K & K vom Feinsten zu bieten hatte: Käse und Kultur. Seither suchte er auf Brunnen- und Naschmarkt gezielt nach Bergkäse aus dem hinteren Wauld (so nennen die Bregenzerwälder ihre Gegend) und las neuerdings Köhlmeier und Konsorten. Und eben deshalb hatte er sie ins Wien Drei geschleppt. Bloß, weil irgendein Vorarlberger Schriftsteller dort las. Und sie hatte genickt und war ihm nachgetrottet wie … wie ein folgsames Schulmädchen. War das jetzt die sexuelle Hörigkeit, oder was?
Bullshit! Mit Sex und Hörigkeit hatte das zuletzt zu tun. Das war nun echt nicht ihr Thema.
Sie wünschte, es wäre es gewesen!
Wann und wodurch wird eigentlich aus dem LAP, dem Lebensabschnittspartner, ein biederer Lapp im wahrsten Sinn des Wortes? Mit dieser Frage sollte frau sich schon einmal auseinandersetzen. Und sie sollte sich vor allem fragen, wann es an der Zeit wäre, diesen Lebensabschnitt für beendet zu erklären und den Lappen aus dem Bett zu werfen. Und sei es ein sündteures Wasserbett, das er ihr anlässlich seines Einzugs in ihre Wohnung vor fast genau drei Jahren vermacht hatte.
Das Blöde war nur, dass dieser Lapp immer genau dann, wenn sie so weit war, dass sie ihm sein verdammtes Wasserbett nachschmeißen und den Wohnungsschlüssel abknöpfen wollte – endlich, endlich auch zu Hause die Taffe sein, als die man sie in der Arbeit immer hinstellte! –, dass dieser Haderlump akkurat dann eines seiner selbst gekochten viergängigen Menüs für sie hinzauberte, wie es im besten Haubenlokal nicht raffinierter zu kriegen war, mit roten Rosenblüten als Dekoration. Oder dass er sie mit einer Massage verwöhnte, bei der sich im wohligen Rieseln die entschiedensten Trennungsgedanken von einem trennten, trennen mussten, um irgendwo in der Gegend des Steißbeins zu zerstäuben …
Nach dem Menü, nach der Massage dann das Ritual der Selbstvorwürfe: Wie konntest du nur vergessen, wie lieb er doch ist, was er alles für dich tut, wie viel Geborgenheit er dir schenkt. Zweifelsohne gab es Hunderte, ach was, Tausende alleine in dieser Stadt, die mieser waren als er. Wie egoman konnte frau eigentlich sein? Vielleicht lag es ja schlicht an ihr. Vielleicht sollte sie mal an der eigenen Fassade kratzen und, wenn möglich, noch ein bisschen tiefer. Woher rührte nur ihre wabernde Unzufriedenheit? War sie womöglich der Ausfluss aus der ständigen Beschäftigung mit den Grauslichkeiten dieser Welt im Jammertal unseres Jobs, wie Fillinger es neulich so treffend formuliert hatte? Und wenn du einmal über den eigenen Tellerrand schaust, nur ein bisschen, auf all die trauten Pärchen in deinem Bekanntenkreis zum Beispiel, wie sie ticken beziehungsweise eben nicht ticken! Sei ehrlich: Geht es dir da nicht vergleichsweise … ja, was genau? Super, prächtig, passabel? So lala? Wie auch immer, du gibst ihm und dir und dem, was man Beziehung nennt, halt noch eine Chance. Eine letzte oder vorletzte, was soll’s. Baust dich auf an den hausbackenen Leopold’schen Komplimenten, an seinen kleinen Aufmerksamkeiten. Opferst dem lieben LAP einen weiteren Lebensabschnitt, investierst erneut – wenn auch nicht gerade rundum erneuert – in die Beziehung und hasst dich gleichzeitig dafür, dass du Ausdrücke wie investieren und Beziehung verwendest, als wären die beiden kompatibel.
Sie dämpfte die Zigarette mit der Stiefelspitze aus und stapfte zurück ins Lokal. Der Vorarlberger Autor war immer noch nicht fertig mit seiner Lesung. Nach jedem zweiten Satz starrte er irgendwen im Publikum an, vielleicht versuchte er so, die Reaktion auf seine Worte zu testen. Jetzt hatte er Frieda beim Eingang bemerkt und musterte sie mit einem strafenden Blick. Schließlich hatte sie es gewagt, sich für die Dauer einer Zigarettenlänge seiner Aura zu entziehen.
Dann las er weiter aus seinem Buch: „,Cool, Baby!‘ ,grinst er. ,Du musst lernen, der Realität ins Auge zu sehen.‘“
Frieda wusste nicht, was mit ihr passierte. Aber plötzlich musste sie losprusten, deutlich vernehmbar bis in den hintersten Winkel. Das Publikum quittierte es mit einem entrüsteten Murmeln. Frieda konnte dennoch nicht aufhören zu lachen.
