er weniger Schmerzen, aber es war ihm sehr schwach zumute, jämmerlich schwach. Am liebsten wäre er liegen geblieben, um vollends zu sterben, obgleich ihm bewusst war, dass er der Rote Jim sei und dass mindestens er selbst bedauern müsse zu sterben, wenn ihm auch kein anderer nachjammern konnte.
Die anderen Menschen wurden eine Plage los, wenn der Rote Jim krepierte.
Diese Vorstellung ärgerte den Mann. Die anderen sollten ihn keineswegs loswerden. Sie sollten sich nicht freuen können, dass er nicht mehr da war und dass sie nicht mehr mit ihm zu rechnen brauchten.
Er gab sich selbst einen Ruck; Durst und Hunger hatte er, und er fror. Das Rauschen war nicht mehr in seinem Kopf. Es rauschte über ihm oder neben ihm oder unter ihm.
Wasser rauschte, ja, Wasser, das hatte er doch schon einmal festgestellt! Es war Zeit, dass er sich danach umsah. Er wälzte sich vom Rücken auf den Bauch, rutschte dabei ein Stück zur Seite, weil der rauhe Boden abschüssig war, und tastete mit der rechten Hand ins Wasser.
Gierig trank er.
Dann kroch er wieder zur Seite.
Was das wohl mit dem Lichtschimmer auf sich hatte? Der Schimmerschien keine Selbsttäuschung zu sein, sondern wirklich zu existieren.
Roter Jim starrte nach der matten Andeutung von Tageshelligkeit. Wie von einem Zauber, dem er noch nicht ganz traute, angezogen, kroch er auf dem rauhen Fels neben dem fließenden Wasser zu dem Schimmer hin.
Plötzlich traf ihn etwas Hartes an der Schulter. Er stockte erschreckt und bemerkte gleichzeitig, dass es um ihn herum polterte wie von einem Steinschlag. Verdammt. Er zog den Kopf ein, und er hatte Glück. Es traf ihn kein zweiter Stein.
Fluchen konnte er wieder. So weit war er schon bei sich.
Ängstlich und langsam kroch er weiter, immer in Richtung des Lichtschimmers. Je näher er diesem kam, desto deutlicher wurde die Helligkeit. Da musste es hinausgehen aus dem Berg. Hinaus! Was für ein Glück!
Der Teufel oder die Geister oder sein Stern oder der Berg oder was es überhaupt sein mochte, wovon sein Schicksal abhing, irgend etwas hatte ihm wohlgewollt. Ihm, dem Roten Jim!
Nein, die Welt sollte ihn noch nicht loswerden. Das hatte noch Zeit, und er hatte noch einiges vor.
Nachdem er fünf Meter weitergekrochen war, wurde ihm seine Situation vollständig klar. Er befand sich in einer Höhlung des Berges, aus der der unterirdische Bach ins Freie drang.
Schon wieder hagelte es Steine, die das Wasser aus dem Berginnern mit sich gerissen hatte. Red Jim hatte rechtzeitig die Hände schützend hinter Kopf und Nacken gelegt, so dass ihm von einem dicken Steinbrocken nur zwei Finger angeschlagen wurden.
Gemütlich war das hier nicht. Er musste sehen, wie er hinausgelangen konnte.
Die Öffnung, durch die der unterirdische Bach ins Freie floss, war eng, aber doch nicht so eng wie jener Höhlenarm oben an der Stelle, an der Red Jim mit dem Vorwärtskommen gescheitert war. Wenn er sich mit Gewalt durchzwängte, o ja, wenn er sich mit Gewalt durchzwängte, Kopf, Schultern, Hüften ...
Verflucht, schon wieder ein Steinhagel! Aber diesmal traf es nur die Beine. Unangenehm genug war es.
Der Mann, der mit Kopf und Oberkörper schon im Freien lag und die Beine jetzt nachzog, erkannte, dass es Abend war. Irgendein Abend! Wie konnte er wissen, ob er ein, zwei oder drei oder vielleicht sogar vier Tage im Innern des Berges verbracht hatte.
Der Himmel flammte in Rot und Gold. Die Bäume schimmerten noch in den Strahlen der untergehenden Sonne, die mit ihren letzten Ausläufern bis zu Quelle und Bach heranspielten.
Mechanisch, aus Gewohnheit, schaute Red Jim nach Spuren aus. Aber er konnte keine Fährten entdecken, mit Ausnahme einiger Wildspuren, die für ihn keine Gefahr bedeuteten.
Noch einmal trank er, dann kroch er vorsichtig, sich immer auf einem Geröllstreifen haltend, zwischen das Gebüsch und ließ sich da nieder. Zum ersten Mal fand er Zeit, sich selbst zu betrachten. Wie ein Totengerippe sah er aus, mager, abgefallen. Die Hauptsache aber war, dass er trotzdem lebte.
