Gottfried Senf

Briefgeschichte(n) Band 1


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sind.

      Lieber Herr Sommer, es ist noch eine Sache, mit der ich die ganze Zeit schon persönlich nicht klarkomme. Sie informieren sich sehr intensiv über die Entwicklung in den neuen Bundesländern, speziell auch in Sachsen. Sie wissen, dass die Eigentumsfrage die Frage aller Fragen zur Zeit hier ist. Rückgabe vor Entschädigung oder umgekehrt? Was damals mit Ihnen und Ihrer Familie, mit Angers und Münsters gemacht wurde, war natürlich, gelinde gesagt, ungerecht. Heute sind draußen auf dem Sommerhofgelände mindestens hundert Kleingärten mit Bungalows, etliche haben ein Einfamilienhaus dort gebaut. Die meisten haben nicht die geringste Ahnung von den Einzelheiten um 1945/46 da draußen. Sie sind in der Mehrzahl so jung, dass 1945 für sie so weit zurückliegt wie sonst ein Ereignis der tiefsten Geschichte. Wie kann eine neue Ungerechtigkeit verhindert werden? Man liest schlimme Dinge über Berlin und Umgebung, wo Leute aus ihrem Haus („ihrem“, ja oder nein?) hinausgeekelt werden durch die ehemaligen Eigentümer des Grund und Bodens, meist sind es aber deren Kinder oder Enkel. Ich bin letztens mal in aller Ruhe durch das Gelände draußen auf dem Sommerhof, aber auch in Königsfeld spazieren gegangen, dabei stets Ihre Schilderungen „im Hinterkopf“! Von Schloss Königsfeld ist praktisch nichts mehr zu sehen. Und Angers Wohnhaus hatte man 1946 regelrecht zersägt in zwei Teile. Der „Sommerhof“ ist für Geithain und die Geithainer ein feststehender Begriff, aber eben als eine Geländebezeichnung, nicht als Hof der Familie Sommer. Eine Veröffentlichung in der Artikelserie führt bei den heutigen Bewohnern des Geithainer Ortsteiles mit Sicherheit zu den Fragen: „Was wird?“, „Wird Herr Sommer das Land wieder zurückhaben wollen? Müssen wir weichen oder `blechen`?“

      Wie könnte eine gerechte Lösung, hier und allgemein, aussehen? Schon melden die ehemaligen Schlesier aus der DDR ihre Ansprüche an! Voriges Jahr, als ich noch auf dem Landratsamt arbeitete, erzählte ein Mitarbeiter von einem schriftlichen Antrag auf Entschädigung für ein Einfamilienhaus mit 2 ha Land, einigen Kühen und Schweinen. Der Antrag ging tatsächlich von der Tochter eines Kleinbauern aus Liegnitz in Schlesien beim Landratsamt ein. Eine Kuriosität? Wo beginnen Entschädigungsansprüche, wann werden sie anachronistisch?

      Fragen über Fragen! Wie gesagt, durch Ihre Schilderungen bin ich auch selbst erst richtig mit der Problematik konfrontiert worden. Ob solche Gremien wie das Bundesverfassungsgericht jemals gerechte Lösungen finden werden, ist zu bezweifeln. Wird die Zeit Wunden heilen oder hatte sie schon Wunden geheilt, die nun wieder neu aufbrechen (oder aufgebrochen werden)?

      Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir bald mitteilen könnten, ob Sie der Veröffentlichung der 5 Artikel zustimmen und wie eventuell folgende Teile für die Öffentlichkeit dargestellt werden könnten.

      Mit den besten Grüßen

      Ihr

       Georgetown, 11.Januar 1992

      Lieber Dr. Senf,

      herzlichen Dank für Ihren Brief vom 11.12.91 sowie für die vielen interessanten Beilagen, die vor einigen Tagen hier ankamen. Sie leben in einer großen Umbruchzeit und sind noch jung genug, um richtig daran teilzunehmen und, durch Ihre Tätigkeit, die Entwicklung zu beeinflussen. So wie 1945 die Weichen für alles gestellt wurden, was dann später geschah, so werden die Jahre seit 1990 für die gute oder miserable Entwicklung der neuen Länder zu bürgen haben. Und all dies hängt wiederum mit der Entwicklung in Europa und der Welt zusammen. Die Welt ist jetzt so klein, dass alles von allem abhängt. Da sind große Männer und Frauen gefragt, die weiter sehen können als ihre eigenen Interessen. Leider ist es im Kapitalismus so, dass der Eigennutz der einzige Motor des menschlichen Handelns ist. Der Sozialismus als Korrektur ist also im Kapitalismus durchaus notwendig. Wenn wir im September (wie wir hoffen) nach Sachsen kommen, wäre es schon interessant, sich über diese Dinge zu unterhalten. Ich finde zum Beispiel, dass jedwede Rückgabe von Höfen und Grundstücken vorerst untersagt sein sollte. Wenn einmal die östlichen Länder auf dem wirtschaftlichen Niveau des Westens sind, dann natürlich sollten die früheren Eigentümer für den Verlust ihres Besitzes entschädigt werden, und zwar durch Steuern, die die neuen Eigentümer von ihren Gewinnen abzweigen können.

