Astrid Seehaus

Das Kreuz


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Inbetriebnahme einer Biogasanlage eine Begehung mit der Feuerwehr gemacht wurde, kannten sich die Feuerwehrleute aus, trotzdem war Vorsicht geboten. Der Brand war noch nicht unter Kontrolle. Das unter der Folie des Gärbehälters brennende Feuer blakte aus den geschmolzenen Öffnungen, bis die Abdeckung wie ein Leopardenfell wirkte. Da das brennende Methangas sich nicht mit Wasser löschen ließ, musste es mit Löschschaum erstickt werden. Dabei war die Gaskonzentration im Auge zu behalten, um eine Entzündung der anderen Behälter zu vermeiden. Ein zweiter Brandherd war in einem kleineren Gebäude, das wohl als Technikraum diente.

      „Die Folie muss da weg, sonst kommen wir nicht an das Feuer ran“, schrie ein Feuerwehrmann und fuchtelte mit den Armen, um den Fahrer des Traktors zu einem erneuten Versuch zu bewegen, die Folie vom Fermenter zu ziehen. Er misslang.

      Während die Feuerwehrleute kämpften, nahm Rothe alles in sich auf: Er registrierte Kinder, die sich in respektvollem Abstand am Feldrand aufhielten. Einen Jungen, der an seinem Fahrrad lehnte und auf seinem Smartphone herumtippte. Eine Frau, die die Kinder vom Geschehen wegriss und sie fortzerrte. Weitere Schaulustige, die ihre Fahrzeuge am Straßenrand abgestellt hatten und das Spektakel filmten. Und Frederic Rabe von der Thüringer Allgemeinen Zeitung, der sich Notizen machte und Fotos schoss. Rothe hätte ihn mit den kurzen Haaren beinahe nicht erkannt. Seine John-Lennon-Matte war einem Juristen-Look gewichen: kurzes Haar, randlose Brille.

      „Neureiter!“, befahl Rothe und deutete mit dem Kopf in Richtung der Schaulustigen.

      Neureiter stiefelte zu der Menge und veranlasste, dass sie auf Abstand blieben.

      „Was wissen Sie über den Biogasbetreiber?“, fragte Rothe, als er zurück war.

      „Hans Hermann Eckermann, Landwirt, geschieden, in zweiter Ehe mit einer Polin verheiratet. Drei Kinder. Eltern sind schwer krank. Man weiß nicht, ob der Vater es noch bis Weihnachten macht. Ihm gehört der Hof. Wird er jetzt vielleicht an seinen Sohn übergeben. Alle, die in Mais machen, liefern an ihn. Passionierter Jäger.“ Neureiter hatte die Informationen heruntergerasselt wie der Sportmoderator die Fußballergebnisse. „Noch etwas, das Sie wissen wollen?“

      „Hat Eckermann Schulden?“, wollte Rothe wissen.

      „So viel ich weiß, nicht. Aber ich kann ja mal meine Tante fragen.“

      Rothe erinnerte sich in einem anderen Zusammenhang an den Namen Eckermann. „Was macht eigentlich die Sache mit dem umgekippten Anhänger? Hat das nicht auch mit Eckermann zu tun?“

      „Jep. Die Fahrzeuge besaßen kein gültiges Kennzeichen. Er ist aber trotzdem auf öffentlichen Straßen gefahren, und da passierte es dann. Der Trecker rutschte in den Graben und der Anhänger mit dem Güllefass kippte um.“

      „Eckermann hat einen großen Betrieb?“

      „Muss er, wenn er eine Biogasanlage hat.“

      „Den Trecker hat er selbst gefahren?“

      „Nein.“

      „Neureiter, lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen, wir sind nicht bei Jauch. Wer hat ihn gefahren?“

      „Willi Waldmütz.“

      „Willi Waldmütz? Wollen Sie mich verarschen? Das ist ein Name, den können Sie in Ihren Romanen verwenden, und ich sage Ihnen gleich, Kollege, Sie werden als Schriftsteller scheitern.“

      Neureiter zuckte die Schultern. „Gestern hatte ich einen Versicherungsvertreter an der Strippe, der hieß Wursthorn.“

      Rothe schnaubte und winkte ab. „Willi Waldmütz hat also den Trecker mit dem Anhänger gefahren. Ohne Zulassung. Und der Anhänger mit dem Güllefass ist umgekippt? Das ist ja eine schöne Schweinerei.“

      „Kann man wohl laut sagen.“

      „Noch etwas?“

      „Nö.“

      „Die Frage aller Fragen: Hat er Feinde?“

      Neureiter wirkte überrascht, als er antwortete: „Aber nein doch. Willi ist der netteste Mensch auf Gottes Erde, der ist nur –“ Er machte eine entsprechende Handbewegung, „eingeschränkt denkfähig. Sie wissen schon, was ich meine, der macht das, was man ihm sagt.“

      „Ich habe nicht diesen Waldmütz gemeint, sondern Eckermann“, knurrte Rothe.

