der Sekretärin abgelenkt war.
An einem Freitag sind diese Aufgaben gemäß eines unserer Bürogesetze bis zum frühen Nachmittag umsetzbar. Je näher jedoch der Feierabend rückt, umso schwieriger gestaltet sich die Chance, Geschäftspartner zu erreichen. Diese sinkt schließlich gegen Null.
Das kräftige „Hallo“ meiner Frau riss mich aus meinen Überlegungen. Es kam so plötzlich und unerwartet, dass ich die Abspulroutine des „Arbeitsaufgabenbereichs bei schönem Wetter“ unverzüglich unterbrach und auf Erwartungsmodus umschaltete.
„Was ist passiert?“
Ich wandte mich in Richtung meiner mit mir verheirateten Kollegin, die hinter ihrem Computerbildschirm offensichtlich an Höhe gewonnen hatte. Ihr Kopf ragte auf einmal über das EDV-Equipment hinaus und war klar und deutlich und in voller Größe zu erkennen. Piloten können bei unvorhergesehen eintretenden Ereignissen anhand ihres Bordhandbuchs die für den Sonderfall vorgesehenen Checklisten prüfen und diese Punkt für Punkt abarbeiten. Einen Simulator oder ein entsprechendes Bordhandbuch für besondere Situationen gibt es für Arbeitsvermittler nicht. So ging ich intuitiv an die Sache ran. Vergewissernd, dass das schöne Wetter noch anhielt, die Temperatur nicht übermäßig angestiegen war, konnte ich zunächst eine Fata Morgana innerhalb unseres Büros ausschließen. – Abgehakt, es handelte sich nicht um irgendeine Erscheinung.
Also musste es einen anderen Grund geben, der das sekundenschnelle Anwachsen der mir Gegenübersitzenden ausgelöst hatte.
Mit meiner in den Jahren gewachsenen „Büro-Forensik-Erfahrung“ und der damit verbundenen Kombinationsfähigkeit konnte die Ursache nur im laufenden Gespräch liegen. So entschloss ich mich, meine Aufmerksamkeit auf das geführte Telefonat zu richten.
„Ja, dann telefonieren wir besser nochmals am Montag. Erreiche ich Sie dann auch zu Hause?“, setzte meine Frau soeben ihr Gespräch fort. Die Antwort musste positiv ausgefallen sein, ich vernahm deutlich: „Gut, dann rufe ich Sie gegen neun Uhr vormittags an.“
Etwas seltsam kam mir dann aber doch das Ende des Telefonats vor: „Dann wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende, gute Erholung und viel Spaß!“
Gute Erholung und viel Spaß? Also krank und doch belustigt?
„Was war das denn?“, fragte ich neugierig nach.
„Oh, mach dir dazu keine Gedanken, es ist schönes Wetter, somit stellen wir mal wieder das Schönwetter-Vermittlungshemmnis-Phänomen fest, das du mir doch ständig bei dessen Eintreten predigst!“
Eine schon fast vorwurfsvoll anmutende Antwort meiner mir gegenübersitzenden, leicht grinsenden Kollegin.
„Das war eine Bewerberin auf die Verkaufsposition in Grömitz, die sich heute über E-Mail beworben hat. Sie hatte aber jetzt keine Zeit, mit mir zu sprechen, da sie im Strandkorb sitzt und sich von der Sonne eine dunklere Pigmentierung verpassen lässt! Das ‚Hallo’ entschlüpfte mir, als sie mir mitteilte, dass sie, statt über Arbeit zu sprechen, doch lieber am Strand liegen wolle, wobei ich eigentlich nur stören würde.“
Eine Antwort, die keine weiteren Fragen offenließ und erneut bestätigte, dass schönes Wetter kontraproduktiv für eine zügige Vermittlungstätigkeit ist. Blieb die Frage: „Hat die Bewerberin denn überhaupt echtes Interesse?“
Wir entschlossen uns, dieses am Montag zu klären, und uns keine weiteren Gedanken zu machen. Die machte sich die Bewerberin ja schließlich auch nicht.
Leider geht es uns immer wieder so, dass wir das Wochenende gefühlsmäßig ausblenden und dem Eindruck erliegen, wir würden uns unmittelbar nach Verlassen des Büros am Freitagnachmittag nahtlos montags früh wieder dort einfinden. Wir stellen uns Woche für Woche immer wieder die gleiche Frage: „Wo ist eigentlich das Wochenende geblieben?“
Unser Kalender scheint falsch zu sein, unsere Woche verfügt nur über fünf Tage, Samstag und Sonntag existieren nicht. Aber das ist eben nur ein Eindruck, denn die Wochenenden gibt es ja schon und zwar für diejenigen, die an diesen Tagen arbeiten müssen. Diese Erfahrung habe ich selbst in der Vergangenheit über mehrere Jahre gemacht.
