Oliver Tanzer

Umverteilung neu


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Verkehrs, sondern zum Selbstzweck zu verwenden und so zum Vater anderen Geldes zu machen.“28

      Für Aristoteles ist das „Chrematistik“, die „widernatürliche Erwerbskunst“. „Denn das Geld ist um des Tausches willen erfunden worden, durch den Zins vermehrt es sich aber durch sich selbst. Das Geborene ist gleicher Art wie das Gebärende und durch den Zins entsteht Geld aus Geld. Diese Art des Gelderwerbs ist also am meisten gegen die Natur.“29 Zur Erläuterung der Folgen der Geldgier führt Aristoteles seinen Schülern das sagenhafte Schicksal des König Midas vor Augen, der sich wünschte, alles von ihm Berührte in Gold zu verwandeln, und dabei übersah, dass er ja auch sein Essen berühren musste, und so vor goldenen Schüsseln verhungerte.

      Die für Aristoteles ungewöhnliche Schärfe der Kritik entspringt vermutlich seiner Überzeugung, dass es vor allem die Chrematistik sei, welche die von ihm geforderte Gerechtigkeit im Staate gefährde. Solchen Missbrauch, „Wucher“, sagt Aristoteles dazu, müsse der Staat bestrafen. Um allen moralischen Defekten vorzubeugen, sollten wichtige Berufsgruppen wie Soldaten und Ärzte gänzlich vom unnatürlichen Gelderwerb ausgeschlossen sein: „Die Tapferkeit soll nicht Geld verdienen, sondern Mut erzeugen, und auch die Feldherrenkunst und die Medizin sollen dies nicht, sondern Sieg und Gesundheit verschaffen.“30

      Der Staat solle darüber hinaus die Verteilung von Gütern, die Einhebung von Steuern, die Verteilung von „Ämtern und anderen Dingen“ überwachen.31 Und zwar nicht in der Form, dass alle Menschen gleich viel haben sollten, sondern, dass jeder das Seine erhalte, sodass die „Proportion“ des gesellschaftlichen Ranges und Verdienstes der Bürger gewahrt bleibe. Das ist der entscheidende Kontrapunkt zum kollektivistischen Modell Platons. Gemeineigentum ist Unsinn, meint Aristoteles: „Wenn jeder für das Seinige sorgt, werden keine Anklagen gegeneinander erhoben werden, und man wird mehr vorankommen, da jeder am Eigenen arbeitet.“32

      Und doch gibt es einen Ausgleich. Der Reiche erhält zwar mehr an Ehren als der Arme. Aber wer mehr Geld und Ruhm hat, zahlt auch mehr: „Es widerspricht daher auch nicht der Gerechtigkeit, wenn der Reiche hohe, der Arme niedrige Steuern zahle.“33 Aristoteles nennt das die „austeilende Gerechtigkeit“.

      Die gesellschaftliche Harmonie über den Staat herzustellen, ist für den Philosophen übrigens Grundvoraussetzung dafür, dass die Gemeinschaft funktioniert. Es ist eine immerwährende Verpflichtung, soll die Gemeinschaft nicht untergehen. Nicht der Tyrann, sondern der vollkommene Egoist ist für Aristoteles dabei der wahre Feind der Gesellschaft: „Der von Natur aus unstaatliche Mensch ist entweder ein Untermensch oder ein Übermensch“34 – und beide taugen nicht zum Gemeinwesen.

      Daraus folgt das letzte warnende Credo: „Von Natur aus ist in allen Menschen der Trieb zur staatlichen Gemeinschaft der Urheber der größten Güter. Denn wie der Mensch in seiner Vollendung das vornehmste Geschöpf ist, so ist er auch bar der Gesetze und des Rechtes das schlechteste von allen. Deshalb ist er ohne Tugend das ruchloseste und roheste und bezüglich der Liebe und Gaumenlust das gemeinste Geschöpf. Denn die Gerechtigkeit ist staatlich.“35

      Aristoteles erging es wie so vielen athenischen Größen. Nachdem er die Stadt mit seiner peripatetischen Schule zur Metropole des Geistes gemacht hatte, wollten ihm einige Bürger 323 v. Chr. wegen Religionsfrevel den Prozess machen. Aristoteles floh nach Chalkis. Ein Jahr später im Alter von 63 Jahren starb er, angeblich Sokrates nachahmend, durch den Schierlingsbecher.

      Die Gedanken von Platon und Aristoteles über Wirtschaft und Gesellschaft werden Philosophen und Gelehrte der kommenden Jahrhunderte maßgeblich beeinflussen: Thomas von Aquin, Karl Marx und Adam Smith, um nur einige wenige zu nennen. Während Aristoteles das Mittelalter prägt, ist Platon der Philosoph von Reformation und Renaissance. In beiden Lehren wurzeln die heute geübten Staats- und Wirtschaftsformen: Kapitalismus, Sozialismus und die soziale Marktwirtschaft.

