Ohr zum anderen strahlt, weil er so ’ne Art Dauergrinsen spazieren trägt. Der Anblick ist ziemlich widerwärtig. Herrschen tut er übrigens auch nicht. „Unsere Berufung ist es, den Menschen zu dienen“, sagt er immer, wenn ich der Meinung bin, wir müssten sie mal gewaltig erschrecken. Ohne Angst und Zittern ändern die sich doch nie!
Aber Berthold findet selbst für die unmöglichsten Exemplare noch Erklärungen und Entschuldigungen. Er will tatsächlich VERSTEHEN, warum sie sind, wie sie sind. Gräbt dann ihre Familiengeschichte aus und geht dabei zurück bis fast zur Sintflut. Oder er spürt sämtliche Verletzungen auf, die erklären könnten, warum einer ist, wie er ist. Und darüber hält er mir dann lange Vorträge und wirbt um Verständnis. Das ist so ermüdend!
Fast noch schlimmer sind Bertholds dämliche Scherze und seine Vorliebe fürs Fernsehen. Letztere hat er bei dem Einsatz nach Kennedys Tod entwickelt. Wann immer es seine Zeit zuließ, hing er vor der Glotze. Damals war er derjenige, der den menschlichen Part übernommen hatte, ich war als unsichtbare Stütze und Informant an seiner Seite. Bertholds Lieblingsserie war „Bezaubernde Jeannie“. Die ist genauso albern wie er: Ein Astronaut wird von einem kurvenreichen, weiblichen Dschinn tyrannisiert. Dieses Wesen nennt den NASA-Mann, der sie aus ihrer Flasche befreit hatte, zwar „Meister“, aber macht, was sie will. Mithilfe ihres Augenzwinkerns zaubert sie munter drauf los und bringt den Astronauten immer wieder in unmögliche Situationen. Berthold saß kichernd vor diesem Schwachsinn und war fast untröstlich, wenn er eine Folge verpassen musste. Lächerlich, das Ganze!
Leider steht er immer noch auf Film und Fernsehen! Einmal, während unserer Sabbatzeit, habe ich ihn besucht. Die Chefs möchten es nun mal, dass wir hin und wieder mit den Kollegen auch privaten Kontakt haben. Bertholds Apartment ist ein Albtraum! Es wird von einer Riesenleinwand und einem Ungetüm von Kuschelsofa beherrscht. Außerdem gibt es einen Cola-Automaten und eine Popcorn-Maschine. Bei meinem Besuch musste Berthold mir unbedingt eine Kindersendung vorführen, die er kürzlich entdeckt hatte – „Sesamstraße“ heißt der Quatsch. Zu den Hauptfiguren gehören zwei Puppen namens Ernie und Bert. Das sind zwei höchst unterschiedliche Charaktere – der eine geht dem anderen ziemlich auf den Keks. „Ist das nicht herrlich, Ernesto“, quietschte Berthold vergnügt, „die beiden da sind wie wir! Ernie und Bert! So werden wir uns jetzt nennen! Passt wie die Faust aufs Auge. Bloß, dass in der Sesamstraße Bert der Griesgram ist.“
Jetzt fing er auch noch an wie blöd zu kichern. „Ernie“, gackerte er, „versuch doch mal, ein bisschen wie Ernie zu werden – also locker und vergnügt!“ Natürlich habe ich mir verbeten, dass mein edler Name so albern verhunzt wird! „Ernie“ – wie furchtbar! Der Chef hat mich „Ernesto“ genannt, was „Ernst, Eifer, Kampf, Streit“ bedeutet. Der Name strahlt Würde aus und entspricht meiner Persönlichkeit. Aber natürlich hat Berthold sich nicht um meine Wünsche gekümmert. Als er mich das fünfte Mal „Ernie“ genannt hat, bin ich entrüstet davon geschwebt. Seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen.
Und nun geht der nervige Alltag mit Berthold also erneut los. Diesmal werde ich wieder die arme Socke sein, die auf unbestimmte Zeit als Mensch leben muss. In regelmäßigen Abständen werde ich eine telepathische Mail nach oben schicken müssen, die meine individuellen Begegnungen und Erfahrungen zusammenfasst. Berthold wird diese Berichte aus seiner Perspektive ergänzen. Er kann ja überall dort in dieser Gemeinde als unsichtbarer Beobachter sein, wo ich – die meiste Zeit gefangen in einem Körper – nicht sein kann. Außerdem bekommt er Einblick in die Gedanken vieler Menschen und hat Zugang zur himmlischen Datenbank, wo er jederzeit abrufen kann, was die Kollegen bereits über jemanden gesammelt haben. Nur wenn ich alleine bin und keine Gefahr besteht, dass jemand meine Wandlung mitbekommt, kann ich auch auf der Erde in den Geistwesen-Modus wechseln.
Alle unsere Nachrichten werden aufmerksam gelesen und wir bekommen entsprechende Anweisungen. Das Gesamtdossier wird dann später im himmlischen Archiv gelagert. Am Ende der Zeiten werden diese Bücher dann aufgeschlagen. Jeder Mensch wird sein Leben noch mal vor sich ablaufen sehen.
Es macht mich ja durchaus stolz, als Autor zu dieser umfangreichen Bibliothek beizutragen. Höchst ärgerlich finde ich es allerdings, den Ruhm mit einem Co-Autor teilen zu müssen! Zumal Berthold ein Händchen dafür hat, alle wunden Punkte, die ich entdecke – und das sind gewöhnlich zahlreiche! – irgendwie schönzureden. So kann man doch nicht arbeiten!
Zu allem Überfluss habe ich mit Berthold seit Jahrtausenden einen Deal. Der unsichtbare Beobachter darf den Treffpunkt bestimmen, an dem das Zweierteam zum ersten Mal den neuen Auftrag bespricht. Wenn ich zu entscheiden habe, treffen wir uns ausschließlich in einem himmlischen Konferenzraum. Der Abschied auf Zeit von hier oben fällt mir schon schwer genug! Da möchte ich die wunderbare Atmosphäre bis zum Schluss auskosten. Berthold dagegen findet die Erde spannend. Er ist eben völlig durchgeknallt! Er besteht grundsätzlich auf einen irdischen Treffpunkt und möchte, dass ich dabei schon mal übe, wieder einen Körper zu haben.
Seine schrägste Idee bisher hatte er vor etwa 3000 Jahren bei meinem Kurzeinsatz in einer Löwengrube. Da haben wir uns unbedingt in der Voliere im Festsaal des Königs Darius treffen müssen – als zwei Papageien! Weil wir bei solchen Begegnungen telepathisch miteinander kommunizieren, kriegt niemand unsere Gespräche mit. Aber solche Inszenierungen sind würdelos und überflüssig! Zumal diese Voliere damals direkt vis-à-vis der Showbühne stand. Die ganze Zeit hatten wir die erotischen Verrenkungen der halb nackten Tänzerinnen im Blick. Ich hasse so was, kann an menschlichen Körpern so gar nichts Anziehendes finden. Was einige meiner Kollegen am Anfang der Menschheitsgeschichte dazu trieb, mit Frauen Kinder zu zeugen, werde ich nie verstehen! Auch das ist bei Berthold natürlich anders. Deshalb ist er ja so auf diese unsägliche Jeannie abgefahren! Ich fürchte mich schon vor dem Szenario, das er sich für den neuen Auftrag ausgedacht hat!
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