Lisz Hirn

Geht's noch!


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wesentlichsten politischen Werte des konservativen Weltbilds ist das Modell des »strengen Vaters«. In der sogenannten »Strict-Father-Family« wird der Unterschied zwischen moralisch richtigem und falschem Verhalten durch Strafe gelehrt. Das konservative Menschenbild geht davon aus, dass Menschen nicht nur an sich ungleich sind, sondern auch mithilfe von Autoritäten zu ihrem Besten erzogen werden müssen. Nach dieser Logik heißt das: Wer es nicht zu Wohlstand und sozialer Anerkennung bringt, hat einfach zu wenig Disziplin gehabt, um sich in die Hierarchie zu fügen.

      Die Rechnung ist demnach einfach: »Die da oben sind fleißig, gescheit und talentiert. Die da unten sind dumm, faul und unfähig.« So können die biedermännischen Profiteure diesen Verdienstadel hervorragend legitimieren. Ihre meritokratische Ideologie, nach der Status und berufliche Positionen nach Leistung und Qualifikationen vergeben werden, bestimmt eine Gesellschaft der Ungleichheit, in der es derartige Vermögens- und Einkommensunterschiede gibt. Auf diese Weise lässt sich nicht nur der Status quo argumentieren, sondern auch ein abgespeckter Vater Staat, der ausschließlich denen helfen soll, die sich seiner Hierarchie unterwerfen: Gott über Menschen, Einheimische über Ausländer, die christliche Religion über die anderen Religionen, Männer über Frauen.

      Konservative Politik soll den »strengen Vater« als Familienerhalter unterstützen, indem sie ihn stärker macht – gegenüber fremden Kulturen oder auch gegenüber Feministinnen.

      Dabei bauen die konservativen Brandstifter nicht nur Widerstand gegen die Emanzipation als solche auf, sondern brandmarken die Gleichstellung der Frau als männer- und familienfeindliche Ideologie, die das Wohl der Männer, Kinder und sogar das der gesamten Gemeinschaft bedroht. Nehmen wir nur die Frauenquoten für Spitzenpositionen als Beispiel. Angesichts der Tatsache, dass wir nach wie vor de facto eine bis zu 90-Prozent-Männerquote in Führungspositionen haben, wirkt diese »Bedrohung der Familienerhalter« geradezu paranoid.

      Dennoch ist die konservative Message immer die gleiche: »Wenn du deine Autorität bedroht siehst, musst du etwas ändern. Also zum Beispiel das liberale Establishment abwählen.« Die Zahlen der letzten österreichischen Bundespräsidentenwahl beweisen, dass die konservative Offensive erfolgreich vorgearbeitet hat. Im Mai 2016 wählten in einem fortschrittlichen, modernen europäischen Land wie Österreich in der Stichwahl 46 Prozent einen Kandidaten des rechten Lagers. Auch wenn Norbert Hofer knapp unterlag, konnten die Brandstifter einen Erfolg feiern. Fast die halbe österreichische Bevölkerung hatte einen extrem rechten Kandidaten gewählt. Und diesmal waren auch richtig viele Frauen dabei. Damit aber nicht genug. Ein Jahr später, 2017, beantworteten in einer Umfrage des SORA-Instituts nur 78 Prozent der österreichischen Befragten die Frage »Ist Demokratie die beste Regierungsform?« mit einem Ja. Zehn Jahre davor waren es noch 86 Prozent gewesen. Einige Zahlen, die belegen, dass die Demokratisierung der Gesellschaft, die so wesentlich für den Erfolg der Frauenbewegungen war, immer öfter infrage gestellt wird und damit auch die Idee der Freiheit in demokratischen Gesellschaften, die die uneingeschränkte Toleranz gegen rückschrittliche Bewegungen ausschließt. »Und gehören nicht alle Versuche und Doktrinen, Menschen und Gesellschaften wieder mehr voneinander zu trennen zu diesen Rückschritten?« Herbert Marcuse hat diese Fragen in seinem Essay »Repressive Toleranz«8 behandelt und bejaht. Das Adjektiv »rückschrittlich« hat er treffend gewählt. Es verdeutlicht, dass Bewegungen, die anderes nicht tolerieren wollen, kein Interesse haben, Schritte auf einen Dialog hin zu machen. Sie wollen einen oder mehrere Schritte zurück, oft in eine fiktiv überhöhte Vergangenheit, in der die Herrschaftsverhältnisse noch sicher in Männerhand waren.

      Diese Verunsicherung befeuert die Sehnsucht nach dem »Früher«, nach der alten Ordnung, nach einer Welt, die weniger komplex war und nach einfachen Regeln funktioniert hat. Und die Lage wird sich voraussichtlich verschärfen. Das Ausmaß an Druck, das durch die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung auf unsere Geschlechterverhältnisse zukommt, ist kaum einzuschätzen. Schon der Philosoph und Historiker Walter Benjamin wusste, dass sich mit den neuen Medien auch die Gesellschaft ändert. Nichts ist mehr gewiss und so spüren wir, wie traditionelle und liberale Weltbilder, Geschlechterrollen und Klassenprivilegien (nicht nur digital) härter denn je aufeinanderprallen.

