Vahid Monjezi

Meine Geparden sind auf dem Weg


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      Ich sah, wie in Yalda die Wut emporkroch. Mit Rage in ihrer Stimme fuhr sie Khozeymes Frau an.

      Yalda: „Lass ihn! Ich habe gesagt, dass er zu mir kommen soll.“

      Khozeymes Frau: „Erstens sollst du deine Haare verhüllen, um dich nicht zu versündigen, und zweitens ist hier eine Trauerfeier und keine Party.“

      Yalda stand auf, stellte sich Khozeymes Frau direkt gegenüber und schaute bös in ihre Augen.

      Yalda: „Das ist unser Haus, was machen Sie überhaupt hier?!“

      Khozeymes Frau: „Püühhh, was ich hier mache?!… Das weiß jeder in diesem Viertel.

      Ich bin von der Märthyrerverwaltung. Alle Trauerfeiern sind meine Arbeit. Den Koran austeilen und wieder einsammeln. Mullah und Grabredner organisieren.

      Schwarze Banner besorgen, den Altar für den Märtyrer herrichten und all das was noch dazu gehört, ist meine Arbeit. Das alles ehrenvoll und islamisch abläuft. Hast du das kapiert?

      Jetzt wickel dein Kopftuch um deine Haare.“

      Yalda suchte mit ihrem Blick nach irgendetwas. Vielleicht suchte sie ihre Mutter, die in dem Durcheinander verschwunden war.

      In einer Ecke des Hinterhofes kochte eine Frau auf dem offenen Feuer die Süßspeise Halwa(11).

      Khozeymes Frau hielt Yalda immer noch das Kopftuch direkt vor die Nase.

      Plötzlich riss Yalda es ihr aus der Hand, rannte zu dem Halwa-Kessel, schaute kurz zu uns und warf das Kopftuch ins Feuer. Es ging in Flammen auf.

      Ein Schrei der Entrüstung kam von Khozeymes Frau: „Neieeeen, du Sünderin! Was für eine Schandtat! Na warte, ich geh jetzt zu deiner Mutter und werde für dich eine Suppe kochen, die du so schnell nicht wieder auslöffeln wirst.“

      Yalda lächelte mir zu und zeigte mit ihrer kleinen Hand, wie sie die Suppe auslöffelt.

      Aus Wut darüber, dass Yalda sie nachäffte, biss Khozeymes Frau die Zähne zusammen und kam zu mir. Ich winkte Yalda, sie lachte und ich rannte aus dem Haus.

       Manchmal spielt das Leben ein schönes Lied.

       Aber was mache ich mit Füßen, die nicht tanzen können.

      Morshed(12) der Meister, schlug mit der Hand an die Schelle: „Kling, kling.“ Seine schmalen, langen Finger tanzten auf der Trommel und gaben die Zurkhaneh (13) zum Sport frei.

      Die Athleten kamen mit ihren knielangen Hosen in den Ring. An den Beinseiten war ein Ornament aufgestickt, das eine gebogene Zeder symbolisierte, das Zeichen für Demut.

      Der Ring der Zurkhaneh war achteckig mit einem Holzboden, der einen Meter tiefer lag als der Fußboden des Gebäudes.

      Der Rand war mit kobaltblauen Fliesen bedeckt.

      Die Athleten liefen in synchronem Tempo zum Ring. Sie verbeugten sich am Eingang des Ringes und küssten symbolisch den Boden. Sie schauten zu Morshed, der ihnen mit einem Zeichen die Erlaubnis zum Betreten des Ringes gab. Morshed sang ein Lied aus dem Schahname, dem Königsbuch. (14)

      Wie hebt der wortkundige Landwirt an,

      wer zuerst die Krone der Welt gewann?

      Wer setzte sich auf das Diadem?

      Weiß niemand mehr zu erzählen von ihm?

      Vielleicht hat’s vom Vater gehört der Sohn,

      und gibt dir der Reihe nach Kunde davon:

      Wer zuerst den Namen der Herrschaft erkor,

      und all jenen Mächtigen schritt zuvor?