Der Schriftsteller legte langsam das aufgeschlagene Buch mit dem Umschlag nach oben auf den Tisch.
„Darf ich fragen, was Sie daran so lustig finden?“, fragte er pikiert.
„Keine Ahnung. Tut mir leid, es hat mich einfach so überkommen. Vielleicht …“, sie hielt sich kurz die Hand vor den Mund, um nicht wieder loszuprusten, „vielleicht liegt es ja an diesem Du musst lernen, der Realität ins Auge zu sehen. Erinnert mich irgendwie an einen alten Humphrey-Bogart-Schinken.“
Der Autor stand auf und knipste demonstrativ die Leselampe auf dem runden Tischchen aus.
„Ich denke, wir machen hier Schluss. Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit – jedenfalls all jenen, die sie mir tatsächlich geschenkt haben.“
Beleidigte Leberwurst! Frieda zuckte mit der Schulter. Ob sie Leberwürste im Ländle überhaupt kannten? Das böse Gemurmel im Raum nahm nach dem vorzeitigen Abgang des Schriftstellers kurz an Intensität zu, für Frieda hörte es sich an wie die akustische Vorhut eines nach Lynchjustiz gierenden Mobs. Sie zog Leo vom Stuhl hoch.
„Komm, wir gehen.“
„Also, ich wollte eigentlich noch …“
„Ich muss hier raus, Poldi – mit dir oder ohne dich!“
Er blickte einen Moment unschlüssig in Richtung Bar, wo dem frustrierten Autor gerade ein Glas Rotwein eingeschenkt wurde. Am Ende will er sich noch bei dem Xiberger für mein Verhalten entschuldigen, schoss es Frieda durch den Kopf.
Aber Leopold Laubers Grund, noch bleiben zu wollen, war ein durch und durch profaner: Er hatte sich die ganze Zeit über schon so auf das Vierterl gefreut, das ihm jetzt nicht vergönnt war. Dabei schmeckte der Zweigelt im Wien Drei hervorragend!
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Danach hatte sie ihm gegenüber natürlich wieder dieses schlechte Gewissen, eh klar!
Längst hätte sie aus leidvoller Erfahrung wissen müssen, dass ihr schlechtes Gewissen niemals ein sanftes Ruhekissen hergab; schon gar nicht war es etwas, aufgrund dessen sie jemals eine Entscheidung gefällt hatte, die sie nicht sofort wieder bereut hätte. Dennoch, sie konnte auch diesmal nicht umhin, den von ihr provozierten Eklat gleich wiedergutmachen zu wollen. Eine spontane Einladung war das Einzige, was ihr auf die Schnelle einfiel.
„Weißt was, als Entschädigung kommst nächste Woche mit auf unser Symposium, okay? Ich weiß doch, wie du auf so was stehst. Mindestens fünf Stunden Philosophie am Stück. Wer, wenn nicht du, ist dafür der Richtige?“
VMV, der Vienna Medienverlag mit seinem knappen Dutzend an Zeitungen und Zeitschriften, wollte sein zwanzigjähriges Jubiläum mit einem Symposium feiern. Thema: Risken und Chancen des Unvorhersehbaren. Drei hochkarätige Referenten waren dafür angekündigt sowie eine abschließende Podiumsdiskussion, das volle Programm. God himself, im Zivilberuf Chefredakteur von opinion und gesegnet mit dem zu seiner Statur passenden Namen Fillinger, hatte ausdrücklich betont, dass nicht nur sämtliche Journalisten und Verlagsbedienstete eingeladen seien, sondern auch deren Angehörige, Freunde und Verwandte. Und irgendwo dazwischen war ja wohl auch Friedas knuddeliger Lapp anzusiedeln.
Leo war selig über die Einladung. Einem Privatgelehrten wie ihm, der seit Äonen Die Zeit abonniert hatte und diese auch las, der etliche Philosophen zu seinen persönlichen Freunden zählte und keinen öffentlichen Diskurs versäumte, konnte man damit echt Freude machen. Frieda selbst hätte auf das Brimborium gut und gerne verzichten können. Mit ihren Kollegen und Vorgesetzten musste sie nicht auch noch am freien Samstagnachmittag zusammenhocken, aber immerhin: So hatte man wenigstens zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Und dass der Veranstalter nur die besten Tröpfchen und ein erlesenes Buffet auffahren lassen würde, galt als gesichert.
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Sie saßen in dem aus architektonischer Sicht nicht einmal üblen neuen Veranstaltungssaal im zweiten Bezirk und lauschten den einleitenden Grußadressen. Zuerst gab ein abgetakelter ORF-Reporter in seiner Funktion als Moderator den Ablauf der Veranstaltung bekannt; danach redeten, natürlich allesamt länger als vereinbart, die grüne Vizebürgermeisterin, ein launiger Vertreter der Gewerkschaft und Minister Steindlinger,