Der Montag hatte begonnen und wir saßen über der allwöchentlichen Morgenbesprechung, die allgemein mit der Prüfung der „To-do-Liste“ beginnt:
1 Wetter prüfen: es nieselt – gute Grundvoraussetzung.
2 Bewerberin vom Freitag anrufen – nicht so gute Ausgangsposition.
3 Am Wochenende eingegangene Bewerbungen sichten, prüfen, bewerten, bearbeiten.
Und so weiter und so weiter und so weiter …
Nachdem wir noch schnell ein paar Informationen ausgetauscht hatten, reanimierten wir unseren Arbeitsbereich aus dem Wochenendkoma und starteten in den gewohnten Vollmodus gemäß dem Motto: „Good morning, Vietnam“, aus dem gleichnamigen Spielfilm.
„Wieso erreiche ich denn nur die Bewerberin nicht? Wir hatten uns doch am Freitag telefonisch verabredet!“, konstatierte meine Frau ärgerlich, zog die Schultern hoch und legte den Hörer wieder auf.
„Vielleicht befindet sie sich ja gerade an einem Ort, wo sich nur selten ein Telefon befindet?“, lächelte ich beschwichtigend.
„Quatsch, wir haben klar und deutlich neun Uhr abgemacht. Wenn es einer ernst mit seiner Bewerbung meint, kann ich wohl erwarten, dass er auch zur verabredeten Zeit zur Stelle ist!“
„Versuch es doch noch mal und warte ab, bis die Verbindung automatisch abgebrochen wird. Wenn du das mehrmals im viertel- oder halbstündlichen Abstand probiert hast und deine Bewerberin immer noch nicht erreichst, kannst du sie direkt in der KDV∗ ablegen. Das Interesse deiner Kundin wird dann gar nicht so sehr ausgeprägt sein.“
In der KDV werden alle jene Vorgänge erfasst, die noch nicht in die Vermittlung aufgenommen worden sind beziehungsweise aus verschiedenen Gründen bislang nicht aufgenommen werden konnten. Bei hoffnungslosen Fällen heißt diese Ablage scherzeshalber „Kannst-du-vergessen“-Datei. Hier landen nämlich auch alle die Bewerber, die bislang nicht erreicht werden konnten, deren Kontaktdaten nicht korrekt sind, die erhebliche Einschränkungen in Flexibilität aufweisen oder sich durch andere abenteuerliche Begründungen disqualifizieren.
Gerade da fiel mir dunkel ein, dass wir doch vor etwa drei Monaten eine Bewerbung erhalten hatten, in der die persönliche absolute Flexibilität besonders hervorgehoben wurde, wobei deren besondere Ausgeprägtheit in eindrucksvoller Weise präzisiert wurde. Um meinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, fischte ich mir noch mal die entsprechenden Daten aus der KDV.
Ach ja, ich erinnerte mich nun, die Ausschreibung gab vor, dass sowohl der Samstag als auch der Sonntag als Arbeitstag vorgesehen waren. Und selbst im Bewerbungsanschreiben wurde dies zumindest erwähnt. Endlich hatte ich das Schreiben in der Hand. Mit einem Schmunzeln las ich folgende Zeilen:
Sehr geehrte Damen und Herren,
über Ihre Internetseite bin ich auf das Stellenangebot „Verkaufshilfe in Vollzeit gesucht“ aufmerksam geworden.
Da ich alle Voraussetzungen, wie die flexible Einsatzbereitschaft in allen Schichten innerhalb der Öffnungszeiten (werktags von 8–20 Uhr), uneingeschränkt erfülle und etwas Verkaufserfahrung mitbringe, möchte ich mich auf die ausgeschriebene Stelle bewerben.
So bin ich wie folgt flexibel einsetzbar:
Montag von 9.30–13.00 Uhr,
Dienstag von 10.00–12.30 Uhr,
mittwochs geht leider nicht,
Donnerstag 10.00–14.30 Uhr und
Freitag 9.00–12.00 Uhr.
Samstag ist Familientag, aus familiären Gründen schließe ich für mich die Arbeit am Wochenende generell aus.
Sollte meine Bewerbung von Interesse