      Ich lege Ihnen eine weitere Fortsetzung der 1945-Saga bei. Diese Erinnerungen habe ich vor etwa 20 Jahren zuerst aufgeschrieben. Doch ist es am Ende dieser Folge nicht mehr ganz klar, ob die Einsiedel-Töchter damals mit ihrer Mutter in Stralsund waren. Ich hätte Frau Martin im Mai 90 danach fragen sollen. Was Sie über die Frau aus Kohren-Sahlis schreiben, die nach 1945 mit Robert Reiner Verbindung hatte, ist sensationell. Darüber wüsste ich gern mehr. Ich bin ja in dieser Sache bisher nicht weitergekommen.

      Meine 1945-Erinnerungen sind sehr subjektiver Art. Doch sind sie vielleicht gerade deshalb von Wert. Sie können sie als Quelle benutzen oder auch das Ganze veröffentlichen, wenn daran ein Interesse besteht. Natürlich halte ich das „Copyright“, wenn es einmal zu einer kommerziellen Veröffentlichung kommen sollte. Ich würde gern mit den Mitgliedern des Geithainer Heimatvereins zusammentreffen. Vielleicht sind auch diese daran interessiert, mich zu treffen und meine Ansichten darüber zu hören, was 1945 mit uns „im Namen des Volkes“ gemacht wurde. Das war schon ein sehr übler Trick der kommunistischen Machthaber von Moskaus Gnaden, und wenn man das nicht geistig verarbeitet, wird es auch weiterhin in Osteuropa schief gehen. Es fing damit an, dass man 1945 nach dem Sündenbock suchte, dem man die Hitler-Schweinerei in die Schuhe schieben konnte. Der Sündenbock waren wir alle, einschließlich der Kommunisten. Wie auch jetzt wieder. Es gab natürlich STASI-Agenten und Parteibonzen, die besonders wild unter dem Kommunismus agiert haben (Hilde Benjamin!), doch fing es damit an, dass 1945 den Kommunisten, wie dem Herrn Kopp, Glauben geschenkt wurde. Wie 1933 den Nazis. Man kann, was geschah, nicht ungeschehen machen, man kann aber daraus lernen und eine Wiederholung verhindern.

      Heute also die 6. Fortsetzung und demnächst mehr, mindestens noch vier weitere. Ursprünglich schrieb ich das in Englisch und ich nehme das Übersetzen zum Anlass, das Ganze in etwas bessere Form zu bringen.

      Was sich in Osteuropa anbahnt, weiß keiner. Vielleicht haben wir Glück, vielleicht entwickelt sich in diesen geplagten Ländern so etwas wie Demokratie. Wenn man einen Stein ins Rollen bringt, dann weiß man meist nicht, wo er wieder zur Ruhe kommt. Gorbatschow, wohl der größte Staatsmann unseres Jahrhunderts, wusste, dass das, was bestand, des Erhaltens nicht wert war. Er hatte den Mut, den Damm, hinter dem sich alles gestaut hatte, zu brechen. Nun ist es unser aller Aufgabe, ein neues Flussbett zu bauen. Unsere Nachkommen werden uns richten.

      Bitte grüßen Sie Frau Thiemann und Heinrich Engert, den guten Herrn Mühlbach sowie Herrn Weise von uns.

      Alles Gute und herzliche Grüße an Sie und Ihre Familie,

      Ihr Ulrich J. Sommer und Frau Gisela

       Georgetown, 16. Januar 1992

      Lieber Dr. Senf,

      gerade erhielt ich Ihren Eilbrief vom 4. Januar. Sehr herzlichen Dank dafür. Sie haben sich ja eine erstaunliche Arbeit damit gemacht, meine Erinnerungen zur Veröffentlichung in der LVZ zu kürzen. Ja, so kann man das machen. Sie haben großes Geschick darin. Doch werde ich Ihnen weiterhin meine sehr ausführlichen Erinnerungen des Jahres 1945 zukommen lassen. Als Historiker sind Sie sicherlich an denen interessiert.

      Zur Veröffentlichung: Sie sollten erwähnen, dass diese Artikel sehr gekürzt und oft auch „umschrieben“ sind, also eine Bearbeitung des originalen Materials sind. Sehr persönliche Dinge und Namensnennungen lässt man für diese Veröffentlichung besser weg, es seien denn Namen, die zur Ortsbestimmung nötig sind (wie Münsters in Königsfeld). Andere wie Dr. Bernstein, Bürgermeister Müller, Angers, Wüstners usw. sollten erwähnt werden, da diese Menschen in vieler Beziehung exemplarisch waren.

      Einige Fehler: In der Villa am Standpark wohnten die Eltern von Frau Magnussen. Magnussens selbst hatten eine große Wohnung an der Fabrik (im 1. Stock), und aus der kamen die Möbel, die in der Kommandantur waren.

      Rochlitz hatte zu meiner Zeit eine Oberschule, kein Gymnasium.

      Frau Münster? Ich finde, man sollte ihr den Titel „Gräfin“