Philipp Schiffers

Reisender - über das Reisen in Asien und das Leben in China


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fehlte vielleicht der kleine Finger.

      Wir hatten noch zwei schöne Trips nach Marokko. Einen nach Marrakesch und einen mit dem Bus nach Essaouira. Die Busfahrt dorthin war eine von denen, die mich auf meine späteren Backpackerreisen vorbereiten sollte. Einige Passagiere übergaben sich wegen des Schlenkerwegs und der Fahrweise des Busfahrers ununterbrochen und die Leute saßen einfach weiter auf dem Boden, auf dem sich ein Teich aus Erbrochenem gebildet hatte. Ich hatte ein kleines, krankes Kind auf dem Arm und obwohl ich mich fragte, welche Krankheit ich mir hier wohl holen könnte, war das eine der ersten schönen Individualreiseerfahrungen, die ich machen durfte.

      Meine damalige Freundin und ich wollten nach meiner Ausbildung als Heilerziehungspfleger ein Jahr nach Afrika gehen. Nach dieser ersten Afrikaerfahrung sagte sie aber, sie wolle nicht mehr nach Afrika, und so entschieden wir uns, zusammen nach Indien zu gehen. Sie ist nie mit mir dort angekommen.

      ALLEINE NACH INDIEN

      Die Zeit vor der Abreise verbrachten meine Freundin und ich meist nicht miteinander, da sie ihre Freunde und Verwandten besuchte und ich meine. Sie ließ es sich nicht nehmen, eine große Abschiedsfeier zu veranstalten, da wir dachten, wir würden eine lange Zeit in Asien sein. Wir wollten zuerst einige Wochen durch Sri Lanka reisen und dann nach Indien fliegen.

      Mittlerweile hatten wir bereits eine Rucksackreise durch Malaysia gemacht und waren mit der Grundidee des Backpackings vertraut. Zu den Malaysiahighlights gehörten das Schnorcheln auf Inseln an Malaysias Ostküste, einfache Hikingwege im Taman Negara Regenwald und die verschiedenen kulturellen Viertel von Kuala Lumpur zu erkunden.

      Auf der Reise lief es mit meiner damaligen Freundin noch sehr harmonisch. Wir wollten so viel wie möglich erleben und ausprobieren. Auf Perhentian Island wohnten wir in einer kleinen Holzhütte. Dahinter war ein Fluss, der sich über die Insel schlängelte. Das war auch der Ort, wo einiger Abfall entsorgt wurde.

      Relaxed ging ich hinter die Hütte, um einen Blick auf den Fluss zu werfen, und bekam erst einmal einen Schreck. Ich dachte, ich sei von Krokodilen umzingelt. Es waren aber nur Warane, die völlig ungefährlich für mich waren und sich ein Festmahl aus dem Weggeworfenen der Inselbesucher machten.

      Auch gab es einen verrückten Affen auf der Insel, der sich einmal vor unserer Hütte aufbaute und uns mit Riesenzähnen drohte für den Fall, dass wir herauskämen.

      Ein weiteres Erlebnis war das Schnorcheln an den Korallen, als ich zum ersten Mal einen Haifisch sah. Er wirkte riesig, schwamm mehrmals auf mich zu und drehte dann ganz plötzlich um. Vermutlich war er ziemlich klein, aber das Wasser ließ ihn größer erscheinen und na ja, die Angst fügte eben auch noch ein paar Meter hinzu.

      Harmonischer war da schon das Schnorcheln mit Riesenschildkröten im Südosten. Eines der Tiere wartete immer, bis ich näher kam, und schwamm dann fünfzig Meter weiter, um dort wieder auf mich zu warten. Es war einer von vielen magischen Momenten, in denen ich auf meinen Reisen Tieren begegnen sollte.

      Auf der kleineren der Perhentian Islands hatten wir ein weiteres interessantes Erlebnis. Als wir dort ankamen, war der Strand voll von Frauen, die wie Models aussahen und auch so gekleidet waren. Sie alle sollten kurz nach unserer Ankunft abreisen, wollten aber vorher noch Gruppenfotos mit uns machen. Erst als alle „Cheese!“ riefen, fiel mir auf, dass es Ladyboys waren.

      Als wir später zu zweit unsere große Reise antreten wollten, war das Reiseverhalten meiner Freundin stark verändert. Sie war nicht so sehr aufgeregt und unternehmungslustig wie noch in Malaysia. Das landestypische Essen war für mich eine Offenbarung und sie schob es zur Seite. Wir machten noch einige tolle Erfahrungen, wie eine erste Begegnung mit wilden Elefanten an einem See, an dem sich zur Trockenzeit alle Elefanten der umliegenden Nationalparks versammelten, aber aus unserer Beziehung war irgendwie etwas Anstrengendes geworden.

      Wir fuhren entgegen der Warnungen in den Nordosten des Landes, wo ich erstmals im Leben Straßensperren sah, an denen Soldaten hinter Sandsäcken Maschinengewehre auf uns anlegten.