      Der Forscher in dem Altertumsbuch,

      der von den Helden kund tut den Spruch. (15)

      Morsheds Stimme schallte als Echo von der gewölbten Decke zurück. Rund um das Gewölbe der Zurkhaneh waren achteckige Fenster mit Bleiverglasung eingebaut. Das Sonnenlicht schien in glänzenden Farben auf den Ring und reflektierte sich in dem Gewölbe.

      Morshed war damals 50 Jahre alt. Er hatte eine starke und glasklare Stimme, mit der er jeden Zuhörer sofort begeistern konnte. Er war viele Jahre in dieser Zurkhaneh der Meister und beherrschte perfekt das Zusammenspiel seiner Stimme mit der Trommel, so dass alle Athleten allein durch diese Harmonie beflügelt wurden.

      Seitlich des Ringes war die Kanzel, auf der Morshed mit seiner flachen Trommel saß. In Kopfhöhe vor ihm hing die Schelle. Ringsherum die Bilder der persischen Helden aus vergangenen Zeiten. Man sah den Helden ihre Kraft förmlich an, mit ihren Muskeln und blanken Oberkörpern zeigten sie sich in verschiedenen Posen.

      Die Männer stellten sich rund um den Ring. Morshed schlug die Schelle. Ein Mann bat um Erlaubnis und kam direkt in die Mitte des Ringes. Er stellte sich auf die Fußspitzen, streckte seine Hände zur Seite und begann sich um die eigene Achse zu drehen.

      Morshed trommelte immer schneller und der Mann drehte sich wie eine Ballerina dazu.

      Als Zahak auf den Thron erhoben war,

      gingen vorüber ihm tausend Jahr.

      Der Brauch der Weisen verloren ging,

      in Schwung der Wille der Thoren ging;

      Tugend verachtet, verehrt Zauberei,

      das Recht verborgen, das Unheil frei;

      Die Dewen frech, offen zum Bösen gelaunt,

      vom Guten ward nur im Stillen geraunt. (17)

      Einige Gemälde an der Wand erzählten die Geschichte von Zahak(18), dem aus seinen Schultern Schlangen wachsen. Das Bild zeigte schwarz gekleidete Männer, die eine Gruppe Jugendlicher verhaften und sie mit zum Palast des Königs Zahak nehmen. Dort, wo der Teufel mit seinem langen Bart und listigen Augen als sein Kanzler steht und befiehlt, mit den Gehirnen der Jugendlichen die Schlangen zu füttern.

      Wir Kinder saßen auf den Zuschauerplätzen der Zurkhaneh und beobachteten neugierig diese neue Umgebung. Die verschiedenen Farben des Lichtes, das auf den schwitzenden Oberkörpern der Athleten tanzte. Das Bild des feuerspeienden Drachen und die Bilder der starken Helden. Wir sahen das Bild des Simurgh, der große Vogel, der Vogel der Weisheit, der den Athleten zur Hilfe kommt. Alles um uns herum war so außergewöhnlich und verzaubert, wie im Märchen.

      Wir lauschten Adels Vater: „Die Zurkhaneh ist ein guter Ort, die Heldenregeln zu lernen.

      Je stärker du bist, desto demütiger musst du sein.

      Nimm die Hand der Unterdrückten und kämpfe mit ihnen gegen die Unterdrücker.

      In der Zurkhaneh üben wir nicht nur Sport. Hier gibt es auch Geschichte, Tanz, Heldenmut und das Lied eines Volkes, das nicht vergessen werden will.

      Der Gesang des Morshed erzählt die Geschichte unseres Landes.

      Der Ring ist die Bühne, auf der jeder von uns die Rolle eines Helden spielen kann.

      Die Athleten sind keine Fremden, sie kommen aus unseren Vierteln und Gassen.

      Es sind Bäcker, Lehrer, Schmiede, Schuster und Bauern.

      Es sind einfache Leute, aber sie schämen sich davor, schwach zu bleiben, deshalb kommen sie in die Zurkhaneh, um den Geist und Körper zu stärken.“

      Es kam ein junger Mann in den Ring mit zwei Keulen in den Händen. Sie sahen aus wie große Kegel, waren aus Holz und etwa einen halben Meter lang. Er nahm die schweren Holzkeulen auf die Schultern