Er suchte nach seinem Beutel mit Trockenfleisch, fand ihn, wenn er auch nicht mehr trocken, sondern nass war, und nahm etwas von der breiig gewordenen Masse zu sich. Das tat ihm wohl. Dann schlief er ein. Er musste Kräfte sammeln, ehe er wieder etwas unternehmen konnte.
Mit dem Morgengrauen wurde er wach. Nass, wie er immer noch war, fror er erbärmlich und sehnte sich nach der Wärme der aufgehenden Sonne. Er aß wieder ein wenig Trockenfleisch, fing eine Eidechse, die sich hervorgewagt hatte, verzehrte sie und betrachtete dabei die Quelle. Die herumliegenden Steine, zum Teil von bizarren Formen, bewiesen, dass der Steinhagel von Zeit zu Zeit auch aus dem Berg herausdrang. Eine nicht ganz eingestandene Hoffnung bewegte den Mann, als er die Steine einzeln musterte.
Zu seinem Bedauern war kein Goldkorn darunter.
Fürs Erste wollte er den Bach einen Bach und die verfluchte Höhle eine Höhle sein lassen und sich um sein Versteck im Windbruch und um die dort befindliche Büchse und die Vorräte kümmern. Hoffentlich hatten sich nicht schon irgendwelche Spürnasen dort eingefunden.
Auch sein weiterer Plan war dem Roten Jim mit Sonnenaufgang schon klar. Er würde nicht ein drittes Mal versuchen, in den Höhlenarm einzudringen, der sich für ihn als unzugänglich erwiesen hatte. Vielleicht hätte ein solcher Versuch Aussicht auf Gelingen gehabt, wenn er sich Werkzeug und ein oder zwei Kumpane zur Hilfe herangeholt hätte. Aber eben das Letztere wollte er nicht. Er beschloss, sich in sein Versteck zu begeben und von dort aus den Berg ringsumher zu untersuchen, ob nicht noch ein anderer Zugang zu der »verdammten Höhle« zu finden war. Er wollte sich Zeit lassen und sein Unternehmen allein durchführen. Denn wenn er Gold fand, sollte es auch ihm allein gehören.
Der Rote Jim schlich mit wankenden Knien durch den Wald, sehr bedächtig, sehr langsam, sehr vorsichtig. Auch jetzt löschte er die geringste Spur, die er etwa verursacht hatte, sofort aus.
Als er wieder zu dem Windbruch gelangte und die Lichtung mit den gestürzten Stämmen in der hellen Nachmittagssonne, in warmer, flimmernder Luft, liegen sah, atmete er tief auf. Er machte eine kurze Rast, überzeugte sich, dass auch hier nirgends die Spur eines Menschen zu entdecken war, und kletterte und kroch dann zwischen Stämmen, Zweigen, Wurzelwerk und Gesträuch zu seinem alten Versteck. Es war völlig unberührt.
Gut so, gut.
The Red legte sich hin und schlief nach einer kärglichen Mahlzeit vom Nachmittag bis zum Morgen des nächsten Tages. Als er wach wurde, fühlte er sich wesentlich erfrischt.
Er kletterte auf den hohen Baum neben der natürlichen Laube und hielt von dem höchsten der Äste, den er erklettern konnte, ohne dass er schwankte, wieder Ausschau über Lichtung, Wald und die ferne Prärie.
Menschenleer schien alles, ruhig, einsam.
Der Rote Jim wollte den Tag nutzen. Er goss den Wassersack aus, den er leicht neu füllen konnte, nahm diesen und den Sack mit Trockenfleisch, auch Büchse und Munition mit sich und tilgte alle Spuren seines Lagers, was ihn erhebliche Zeit kostete.
Als es endlich so weit war, dass auch er selbst keine Spur mehr von sich fand, schlich er aus seinem Versteck und dem Windbruch hinaus und hinauf in den Wald.
Sein erstes Ziel war hoch oben der versteckt liegende Ausgang eines Höhlenarmes, in dem er im Frühling dem zahnlosen Ben überraschend begegnet war. Miteinander waren sie nach ihrem Zusammentreffen aus der Öffnung herausgestiegen, die sich zwischen Moos und Wurzeln jedem nicht sehr aufmerksamen Auge verbarg. Ihre Unterhaltung war nicht gerade freundschaftlich verlaufen, denn der Rote Jim liebte es nicht, wenn sich ein anderer in seinem Revier herumtrieb, aber letzten Endes hatte er Ben doch nicht umgebracht. Aus den Beschreibungen des Zahnlosen wusste er, dass der Höhlenarm, an dessen Eingang Jim jetzt stand, zu dem unterirdischen Wasserfall führte, der im Frühjahr Ben und vor wenigen Tagen Jim mit sich gerissen hatte. Hier einzusteigen war zwecklos. Auch ein zweiter Arm der Höhle, der nicht weit entfernt im Wald mündete, war für Jim nutzlos, da er sich nach Bens Aussage im Innern des Berges mit dem ersten vereinigte und somit