Helmut Friedrich Glogau

Mit dem Fahrrad und Aphasie durch Europa. Band 2


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      Helmut Friedrich Glogau

       Mit dem Fahrrad und Aphasie durch Europa

       … und durch mein erstes und zweites Leben

       Band 2

      Engelsdorfer Verlag

      Leipzig

      2015

      Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

       Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

       detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

      Erste Auflage

      Copyright (2015) Engelsdorfer Verlag Leipzig

      Alle Rechte beim Autor

      1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

       www.engelsdorfer-verlag.de

      INHALT

       Cover

       Titel

       Impressum

       Ein zweites Vorwort

       Acht mittel-, nord- und osteuropäische Hauptstädte

       Die Reise nach dem Armenhaus Rumänien

       Danksagung

       Fußnoten

      Es ist Zeit, dass ich endlich den zweiten Teil des Buches »Mit dem Fahrrad und Aphasie durch Europa und durch mein erstes und zweites Leben« anfange.

      Ein kleines bisschen müsste ich doch ausholen. Damals habe ich mich im Krankenhaus (es ist ewig her), mächtig gelangweilt.

      An der Wand im Korridor waren Schilder angebracht, die komischen Zeichen konnte ich nicht deuten: »Vorsicht, Stufe« oder »Fahrstuhl« oder »Ruhe«, dann später habe ich ein Regal mit Büchern und ein Tisch mit Journalen entdeckt, ich hatte immer wieder die Buchstaben angeschaut, angestarrt, aber den Sinn der Buchstaben habe ich nicht begriffen. Eine steinalte Ärztin wollte sich über mich lustig machen, sie hatte mich gefragt, ob ich lesen könne oder ob ich nur die Bilder angucke. Bei der ersten Frage hatte ich verneint, mein Kopf heftig geschüttelt, sie hatte laut und albern gelacht und mich einfach stehen lassen.

      Im Flur hatte ich immer wieder versucht den Sinn der Buchstaben herauszukriegen, denn ich war verunsichert. Die Buchstaben sind durch die Luft geflogen und wie durcheinander gepurzelt. Plötzlich hatten die Buchstaben in der Reihe angestanden und sind wohlgeordnet – ich kann lesen, ja – meine Seele war hoch erfreut, und gleichzeitig hätte ich die Welt umarmen können, trotzdem aber fiel es mir unwahrscheinlich schwer, das Lesen.

      Dann hatte ich mich immer wieder als »Schriftsteller« versucht und sehr viel Zeit vergeudet; es ist mir ständig fehlgeschlagen, hier ist eine Kostprobe:

       »Als ich war bin mit zweites Leben geboren im 4. Januar. Im Alter 43 Jahre alt. Bis 14. April kann ich nicht aufgeschrieben werden.

       15. 4. 1996: Hannes (mein Sohn) hat Geburtstag. Ich habe morgens am sieben telefonierte um. Hannes sagt nichts. Und kann nichts.

       16.4. Auf der Station ich war im Krankenhaus »Georg« bis 12. Februar.

       17.4.: Ich habe die Kur am 5. 3. 1996 bis 30.4., schlecht schlafe. Lesen nicht Fortschritt. Sprechen und Fortschritt. Besuch Frau und Mutti.

       18.4.: Ich spiele Tischtennis, schwimme und spiele Schach.

       24.4.: Am 22.4. feierte ich den Geburtstag einer Tischtennis (kurz, 39 Jahre, klein) Saufen Schnaps 6 Flaschen/​Kopf tun.«

      Aus dem tiefen Loch der Sprachlosigkeit habe ich mich aufgerappelt, es hat ein halbes Jahr gedauert, dass ich meine Hobbys (Tischtennis, Schach und Trompetenspielen – recht und schlecht – mehr schlecht) wieder langsam angefangen habe.

