heute ist mir unbegreiflich wie jener Opel Admiral nach jahrzehntelangem Winterschlaf jemals die Hürden einer Straßenzulassung hat überwinden können; es muss an Flammes Überredungskunst gelegen haben, vielleicht auch an den Marmeladen und Obstsäften, mit denen Flamme, zumindest nach meiner Vorstellung, die städtischen Beamten der Zulassungsbehörde für sich hat einnehmen können.
Am Mitleidseffekt, der von dem Fahrzeug zweifellos ausging, allein kann es jedenfalls nicht gelegen haben.
Aber ich will nicht vom Thema abkommen; das wesentliche, vor allen Dingen auch für den Fortgang der Geschichte, ist der Eindruck, den der Wagen bei den unvorbereiteten Zeitgenossen, will sagen Verkehrsteilnehmern, gemacht haben muss, auch unter Einbeziehung von zufällig auftauchenden Fußgängern: Was nämlich für die Militärfahrzeuge des zweiten Weltkriegs in Afrika möglicherweise vernünftig war, die Panzer usw. vor einem entsprechend sandleuchtenden Untergrund möglichst unauffällig fahren zu lassen, bewirkte in unser aller Heimat bedauerlicherweise genau das Gegenteil.
Die farbliche Erscheinung des uralten Opels war, und das kann man so drastisch formulieren, ein Schlag ins Gesicht eines in ästhetischer Hinsicht wohl- und gleichtemperierten Bürgertums, das noch keine Vorahnung haben konnte von den revolutionären, maoistischen Auftritten einer Studentengeneration, welche in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre an den Grundfesten eines bürgerlichen Selbstverständnisses zu rütteln anfing.
Mithin blieb für jeden außenstehenden zufälligen Betrachter die Frage vollkommen unbeantwortet, warum denn jemand, und das offenbar in voller Absicht, dieses an sich schon skurrile Fahrzeug durch jene ungeheuerlich farbliche Missgestaltung so unmittelbar in das Zentrum jedweder Aufmerksamkeit katapultieren wolle.
Auch Menschen, die Flamme zu kennen glaubten, verzweifelten an Erklärungsnot; bis auf Walter, der bezüglich der Flammeschen Sparsamkeitsideologie mit seinem Freund eine gewisse Seelenverwandtschaft spürte.
Er hatte uns gegenüber dessen Sparsamkeit lobend erwähnt, wenn Flamme in uralten Vorkriegsanzügen und Krawatten zu Geburtstagsfeiern erschien und Walter bei einigen Familienmitgliedern eine Tendenz erspürte, sich darüber lustig zu machen. Außerdem sei Flamme weder bei der ersten noch bei der zweiten Ausfahrt zur Mosterei von irgendjemand missbilligend angesprochen worden; es gäbe also nicht den geringsten Grund an Flammes grundanständiger Gesinnung irgendeinen Zweifel zu haben.
Damit sollte das Thema, wie Walter sagte, ein für alle Mal erledigt sein. Er konnte noch nicht ahnen, dass es im folgenden Jahr zu einem unglaublich heiteren Höhepunkt kommen sollte, der sich auf einer unerwarteten dritten Ausfahrt ereignete, zu der sich Flamme und Gertrud nach längerer Planung entschlossen hatten.
Die Reise sollte dieses Jahr siebzig Kilometer weit nach Hannover gehen, um dort die Industriemesse zu besuchen.
Die Nachricht von diesem Vorhaben löste bei allen Familienmitgliedern Betroffenheit aus, denn man war sich sicher, dass die technische Zuverlässigkeit des alten Admirals für eine solche Fahrt keinesfalls ausreichte. Aber weder Gertrud noch der getreue Ehemann ließen sich von dem Vorhaben abbringen oder zu einer Bahnfahrt überreden. Vielmehr vertrauten beide den Rettungsangeboten und Ratschlägen, die meine Familie entwickelte, und so setzten sie sich an einem Sonnabend in Bewegung, ausgerüstet mit Reservekanister, Ersatzbatterie, Zündkerzen und einem Abschleppseil. Es war ein herzlicher Abschied, in den sich die Vorfreude mischte auf ein Wiedersehen.
Das ereignete sich schon am nächsten Tag, und um das wichtigste vorwegzunehmen, ohne dass sich auch nur die geringste technische Störung eingestellt hätte.
Ich muss zugeben, dass ich ohne weiteres gerne von einem hustenden Motor, Reifen- oder Zündkerzenwechsel erzählt hätte, von schwierigen Abschleppmanövern, die man am Ende doch bravourös gemeistert hätte, aber nichts von alledem hatte sich ereignet oder wäre nötig gewesen.
