Klaus Nüchtern

ok ist eh ok


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nehmen regelmäßig am Familienalltag (daheim und auf Reisen) teil, erfahren von außergewöhnlichen Hobbys (Vögel beobachten, Wolken fotografieren), sportlichen Vorlieben, musikalischen Grenzerfahrungen, innerstädtisch geprägten Angewohnheiten und Ausdrucksformen seiner Freunde und Bekannten.

      Das hohe literarische Niveau der wöchentlichen Mitteilungen wird neuerdings auch mit Preisen bedacht. Das ist gut. Die Ingredienz aber, welche mich Woche für Woche die Texte lesen lässt, ist dieser Stil, der die immer sehr expliziten und intimen Wahrnehmungen so in Szene setzt, dass sie weder verletzend noch untergriffig sind, auch wenn schon mal körperliche Züchtigungen, z. B. in Form kräftiger Tachteln, angedroht und eingefordert werden.

      „Nüchtern betrachtet“ hat Groove, einen Groove vergleichbar mit einer Max-Nagl- oder Ken-Vandermark-Komposition (vgl. www.handsemmelrecords.com). Wie Musik bescheren mir diese Geschichten regelmäßig kleine Alltagshöhepunkte, besonders auch dann, wenn die beschriebenen Begebenheiten und deren Analysen sich mit eigenen Wahrnehmungen decken und ein innerlich sattes „Jawollll! Genau so!“ auslösen.

      Klaus Nüchtern gehört zu einer raren Spezies: Er ist Entertainer und Humanist.

       Harald Tautscher

      Wenn Dirk Merbach, der Artdirector des Falter, und ich einander nach längerer Pause wieder in den Redaktionsräumlichkeiten begegnen, pflegen wir rituell den Standard sinnentleerter minimalistischer Bürokommunikation zu erfüllen: „Und?“ „Naja, muss ja. Und selber?“

      Eh. Irgendwie muss man das alles ertragen, über die Runden kommen, zugleich aber auch aufpassen, dass das Leben nicht zu einem einzigen „Naja, muss ja“ verkommt. Die Zeit eilt im Sauseschritt, und man eilt mit, sollte aber doch unterwegs ein paar Pflöcke einschlagen und ein paar Faxen machen. Das ist auch der Grund, warum nun bereits der fünfte Sammelband mit Kolumnen erscheint: „Naja, muss ja. Und selber?“

      Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich mach das gerne. Ich muss das nicht machen, aber wenn ich schon mal da bin, kann ich auch gleich jahraus, jahrein Kolumnen schreiben. Und nachdem der Verlag meinen Hinweis, dass es jetzt wieder Zeit wäre, ein Buch draus zu machen, mit einem wohlwollenden „Okaaay“ quittierte, und ich darüber hinaus den Eindruck habe, dass jene Teile der Weltbevölkerung, in die Einblick zu haben ich mir einbilde, diesem Projekt eventuell nicht ganz unfreundlich gegenüberstehen, wird das jetzt eben einfach gemacht.

      In einer wohlwollenden und, wie ich finde, klugen Besprechung (und das muss durchaus nicht Hand in Hand gehen) eines meiner ersten Kolumnenbände gefiel es dem Rezensenten, die Regellosigkeit des darin Versammelten und die Einsicht des Autors herauszustreichen, dass Kolumnenschreiben im Grunde vollkommen „pointless“ sei. But is it? Schon klar, das Zeug jener abertausenden Spaßvögel, Edelfedern und Gesinnungsclowns, die das auch machen, ist – von einigen glänzenden Ausnahmen abgesehen – totaler Mist, Müll und Missbrauch von Materie, aber meine Sächelchen sind mitunter doch ganz hübsch.

      Es stimmt auch nicht ganz, dass ich damit nichts wollen würde. Es geht mir schon – worum sonst? – ums Gute, Wahre und Schöne. Ich versuche bloß, mich zwischen dem leitartikelnden Gedröhne der Bescheidwisser und dem relativistischen Gefasel postmoderner Weiß-auch-nicht-so-Genaus mit ein bisschen Anmut hindurchzuschlängeln. Als Schmiermittel gelangt dabei unter anderem (Selbst-)Ironie zum Einsatz, die aber oft missverstanden wird. Sie ist nämlich nicht dazu da, um sein Leben ständig in Gänsefüßchen zu setzen und – „kicher, kicher!“ – gegen jedes Ernsthaftigkeitsansinnen und jegliche Kritik zu immunisieren. Eher schon dient sie dazu, ernst sein zu dürfen, ohne Ernst machen zu müssen. Die Ironie, die ich meine, ironisiert vielleicht schon wieder die Ironie, indem sie deren zum Zwang und zur Manier gewordene Uneigentlichkeit unterläuft und etwas auch genau so meint, wie’s gesagt ist. Ich glaube, darüber sollten wir alle gemeinsam ein bisschen nachdenken.

