurden auch nicht die aberwitzigen „Spiralbrillen“, die Man Ray für Schiaparellis Modenschauen schuf. Nein, emblematisch für das Haus Schiaparelli wurde eine einzige Farbe: „Shocking Pink“. Dieses kreischende Rosa, hart an der Grenze zum Rot, beschrieb Schiaparelli selbst einmal als „so lebensspendend, als ob alles Licht und alle Vögel und alle Fische der Welt sich darin vereinigt hätten.“
Der kritische Betrachter könnte es auch so ausdrücken: Diese Farbe tut weh. Doch so wollte es Elsa Schiaparelli. Genau das war ihr Erfolgsrezept: Exzess und Provokation bis zur Schmerzgrenze. „Sie ohrfeigte Paris, sie peitschte, sie folterte es – und Paris liebte sie dafür“, schrieb Yves Saint Laurent 1986 in seinem Vorwort zu einer Biografie über Schiaparelli. Die naheliegende Frage, wo bei Schiaparelli die Leidenschaft für die Kunst aufhörte und wo das Kalkül begann – oder umgekehrt – muss wohl unbeantwortet bleiben. Ohne jeden Zweifel war sie eine geniale Geschäftsfrau. Es beginnt bereits bei der Marktlücke, die sie für sich erkannte: Die „Années Folles“ mit ihrer subversiven Gegenkultur des Dadaismus und Surrealismus fanden in der Mode zunächst überhaupt keinen Widerhall, was rückblickend durchaus erstaunlich ist. Stattdessen galt das minimalistische „kleine Schwarze“ der Coco Chanel als Inbegriff des modischen Stils dieser Zeit. Wenn es Schiaparelli nicht gewesen wäre, die der Mode den surrealen Zeitgeist jener Jahre eingehaucht hätte, dann wäre wahrscheinlich jemand anderes gekommen.
Doch eine Marktlücke zu sehen und zu besetzen ist nur das eine. Das andere ist konsequente Markenbildung. Hier agierte Schiaparelli wie aus dem Lehrbuch des „Branding“, lange vor der Erfindung dieses Begriffs. In der Markenführung war sie ihrer Zeit weit voraus. So erkannte sie glasklar die Bedeutung einer Farbe als Markensignatur. „Shocking Pink“ war alles andere als ein Zufall – Schiaparelli war gezielt auf der Suche nach einer solchen „Signature Colour“ gewesen und hatte vorher unter anderem mit einem intensiven Blauton experimentiert. Noch moderner war die Art, wie sie die Markenidentität des Hauses Schiaparelli auf ein breites Portefeuille von Produkten übertrug. Bestes Beispiel ist ein Parfum mit dem Namen „Shocking“, welches das Haus Schiaparelli 1937 auf den Markt brachte. Der Karton war – selbstverständlich – in „Shocking Pink“ gehalten. Der Flakon hatte die Form eines weiblichen Torsos. Eine Sensation! Als Jean-Paul Gaultier in den 1990er-Jahren diese Art von Flakon für seine Parfüms kopierte, konnte er sich dies nur erlauben, weil Schiaparelli da schon vollständig in Vergessenheit geraten war.
ERFOLGREICHER FAKE HEISST NICHT ERFOLG AUF DAUER
Die hochbetagte Elsa Schiaparelli soll jeden Abend in ihrem Pariser Appartement voll geschminkt und im Tigerpyjama vor dem Fernseher gesessen haben. Doch bei ihrem Ableben im November 1973 kannte schon fast niemand mehr den Namen der einst so berühmten Italienerin. Im Gegensatz zu Chanel, dem Markennamen ihrer früheren Erzrivalin. Ganz zu schweigen von den Modeschöpfern, die seit dem Zweiten Weltkrieg mit ihrer „Haute Couture“ (wie die tonangebende Schneiderkunst nun hieß) Furore gemacht hatten: Christian Dior, Yves Saint Laurent und Pierre Cardin vor allem – interessanterweise ausschließlich Männer, so wie auch Stars der nächsten Generation: Armani, Versace, Lagerfeld. Dabei hatten einst zwei Frauen die Welt der Mode für die oberen Zehntausend allein beherrscht: eben Coco Chanel und Elsa Schiaparelli. Sicher, der Zweite Weltkrieg und die deutsche Besatzung weiter Teile Frankreichs, einschließlich Paris, beendeten die „Années Folles“ endgültig. Doch der Krieg, nicht ohne Grund „der große Gleichmacher“ genannt, warf immerhin alle gleich weit zurück. Und wurde abgelöst von einer Nachkriegszeit, in der dann alle wieder mehr oder weniger bei null anfangen mussten.
Kurz nachdem Paris am 14. Juni 1940 gefallen und von der Wehrmacht besetzt worden war, reiste Schiaparelli nach New York und verbrachte dort – abgesehen von ein paar Monaten an der Seine im Jahr 1941 – die Zeit bis Kriegsende. Als sie zurückkehrte, hatte Christian Dior bereits seinen „New Look“ auf den Laufsteg gebracht, der sich von allem abgrenzte, was die Mode der Vorkriegszeit ausgemacht hatte. Im Jahr 1954 feierte Coco Chanel die Wiedereröffnung ihres Modehauses. Chanel sollte es gelingen, das Etikett des Gestrigen abzustreifen und ihre Mode als klassisch und zeitlos zu präsentieren. Elsa Schiaparelli fand keine stimmige Marktpositionierung mehr. Im Dezember desselben Jahres musste sie die Tore ihres Hauses endgültig schließen. Zu seinen besten Zeiten hatte es allein in Paris mehr als 4.000 Mitarbeiter beschäftigt. Nun war Schluss.
Über die Ursachen für dieses Aus lässt sich nur spekulieren. Zwei Gedanken drängen sich mir jedoch geradezu auf. Der erste: Ein gelungener Fake ist noch lange keine Garantie für dauerhaften Erfolg. Und der zweite: Wer seine Persönlichkeit zur Marke macht, der muss irgendwann lernen, über seinen Schatten zu springen. Elsa Schiaparelli hatte sich mit geschickter Selbstinszenierung und kalkulierter Provokation selbst in den Olymp der Mode katapultiert. Dabei hatte sie durchaus etwas zu bieten. Über ihre Bedeutung in der Geschichte der Mode gibt es keine zwei Meinungen. Mittlerweile haben einige der berühmtesten Museen der Welt ihrem Schaffen umfangreiche Retrospektiven gewidmet.
Doch Schiaparelli hat selbst einmal gesagt: „Sobald ein Kleid geboren ist, ist es auch schon Teil der Vergangenheit.“ Mode ist per Definition ephemeral – sie entsteht für den Augenblick und ist im nächsten Moment vergangen. Das heißt für Modeschöpfer: Es muss immer weitergehen, der Fluss der Ideen darf nie abreißen. Und bei allen von genialen Individuen gegründeten Marken in sämtlichen Branchen entsteht Konstanz eigentlich nur, wenn man irgendwann ein Team bildet. Um den Erfolg zu sichern, muss man bereit sein, ihn zu teilen; man muss delegieren, Dinge abgeben, viele