Zelt, Auto und Europa diese Rolle, ehe uns Mietwagen auf eigenen Wegen Südafrika, Zimbabwe, Botswana und Namibia erkunden, oder Blicke in den Mittleren und Fernen Osten werfen ließen. Letztendlich aber war es die Wohnmobilbegeisterung, die uns zu Reisefans werden und immer wieder aufbrechen ließ, bis hin nach Australien oder Neuseeland.
Regenwald und Kratersee
Victoria, die gemütliche City mit Kleinstadtflair, zweitausend jährlichen Sonnenstunden, drei Häfen in der näheren Umgebung, beeindruckender Architektur und Natur ringsum; Hauptstadt von British Columbia und eine der ältesten Städte im pazifischen Nordwesten offenbarte uns noch einmal ihre Schönheit, als die MF Coho – 110 Autos und 1.000 Passagiere kann sie fassen – den Inner Harbour verließ. Wo früher Industrie die Ufer säumte, glitt nun der Blick über Stadtteile, Hotels und andere markante Gebäude. Linkerhand war es die Fassade des Shoal Point Condominiums, dessen Glas-Penthouses und verschlungene Skulpturen Öltanks und Chemiefabriken ablösten. Das „Inn“, mit Glasatrium und von parkähnlicher Landschaft eingerahmt, verdrängte am Laurel Point die bis 1974 existierende Farbenfabrik, während sich auf der anderen Seite, wo einst Sägewerke und Eisenbahnschuppen lärmten, Hotels etablierten. Das majestätische Parlamentsgebäude, für den der damals 25-jährige Francis Mawson Rattenbury den Zuschlag gegen etablierte Architekten erhielt, und das famose, 1908 eröffnete Eisenbahnhotel „Fairmont Empress“, das die Canadian Pacific Railway-Gesellschaft erbauen ließ, bleiben immer weiter zurück, wie auch die klassischen Säulen des 1923 im Stil eines griechischen Tempels erbauten Royal London Wax Museums und die den Hafen umgebende charmante Skyline der Altstadt, während die schmale Strait of Juan De Fuca, die Kanada von Amerika trennt, sich schnell ausbreitet. Und dort, in Amerika, soll unsere Reise durch die Bundesstaaten Washington, Oregon, Idaho und Montana weitergehen, ehe uns der Cowboytrail zurück nach Calgary führt.
Die Washington Olympic Peninsula vereint schneebedeckte und vergletscherte Berge, dichte Regenwälder mit hohen Farnen, weichen Böden und bemoosten Baumriesen, die lange „Ziegenbärte“ tragen, heiße Quellen, subalpine Wiesen, Täler, stille Buchten und naturbelassene Strände. Es ist ein Outdoor-Paradies, das nur neunzig Minuten von British Columbias Hauptstadt entfernt ist, und von der Großstadt Seattle durch den mit Inseln bestückten, langgestreckten Pugget Sound getrennt wird, der südlich der kanadischen Grenze wie ein gewaltiges Bollwerk in den Pazifischen Ozean ragt. Acht amerikanische Indianerstämme sind hier ebenso angesiedelt wie der 365.000 Hektar große Olympic National Park, der zum Welterbe gehört und den größten Altbestand der Wälder im pazifischen Nordwesten schützt. Mit Bäumen, die vor zweihundert bis eintausend Jahren ihre Wurzeln schlugen, Regenfällen bis zu 600 Millimeter jährlich und Höhenunterschieden, die vom Meeresspiegel bis weit über 2400 Meter klettern, wurde hier von der Natur eine einzigartige Landschaft kreiert, die der Congress 1988 zu 95 Prozent zur „Olympic Wilderness“ erklärte, um diesen seltenen und wilden Charakter zu schützen. Über die Entstehung der Olympics wird zwar noch debattiert, doch soll aus dem Erdinneren aufsteigende Lava vor fünfzig Millionen Jahren nach ihrem Auskühlen zu meilendicken Basaltschichten geführt haben, unter die sich vom offenen Meer herantriftender Sandstein und Schiefer schob, und sich die Olympics vor zehn bis zwanzig Millionen Jahren aus dem Meer erhoben. Gletscher der Eiszeit halfen die Strait of Juan De Furca und den Puget Sound formen und trennten dabei die Olympics vom nahen Land. Die nachfolgenden Jahre der Isolation sorgten dafür, dass sich auf dieser Halbinsel eine Biologie entwickelte, die auch mehr als zwanzig Pflanzen- und Tierarten hervorbrachte, die es nirgendwo sonst auf der Erde gibt. Und somit sind die Olympic Mountains für unseren Globus auch ein Geschenk des Meeres.