      Damit verlassen wir Griechenland und wenden uns der römischen und frühchristlichen Zeit zu. Wir lassen auch Diogenes zurück, der uns mit einer seiner ätzenden Sentenzen verabschiedet: Weshalb Gold eine so blasse Farbe habe, will er wissen. Und als wir bloß die Achseln zucken, antwortet er grinsend: „Weil es die vielen fürchtet, die hinter ihm her sind.“36

       Die Eroberung

      193 v. Chr. fallen mit der Eroberung Korinths Griechenlands Herz, seine Kultur, sein Erbe an ein Volk, das sich aus einer Gesellschaft von Schweine- und Rinderhütern binnen weniger hundert Jahre zur Weltherrschaft aufgeschwungen hat: an die Römer. Die Schlachten und Armeetaktiken, welche die Römer zur Herrschaft führten, werden seit Generationen im Geschichtsunterricht gelehrt und müssen hier nicht wiederholt werden. Für unsere Überlegungen ist eine Darstellung der gesellschaftsprägenden Gedanken dafür umso wichtiger.

      Die zentrale Lehre der römischen Philosophie basiert auf der griechischen Stoa, deren Hauptvertreter Zenon von Kition (333 – 264 v. Chr) war. Der Staat ist demnach – so wie das übrige Weltall – eine Einheit, die von göttlicher Vernunft durchwaltet wird. Menschen seien einander in Liebe verbunden und allein dadurch schon soziale Wesen. Sittliches Verhalten bedeute nichts anderes als die Einordnung des Menschen in den Logos und in den Staat. Recht und Vernunft seien dem Menschen angeboren. Diese natürliche Vernunft soll nun nicht nur wie von unsichtbarer Hand die Gesellschaft, sondern auch die Wirtschaft leiten.

       Römischer Realismus

      Der Römer ist diesen Grundsätzen entsprechend kein philosophischer Mensch, der eine Theorie für sein Handeln suchen würde. Es reicht ihm, die Realität mit Gesetzen und Richtersprüchen zum Wohle des Ganzen regeln zu können. Er schafft Recht, so wie es ihm die Notwendigkeit aufträgt, von Fall zu Fall. Diese Herangehensweise gilt auch für die Wirtschaft. Für den täglichen geschäftlichen Umgang miteinander ist das wohl ein taugliches Modell, aber es führt immer dann zu Schwierigkeiten, wenn sich ökonomische Probleme ergeben, die das gesamte Reich betreffen und deren Bekämpfung eine tief greifende Analyse voraussetzen würde, wie das etwa bei inflationären Preisentwicklungen der Fall ist. Deshalb hatten die Kaiser bis herauf zu Diokletian, also bis zur Wende vom 3. zum 4. Jh. n. Chr., solchen Ereignissen oft nicht viel mehr entgegenzusetzen als untaugliche Höchstpreisedikte.

      Aus heutigem Blickwinkel betrachtet war das Römische Reich eine gigantische Verteilungs- und Umverteilungsmaschinerie: eine globalisierte Ökonomie, freilich nicht in dem Sinne, dass die Warenströme frei gewesen wären, sondern dass sie von der Peripherie zum Herzen des Reiches flossen, nach Rom und in die anderen Metropolen des Reiches.

      Rom ist das Zentrum von Handel und Finanzen. Auf dem Forum Romanum gibt es schon im 4. Jh. v. Chr. einen eigenen Gebäudekomplex für die Geldwechsler und Verleiher (faeneratores). In diesem macellum besorgen sich vor allem Händler Geld für ihre Geschäfte und zahlen dabei je nach Risiko einen Zinssatz von bis zu 33 Prozent. Der Zins auf reine Konsumkredite ist zu dieser Zeit gesetzlich mit 12,5 Prozent gedeckelt. Der Bankier, der argentarius, ist schon ab dem 2. Jh. v. Chr. nicht nur ein Wechsler, sondern auch ein Depositenhändler.

      Das Geld schmiert den Welthandel. Ostia, der größte Hafen der Antike, kann 200 Schiffen gleichzeitig als Umschlagplatz für die geladenen Reichtümer aus aller Welt dienen. Ein tausende Kilometer umfassendes Straßennetz verbindet die Provinzen mit den großen Hafenstädten. Die Flüsse Europas werden intensiv als Verkehrswege benutzt, und zwar vom Nil im Osten bis zum Quadalquivir in Hispanien im Westen. Bis nach Indien und China reichen die römischen Handelsbeziehungen zu Wasser und zu Land. Das Bruttonationalprodukt des Römischen Reiches ist von zahlreichen Historikern unterschiedlich berechnet worden. Die jüngsten Studien dazu stammen aus dem Jahr 2009 und ergeben für das Jahr 14 n. Chr. bei 60 Millionen Einwohnern ein Einkommen (Äquivalent 1990) von 620 US-Dollar pro Kopf und Jahr.37

      Dieser Betrag entspricht nach heutigem Äquivalent also weniger als zwei US-Dollar pro Tag. So wenig erwirtschaften aktuell nur die Bewohner der ärmsten Staaten der Welt (Eritrea, Mosambik etc.).