       RENAISSANCE DER SEHNSUCHT NACH DEM STARKEN MANN?

      So zeigte eine während der österreichischen Präsidentschaftswahl 2016 durchgeführte Studie des »Zentrum für Politische Bildung«, dass es nicht nur Abstiegsängste sind, die junge Männer in die Hände der Rechtspopulisten treibt.9 Die Studienautoren Georg Lauß und Stefan Schmid-Heher wollten von 700 männlichen Wiener Lehrlingen wissen, wie sie das politische System erleben, was sie von Demokratie im Allgemeinen halten und wie sie ihre beruflichen Chancen bewerten. Befragt wurden angehende Köche, Kfz-Mechaniker, Tischler, Banckaufleute und Friseure. Wenn einer der Autoren schreibt, dass sich diese jungen Männer »anscheinend nach einem starken Mann sehnen, der für sie ihre Welt ordnet«, vermutet man hinter dem Wunsch zu Recht die Sehnsucht nach einer unhinterfragten männlichen Autorität, die sie zu den Wahlurnen und in die Arme der Rechtskonservativen treibt.

      Rechtspopulistische Politik verteidigt die privilegierte Rolle des Mannes in einem liberalen System, das den Wendigen und Erfolgreichen Chancen, den weniger Flexiblen jedoch vor mehr Herausforderungen stellt. Beispielsweise eine Partnerin zu finden, die sich seinen Bedürfnissen unterordnet und seinen Anteil an der Reproduktionsarbeit (Haushalt, Kinder) übernimmt. Vielleicht war es von den Progressiven und Linken naiv zu glauben, dass jeder Mann seine Position bereitwillig an eine fachlich ebenso kompetente Frau abgibt und daheim freiwillig die Hausarbeit übernimmt. Ebenso zynisch war es, die Frauen in die Verantwortung zu nehmen, selbst nachzuforschen, ob sie schlechter bezahlt werden als ihre Kollegen. Viel eher hätten sie sich ein Beispiel an Island nehmen sollen, wo seit Januar 2018 per Gesetz gilt, dass es die Pflicht der Unternehmen ist, eine faire Bezahlung ihrer weiblichen und männlichen Angestellten zu dokumentieren. Während sich andere Länder wie Deutschland das kleine Island bereits zum Beispiel nehmen, unternimmt Österreichs Regierung vorerst keine weiteren Schritte dazu.

      VON DER »NATÜRLICHEN ROLLENVERTEILUNG« UND IHREN FOLGEN

      Ein weiterer Indikator für die fortschreitende konservative Offensive ist, dass die wachsende ökonomische und digitale Zersplitterung wieder mehr Menschen in die traditionellen Rollenbilder treibt. »Angesichts all dieser Umwälzungen und Unsicherheiten ist die Versuchung groß, sich auf die gute alte Mutter Natur zu berufen und die Ambitionen der vorangehenden Generation als Verirrung anzuprangern«,10 wettert die französische Historikerin und Philosophin Elisabeth Badinter in ihrem Buch »Der Konflikt«, das eine breite internationale Debatte auslöste. Biedermänner stützen sich darauf, die Ursache der Geschichte in der Natur anzusetzen. Die natürliche Keimzelle alles Gesellschaftlichen ist demnach die Familie. Sie gilt im konservativen Wertekonzept als etwas Natürliches, allerdings nur in der traditionellen Form: Mutter – Vater – Kind. Ein Mann und eine Frau heiraten, bekommen Kinder und bleiben zusammen, bis dass der Tod sie scheidet. Das ist das konservative »Naturgesetz«, aus dem auch die männliche Identität abgeleitet wird. Zu dieser gehört das unbewusste Bedürfnis, das eigene Geschlecht aufzuwerten, indem Weiblichkeit abgewertet wird. »Sich als einzelner Mann von dieser Konstruktion abzugrenzen ist schwer. Die Ambivalenz gegenüber Frauen prägt sich dem kleinen Jungen ein – und erfährt immer wieder Nachprägungen,« erzählt der deutsche Soziologe Rolf Pohl über seine Erfahrungen. Nach wie vor gilt hier die Formel: Das Leben ist nicht gerecht, und für die meisten Männer ist das gut so. Was sie eint, sind nicht die Status- und Rangkämpfe untereinander, sondern die Abgrenzung zu »den Frauen«. Kein Mann würde eine Frau sein wollen, aber findet es praktisch, dass es Frauen gibt.

      Dieser Logik folgend ist es den Konservativen allerorts ein Dorn im Auge, wenn das Konzept der Geschlechterrollen hinterfragt wird. Sie wissen, dass mit der Kritik an den Biologismen auch ihr Familienbild unter Beschuss gerät. Schließlich untersucht die wissenschaftliche Geschlechterforschung die soziale Abhängigkeit von Rollenbildern. Es geht darum, abzustecken, inwiefern und wie stark soziale Normen festlegen, was innerhalb einer Gesellschaft als männlich und weiblich gilt. Es ist also kein Zufall, sondern konservatives Programm, dass die ungarische Orbán-Regierung Fächer wie »Gender Studies« diffamiert. Diese Studienrichtungen würden die »Fundamente der