„Wir waren“, so erzählte Flamme, „ allen Ernstes schon in zwei Stunden in Hannover“, dabei lockerte er ein wenig die Vorkriegskrawatte und sah heiter zu Gertrud hinüber.
„Und wie war das Wetter?“, fragte Grete, die an technischen Einzelheiten kein Interesse hatte.
„Und wie war’s auf der Messe?“, ergänzte Walter.
„Das Wetter konnte besser nicht sein“, sagte Gertrud, „aber wir waren ja im Grunde gar nicht …“
„Halt, stopp“, brüllte Flamme, „so geht das nicht“, dabei setzte er sein heiterstes Gesicht auf und lockerte seine Krawatte ein zweites Mal. „Lass mich mal erzählen, ich bin ja schließlich gefahren.“
„Ja, ja, ich weiß“, antwortete Gertrud, die sich durch ihren Ehemann niemals aus der Ruhe bringen ließ, „und fang bitte genau da an, wo die Misere losging!“
„Du darfst nicht von Misere sprechen“, reagierte Flamme, ohne sein Grinsen zu verringern. „Erstens sitzen wir hier gesund und munter, das ist doch wohl das wichtigste und zweitens war ich nicht alleine schuld. Unser Verhalten war ganz eindeutig eine Reaktion auf das Verhalten der anderen.“
„Hattet ihr einen Unfall?“, fragte Grete erschrocken und wurde dabei blasser als gewöhnlich.
„Blödsinn“, sagte Walter, „dann säßen sie nicht hier; erzähle weiter, wir hören zu.“
„Danke“, sagte Flamme und legte seine Stirn in Falten. „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, was heutzutage für Nichtskönner und Sonntagsfahrer unterwegs sind!“
„Du meinst offenbar die übrigen Verkehrsteilnehmer?“, fragte Walter, ohne sich des kritischen Inhaltes seiner Bemerkung bewusst zu sein.
Flamme, der auch in schwierigen Situationen niemals sein Selbstbewusstsein verlor, überhörte die Frage, nahm sich ein Stück Streuselkuchen und lehnte sich mit heiterem Gesicht zurück.
„Ich kann euch versichern, dass das Erlebnis der Gipfelpunkt meiner Karriere als Autofahrer war; letzten Endes bin ich mein Leben lang immer mit äußerster Vorsicht unterwegs gewesen.“
„Du meinst beim Autofahren“, warf Grete ein, die wieder zu ihrer üblichen Blässe zurückgefunden hatte.
„Natürlich“, sagte Flamme und fing an zu lachen.
„Ich erinnere mich noch ganz deutlich an den Grundsatz von Pinkanell, unserem damaligen Fahrlehrer, der uns 1925 einbläute, legt grundsätzlich das Ohr auf die Schienen, um zu hören, ob ein Zug kommt, bevor ihr einen Bahnübergang überquert. Er hat sich übrigens gleich nachdem ich die Prüfung bestanden habe, dermaßen mit der Andrehkurbel die Hand verletzt, dass er den Beruf aufgeben musste.
„Wie kam das denn?“, fragte Grete irritiert.
„Ich vermute“, sagte Flamme, „dass er die Zündung nicht auf spät gestellt hat, dann kam eine Fehlzündung und die Kurbel sauste zurück und ihm um die Ohren. Deswegen haben wir uns auch damals für den alten Admiral entschieden, der nämlich einen hervorragenden Anlasser hat.“
„Ja, ja, das wissen wir schon“, rief Walter ungeduldig dazwischen, „was war denn nun in Hannover los, wie war’s denn auf der Messe?“
„Nun warte doch mal“, reagierte Flamme, „ich erzähle gern der Reihe nach. Es war nämlich so: Es ging plötzlich nicht mehr weiter. Einige Autos hatten uns zuvor überholt, die vermutlich auch zur Messe wollten, übrigens lebensgefährlich leichtfertige Typen dazwischen. Ich meine deren Fahrweise. Und dann standen wir alle, niemand fuhr mehr. Es ist mir schleierhaft warum. Auf jeden Fall konnte ich dafür keinen Grund erkennen. Die Straße machte auch eine leichte Kurve, ich konnte nicht allzu weit sehen. Vor uns stand ein Borgward mit Kindern drin, die zeigten auf unser Auto und feixten. Davor ein Mercedes und dann ein Olympia und ich weiß nicht, wie viele noch, vielleicht zwanzig andere. Aber keiner fuhr auch nur einen Millimeter. Erstaunlich war nur, dass niemand von vorne kam.“
„Das mit den feixenden Kindern kann ich mir erklären“, sagte Grete, „es muss an eurem Wagen gelegen haben. Wer fährt heute noch einen Vorkriegswagen und dann noch in einer so dezenten Lackierung?“
„Nein“, antwortete Flamme, „daran