      „Ach so! Wenn man unterstellt, dass jeder erfolgreiche Mensch Feinde hat, müsste er auch welche haben.“

      „Reden Sie nicht so verklausuliert, das versteht ja kein Mensch.“

      Neureiter starrte seinen Vorgesetzten ratlos an.

      Rothe verdrehte die Augen. „Neureiter, dann reden Sie halt frei von der Leber weg. Alles, was Ihnen zu Eckermann einfällt.“

      „Gut, Chef. Eckermann hat keine Feinde. Auf seinen vierzigsten Geburtstag ist das ganze Dorf gekommen, um zu gratulieren. Wer wird da erst alles zu seinem Fünfzigsten kommen?!“

      „Und?“

      „Er hat einen Ruf als gewiefter Geschäftsmann.“

      „Das wollte ich wissen.“

      Auf dem Weg zum Auto ging er an dem Jungen vorbei, der immer noch mit seinem Smartphone hantierte und Bilder machte. Rothe nickte ihm kurz zu, was mit einer gerunzelten Stirn quittiert wurde.

      Zwei Stunden später kam die Meldung, dass die Feuerwehr jemanden im Technikraum gefunden hatte. Der Mann war bewusstlos und mit Verdacht auf Rauchvergiftung ins Krankenhaus gebracht worden. Bäcker informierte Rothe, dass es sich bei dem Verletzten um einen Anton Dewe handelte, einen Gelegenheitsarbeiter. Mehr konnte er nicht sagen, was Rothes Laune nicht gerade hob.

      Kaum hatte Rothe den Hörer auf die Gabel geknallt, klopfte es und Rabes Kopf erschien im Türspalt. Rothe winkte ihn herein. Der Journalist hielt sich nicht lange mit einer Begrüßung auf, sondern löcherte ihn mit Fragen. Es kostete Rothe gewisse Mühe, Rabe nicht merken zu lassen, wie mangelhaft informiert er sich fühlte beziehungsweise sogar war, und dass Bäcker und nicht er die Ermittlungen führte. Es war ein bisschen wie ein Versteckspiel, und Rothe wollte auf gar keinen Fall den Eindruck aufkommen lassen, er sei inkompetent. Und was seine persönliche Arbeitsmoral anging: die war gerade dabei abzuschmieren.

      Nachdem sich die Männer über das Wenige, das sie wussten, ausgetauscht hatten, bat Rothe um die Fotos vom Brand, und zwar alle Fotos, auch die, die mit dem Brand direkt nichts zu tun hatten. Rabe sicherte sie ihm zu; er würde einen Stick mit den Fotos vorbeibringen. Als der junge Mann Notizbuch und Stift einsteckte und sich verabschiedete, atmete Rothe erleichtert auf. Endlich allein, keine Fragen mehr, keine mühsamen Antworten.

      Diese Stille wurde eine Stunde später von einem hereinpolternden Bäcker zerrissen. „Ein Supergau. Der Schaden müsste zwischen zweihundert- und dreihunderttausend liegen. Man weiß nicht, wie das Feuer entstanden ist, aber dass es sich sehr schnell ausgebreitet hat, ist sicher. Der Brandexperte wird das untersuchen müssen.“

      Rothe ließ sich die Informationen durch den Kopf gehen. „Was geben die Überwachungskameras her?“

      „Das können wir wohl vergessen. Da ist nichts mehr. Von der Computeranlage neben dem Technikraum ist nicht viel übrig.“

      „Was ist mit dem Verletzten?“, fragte Rothe.

      „Ist nicht bei Bewusstsein. Ich will ja nicht unken, aber den hat es schlimm erwischt, und es sieht nicht gut für ihn aus.“ Neureiter kam mit erhitztem Gesicht hereingestürmt, in den Händen eine Brötchentüte und eine Kaffeekanne.

      „Ich bringe noch Becher“, rief er, stellte das Essen ab und rauschte wieder hinaus. Keine zwei Minuten später war er mit frisch abgewaschenen Bechern zurück. „Bis zur Maisernte hat er alles wieder im Griff. Die Versicherung übernimmt den Schaden.“

      „Du bist ziemlich optimistisch“, sagte Bäcker.

      „Warum denn auch nicht? Wenn es ein technischer Defekt ist?“

      „Wenn es ein denn technischer