In Port Angeles, am Fuße der „Olympics“ rollen wir 2010 aus dem Bauch des großen Schiffes auf amerikanischen Boden und, weil die Passformalitäten schon beim Einchecken erledigt werden mussten, auf der „101 Ost“ zum Abzweig “Olympic National Park / Hurricane Ridge“ auch sofort weiter. Die im Winter geschlossene Straße, die Ausblicke auf Port Angeles, das Dungeness Valley und bis zum Mount Baker erlaubt, passiert nach etwa fünf Meilen die Heart O‘ the Hills Rangerstation, in deren Nähe sich der einzige Campingplatz in diesem Gebiet befindet, lässt drei kleine Tunnel hinter sich und zieht auf den restlichen zwölf Meilen durch Wald, in dem Rote Zedern, Ahorn, Fichten und Farne vorherrschen, in subalpine Landschaft. Dort beeindruckt auf 1.600 m Höhe – Parkplatz, Wanderwege, Aussichtspunkt, Visitor Center, Einkehrmöglichkeit – das Panorama der Bailey Range, in der der Mount Olympus (2.431m) die Krone beansprucht, gewaltig, weil sie sich von Meereshöhe nach oben reckt. Die kurz vor dem Parkplatz abzweigende Schotterstraße (nicht für Wohnmobile geeignet), die über weitere vierzehn Kilometern zum Parkplatz des Obstruction Points führt, erschließt weitere Wandertouren, die in das Badger- und Grand Valley führen, zum fünfzehn Meilen entfernten Deer Park oder zur Lillian Ridge und weiter hinein in das Schutzgebiet.
Mit diesem ersten Eindruck und einer kleinen Wanderung geht es wieder zurück in die Stadt, in der wir aber nicht viel Zeit vergeuden. Das Hafenstädtchen mit Waterfront, Cafés, Restaurants, dem Feiro Marine Life Center – ein Schaufenster des Lebens in der Strait of Juan De Furca -, North Olympic Marine Sanctuary, Symphonie Orchester oder Ballettensemble war auch die erst zweite „National City“, die Präsident Lincoln zu einer solchen erklärte. Mit der „101“ bietet Port Angeles schließlich auch die Möglichkeit, sich auf der Halbinsel für die Ost- oder Westseite zu entscheiden, wobei die „112“ allerdings schon bald in Richtung Pazifik übernimmt und weiter an der Küste bleibt. Ihr „Zubringer“ strebt im Inland nach Westen und findet, nach einem südlichen Bogen entlang des Hoh Rivers, bei Ruby Beach, ebenfalls zum Ozean. Erstere führt, bevor sie nach Süden abknickt und auf der Westseite des Hood Canals nach Seattle, Tacoma und Olympia verbindet, zunächst durch das gemütliche Sequimgebiet, dessen Dungeness National Wildlife Refuge Vogelliebhabern ein Begriff ist. Hier, wo sich der Welt längste natürliche Sandlandzunge ins Meer erstreckt, rasten während der Hochsaison in der Lagune mehr als 40.000 Vögel, die etwa 250 Arten vertreten. Weiter östlich findet sich mit Port Townsend ein weiterer „Hafen“ der Halbinsel, dessen geschäftige Zeit in den späten 1880er Jahren aber zu Ende war, als sich die Eisenbahn-Zaren für Seattle als Kreuzungspunkt wichtiger Schienenstränge entschieden. Heute lebt das Fährenörtchen hauptsächlich vom Tourismus. Bauernmarkt, Rhododendron Festival (Mai) und das Wooden Boat Festival, das im September mit mehr als 200 liebevoll restaurierten Holzschiffen, Regatten, Rennen und Musik an die Seefahrertradition erinnert, gelten als touristische Höhepunkte.
Unsere Fahrtrichtung heißt zwar schnell wieder „West“, weil Cape Flattery am nordwestlichsten Zipfel der Peninsula als nächstes Ziel gilt, doch wählen wir für die etwa 130 Kilometer nicht den direkten Weg, sondern verlassen die „112“ am Ende des kleinen Ortes Joyce, wo die nach East Beach führende, kaum auffallende Straße kurz hinter dem Tante-Emma-Laden „General Store“ nach links abbiegt und durch einsamen, dichten Wald in aller Bescheidenheit nach Süden zieht. Dort folgt sie dem Nordufer des schönen Crescent Lakes nach East Beach, wo uns die „101“, begleitet von Wald und Fels, weiter um das bis zu 190 Meter tiefe Gewässer westwärts mitnimmt, bis der Sol Duc River, dem wir folgen, nach Süden weist. Auch hier zieht das schmale Asphaltband durch sehr dichten Wald und bringt uns über weitere dreißig Kilometer zum Sol Duc Hot Springs Resort, auf dessen Campingplatz der Tag endet, nachdem wir den 38 bis 42 Grad warmen Quellwasser-Pool und das kühle Schwimmbecken ausführlich genossen hatten. Der Campingplatz (Wasser- und Stromanschlüsse) des Resorts – Lodge, Hütten und vier Pools – ist urig und liegt mit etwa zwanzig Stellplätzen mitten im Regenwald unter hohen Bäumen. Die Stille in diesem „Geisterwald“ mit seinen bemoosten Riesen und deren langen Flechtenbärten wird heute aber nicht gestört, denn außer uns gibt es nur noch einen weiteren Gast.
Am nächsten Morgen starten wir den Motor zeitig, fahren zurück zur „101“ und dort, entlang des Sol Duc Rivers, an dessen verstreuten, kleinen Wasserfällen sich Lachse mühen, um weiter flussauf zu schwimmen. In Sappho bringt uns die „113“ nach Norden zur „112“, die über Neah Bay den Weg zum Cape Flattery ermöglicht. Guter Asphalt, Wald und Einsamkeit sind hier die Stichworte, denn selbst die Tankstelle in „Irgendwo“ ist rund um die Uhr unbesetzt und funktioniert nur mit Kreditkarte und Selbstbedienung. Wieder an der Küste fällt der Hafen von Sekiu in der Clallam Bay als schön gelegen auf, und die kleinen Örtchen lassen auch sofort