an und starrte eine Ewigkeit auf die Kiste. In ihr hatte sie alles über ihre kleine Schwester gesammelt: Zeitungsausschnitte, Zeugenaussagen, den Ausschnitt der Stadtkarte mit dem Fischmarkt, Fotos, die sie damals gemacht hatte – eine kleine Schatztruhe mit Erinnerungen.
Schmerzhaften Erinnerungen.
Entschlossen zog sie an ihrer Zigarette, dann öffnete sie sie und holte einen Schwung Notizzettel heraus – die Zeugenaussagen, die unmittelbar nach der Entführung aufgenommen worden waren. Ein Fischhändler meinte, einen Mann beobachtet zu haben, der vor der Entführung mit einem dunkelhäutigen Kind, ähnlich dem vom Fischmarkt, gesprochen hatte, eine Barfrau behauptete steif und fest, Viola kurz danach gesehen zu haben. Eine holländische Familie hatte eine verdächtige Gruppe Halbwüchsiger auf Mopeds erspäht – alles Spuren, die ins Leere liefen. Emma durchsuchte weiter den Karton. Sie fand eine Fotoreihe, Aufnahmen vom Fischmarkt, entnommen verschiedenen Touristenkameras nach der Entführung. Doch auch hier: keine Hinweise. Schließlich stieß sie auf Briefe, die andere Betroffene damals ihrer Mutter geschrieben hatten: eine französische Mutter, deren Kind in einem Kino entführt worden war. Eine belgische Familie, deren Sohn beim Stadtspaziergang durch Aix-en-Provence abhandengekommen war. Dokumente unbeschreiblicher Verzweiflung. Auf einem karierten Blatt hatte Emma damals eine Zeitleiste der Entführungen skizziert. Zwei Dutzend solcher Fälle hatte es in den Achtzigerjahren in Südfrankreich gegeben. Doch dann schien die Entführungsreihe plötzlich vorbei zu sein. Warum? Ein kranker Serienmörder, der es auf Kinder abgesehen hatte und auf einmal starb? Ein Krimineller, der die letzten zwanzig Jahre wegen irgendetwas anderem in Haft gesessen war und jetzt, wieder auf freiem Fuß, munter weiter Kinder verschleppte? Fragen über Fragen! Auf die sie heute keine Antwort mehr finden würde. Sie nahm die angebrochene Flasche und die Gitanes mit in ihr Schlafzimmer und trank sich in einen unruhigen Schlaf.
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