      Am 8. November 1996 bin ich total ausgeflippt, weil ich zur zusätzlichen Eheberatung in die kognitive Tagesklinik musste (ich habe mich für ein ¾ Jahr therapieren lassen). Ich hatte einen, für mich wichtigen Zettel vergessen. Damals konnte ich wenig reden, fast gar nicht. Dieser Zettel beinhaltete wichtige Notizen, um mich zu verständigen. Anderen Leuten, wie z. B. der Diplompsychologin war das scheißegal. Meine Frau hat nur ihre Version dargestellt und viele, viele Worte gebraucht. Sie redete wie ein Wasserfall (Lügen, Halbwahrheiten und Wahrheiten). Ich wurde verurteilt, hatte keinen Widerspruch und keine Rechtfertigungen. Die Psychologin hat mich angeschnauzt und richtig ausgewettert.

      Ich war sehr erbost und verzweifelt. Ich musste raus. Aller Krankheit und Aphasie zum Trotz. Die Jahreszeit war dafür allerdings denkbar ungünstig.

      Ich war stinkig, na klar; über meine Frau oder über die Psychologin oder über alle beide! Oder vielleicht über mich? Sie, die Diplompsychologin, hatte sich um einige Zeit später bei mir entschuldigt, sie hätte vom »Ehekitten« keine Ahnung, sagte sie.

      Ich nahm zu Hause einen Koffer und habe mich von meinem Sohn verabschiedet. Ich hatte gelogen, ich sagte, ich fahre nach Stendal und ging los. Ich hatte keinen Plan – nur ein kleines Plänchen: Ich möchte irgendwie nach Süd-Frankreich gelangen, wegen der Wärme, und bin einfach geradeaus gegangen mit dem Koffer.

      Ich war megabescheuert.

      Abends war ich schätzungsweise gegen einundzwanzig Uhr an dem Stausee in Knautkleeberg mit meinem Koffer angelangt. Immer geradeaus. Mitternacht. In der Nähe von Zwenkau. Der Koffer war schwer. Ich konnte nicht schlafen. Meine Hände waren kaputt. Ich hätte meine Hände wegschmeißen können. Um die Ecke war ich marschiert, ich hatte mich bloß umgeguckt, ohne Koffer, war weiter gelaufen. Plötzlich ist mir eingefallen, dass ich meinen Koffer suchen muss. Die Aktion dauerte anderthalb Stunden an, da es stockfinster war.

      Der Tag fing an. Ich war in der Nähe bei Eytra südlich von Zwenkau. Ich bin getrampt, und ohne zu winken nahm mich ein junger Mann mit. Wir fuhren nach Großdalzig zum Bahnhof. Von dort aus fuhr ich nach Gera. Ich bin schwarzgefahren und die Schaffnerin kam sehr schnell. Mit ihr war nicht gut »Kirschen essen«, ich musste Strafgeld bezahlen. Gerade so hat mein Geld gereicht. Gleich nach meiner Ankunft suchte ich in Gera eine Sparkasse. Sonnabend und Sonntag hat das Bankhaus nicht geöffnet. Ich war enttäuscht.

      Gera ist ein Drecknest für mich.

      Die zweite Sorge galt dem Koffer, dass ich ihn irgendwie loswerden kann. Die Schließfächer sind zu teuer. Für die Zugfahrt hatte ich mein Geld in den Rachen der Bundesbahn geschmissen, ich war richtig arm. In der Nähe vom Bahnhof war ein wilder Platz mit vielen Büschen. Drei Mal war ich angelaufen, der Koffer war schwer, ich hatte ihn in die Mitte geworfen, damit ihn keiner finden kann. Also war das Problem erledigt.

      Genug Zeit, um mich in der Stadt herumzutreiben. Dann suchte ich eine Möglichkeit zu schlafen, es war eine schwierige Angelegenheit. Bei dem DRK versuchte ich es, ich zeigte eine Geste, dass ich schlafen möchte. Eine relativ