       Klaus Nüchtern

      Wir haben verschlafen

      Als ich unlängst erwachte, lag meine Frau neben mir. Ich erkenne das gleich, weil meine Frau ziemlich groß ist. Das gefällt mir sehr gut, denn eine Frau, bei der man erst zweimal hinschauen muss, damit man sieht, ob sie im Bett liegt, würde ich nicht wollen. Man hätte ständig Angst, sie zu überrollen oder irrtümlich auf ihr einzuschlafen. Wäre man nicht sicher, ob die Frau im Bett liegt, würde man eventuell versucht sein, die Bettdecke wegzureißen, und dann wohl in jedem Falle furchtbar erschrecken – egal, ob die Frau nun drunterliegt oder nicht.

      Erschrocken bin ich aber auch, weil: Wenn am Dienstag der kleine Zeiger auf acht und der große auf zwölf steht und meine Frau neben mir liegt, herrscht Ausnahmezustand. Ich also: „Muss Hannah heute erst später in die Schule?“ Und sie: „Wiiiesooo? Wie spät ist es denn??“ Und ich: „Der kleine Zeiger steht auf acht und der gro …“ Und sie: „Uaaaaaah, Apokalypse, zischendes Pech und brennender Bimstein!!“ Und dann auch noch: „Das äst dä Vernächtong! Dä totale Verrrnächtongg!!“ Immer wenn meine Frau ausflippt, beginnt sie zu reden wie ein Hitlerimitator. Es ist dann ganz falsch, gegensteuern und beruhigend auf sie einwirken zu wollen: „Schau, irgendwie ist es auch süß, wenn wir alle verschlafen. Das haben wir noch nie gemacht, und die Welt dreht sich trotzdem weiter …“ Das wäre genau die verkehrte Reaktion gewesen. Daher ich, reaktionsschnell und ganz richtig: „Där Ontergang, där Ontergang. Onsere Tochter soll säch dä Zähne potzen ond do rofst dir einen Bezahlkraftwagen!“ Ich habe dann sehr souverän dafür Sorge getragen, dass unsere Tochter nur die Russischstunde versäumt hat. Ich bitte die Frau Klassenvorstand der 3B, die Verspätung zu entschuldigen. Sollte es notwendig sein, reiche ich gerne eine handschriftlich unterfertigte offizielle Entschuldigung nach, wiewohl es viel offizieller eigentlich nicht mehr geht.

      Ansonsten würde ich die Einführung eines Tages des Verschlafens anregen wollen. Das könnte – aus gegebenem Anlass – durchaus der 11. Dezember sein, an dem dann unentschuldigtes Zuspätkommen bis zu maximal zwei Stunden nach dem üblichen Arbeits- oder Schulantritt zulässig wäre, und zwar bis, sagen wir, 14 Uhr. Hernach könnten nur mehr etwaige Schichtarbeitersonderregelungen schlagend gemacht werden. Die Grundversorgung mit medizinischer Akutleistung und aufputschenden Heißgetränken müsste gewahrt bleiben.

      Ich bin das Amerika der Tagediebe

      Dieses Land ist eine Nation von Frühaufstehern. Und obwohl ich mich schon längst aus den geschützten Gefilden dissidenter Langschläferei verabschiedet und in den Mainstream der Kernaufstehzeit eingeklinkt habe – nur im Schutze eines sorgsam synchronisierten Familienferienrhythmus vermag ich bis in den hellen Vormittag hinein zu schlafen –, ist mir diese morgendliche kollektive Betriebsamkeit unsympathisch. Wenn ich aufstehe, sitzt man visà-vis schon an den Terminals und tätigt Termingeschäfte oder verkauft Heizdecken online, und auf den Dächern der Nachbarschaft, die allesamt ausgebaut werden, um Raum für trainingsjackentragende Enddreißiger zu schaffen, die sich Sorgen um die Kindergartenplätze ihrer ungeborenen Kinder machen, stehen die Bauarbeiter und denken an Poliebe mit Paarhufern. Ich vergönne echt allen alles, aber es wäre doch schön, wenn auch mal eine Ruhe wär.

      Neben der breiten Masse der Frühaufsteher gibt es nämlich auch noch ein Netzwerk an Tagedieben, die in erster Linie damit befasst sind, die Nacht zum Tag zu machen. Diese Gemeinschaft akustischer Spontanterroristen funktioniert nach dem Muster von Al-Kaida („jeder kann mitmachen“) und hat sich die Zerrüttung meiner Person zum Ziel gesetzt. Ich bin für die quasi Amerika. Ihr verabscheuungswürdiges Tun ordnen meine Feinde einer perfiden Pragmatik unter: Interne Differenzen, die unter anderen Umständen zum Bürgerkrieg führen würden, werden für die Dauer der Kampfhandlungen völlig ignoriert: Solange es nur gegen mich geht, kommen die verfeindeten Völkerschaften des Balkans ganz prächtig miteinander aus, und auch der Wiener Feinrippnazi geht gerne ein Stück des Weges mit dem jungen Austrotürken, der sich einen Dreck um die „Einhaltung von grundlegenden Wertehaltungen“ (Bundesminister