      An einem Abend nahmen wir eine Autorickshaw in die eigentlich gütliche Stadt Trincomale. Wir hatten zwei Backpacker aus Israel dabei. Irgendwann wurde unser Fahrer sichtlich nervös und als wir fragten, was los sei, sagte er, er wolle um diese Zeit nicht dort unterwegs sein, es sei zu gefährlich. Wir wurden ebenfalls nervös, nur das Pärchen aus Israel blieb lässig entspannt. „Das kennen wir vom Gazastreifen!“

      Ein Fischer erklärte uns, als wir die vielen Häuserruinen sahen, diese seien zur Hälfte das Ergebnis des Tsunamis im vergangenen Winter und zur Hälfte des Bürgerkriegs.

      Wir verbrachten ein paar Tage in der Nähe von Trinco in einem Hotel, das wir uns ohne Bürgerkrieg wohl nicht hätten leisten können. Meine Freundin fühlte sich plötzlich krank und erbrach sich des Öfteren. Da sie auch starke Stimmungsschwankungen hatte, riet ich ihr, auf unserer Reise in den Westen des Landes in einer Apotheke einen Schwangerschaftstest zu holen. Wir hatten ja vor Reisebeginn nicht viel Zeit miteinander verbracht, also war es unwahrscheinlich, aber die Symptome waren eindeutig.

      Sie kam aus dem Badezimmer und sagte, ich solle mich bitte mal setzen, sie habe mir etwas zu sagen. Tobi hieß er, irgendein Student aus Bamberg, mit dem habe sie es getrieben und von ihm sei sie schwanger. Sofort wollte sie zurückfliegen.

      Anstatt wütend zu werden, hatte ich nur Sorgen um sie. Ich begleitete sie nach Colombo, half ihr, einen Rückflug zu buchen, und brachte sie zum Flughafen.

      AUF NIMMERWIEDERSEHEN!

      Meine Reisefreude war erst einmal vorbei. Ich lag in der Unterkunft und starrte den Deckenventilator an. Ich telefonierte so oft es ging mit meiner Schwester, meinen Eltern und zwei guten Freunden und ging mehrmals ins Kino in den Film „War of the World“, den ich gar nicht mochte, um mich abzulenken. Nur an meinem letzten Tag in Colombo ging ich herum, um noch ein paar Eindrücke zu sammeln.

      Im Flieger nach Indien war der Sitz neben mir leer. Ich hatte meine Familie, meine Freunde, meine Band und eine mehrjährige Beziehung zurückgelassen und war unterwegs in ein Land, von dem ich bisher nur klischeehafte Vorstellungen hatte. Dort würde ich eine ganz neue Art von Leben beginnen.

      KOPFSCHÜTTELN

      Mit meiner Band in Deutschland hatte ich Geld für soziale Projekte in Indien gesammelt. Ich hatte eine Adresse von einer Einrichtung der Behindertenhilfe, wo ich arbeiten wollte. Aber erst hatte ich vor, einige Zeit in Trivandrum und Kottayam zu verbringen und die Backwaters zu erkunden. Es dauerte nicht lange, bis ich wieder ein begeisterter Reisender war und endlich wieder Lieder schrieb, die ich auf meiner Reisegitarre spielend sang.

      Die Einrichtung, in der ich damals arbeiten wollte, hielt mich nicht lange. Es war ein katholisches Kinderheim mit Schule für geistig behinderte und autistische Kinder. Der Einrichtungsleiter machte mir klar, dass er das Spendengeld für eine Kirchenorgel ausgeben wolle. (Es war nicht viel Geld, aber aus meiner damaligen Sicht einiges.) Ich habe dann einige Spielsachen und Kleider für die Kinder gekauft und bin nach kurzer Zeit weitergereist.

      Als ich vier Jahre später in Pune in einer katholischen Einrichtung arbeitete, machte ich positivere Erfahrungen.

      ALSO DOCH NICHT ARBEITEN, NUR REISEN …

      Schnell entwickelte ich meine eigene Backpackerphilosophie. Die günstigste Unterkunft war mir gerade recht. Allerdings bin ich kein Schlafsaalfan, da ich gerne einen Platz habe, an dem ich mich zurückziehen kann. Das Alleinereisen war eine Illusion, denn es hat meistens nicht lange gedauert, bis ich eine Begleitung hatte. Backpacker der ganzen Welt reisten mit mir – fast alle mit der Traveler-Bibel, dem „Lonely Planet“, im Rucksack …

      Das Essen in Indien ist bis heute mein Lieblingsessen. Ich liebe Masalla Dosa zum Frühstück und habe mich auch verblüffend schnell an sehr scharfes Essen gewöhnt. Jeder Indienreisende wird am Anfang Durchfall bekommen. Man muss einmal richtig krank vom Essen werden und danach kann man alles essen. Ein Backpackergerücht? Für mich stimmte es. Ich habe Tabletten genommen und bin zwischen Bett und Klo in meinem Hotel in Delhi hin und her gewandelt. Nico, mit dem ich zuvor im Süden