vermerkt die Ortschronik, bricht die Menge in jubelnde „Heil Hitler!“-Rufe aus – sieben Jahre später stehen die Ebenseer Parteigenossen fassungslos vor den Leichenbergen vor ihrer Haustür: Die US-Befreier zwingen sie, dem Grauen, das mit ihrer Unterstützung möglich geworden ist, ins Auge zu sehen und beim Begraben der Toten in den Massengräbern zu helfen. Eine, wie die GIs meinen, pädagogisch richtige „Erziehungsmaßnahme“, heute betrachten wir die Fotos, die dieses Vorgehen dokumentieren, mit gemischten Gefühlen.
Eines der mächtigen Eingangstore zur Stollenanlage in Ebensee.
Auf der Liste „Anhang 1.2.1“ zum Bundesimmobiliengesetz 2000 erscheint Ebensee so wie viele andere Orte unter einer unscheinbaren Nummer; mit der 1. Novelle 2003 wird das „Objekt“ am Traunsee wieder von der BIG-Liste gestrichen – Martin Hübner gelingt es zu zeigen, dass die Bestimmung „Deutsches Eigentum“ hier nicht zutrifft: Aufgrund eines Rückstellungsvergleiches aus dem Jahre 1951, in dem auch die errichteten Stollen an die Firma „Hatschek Zementwerke“ mitübertragen werden, stellt die Anlage eindeutig keinen Anwendungsfall für den Erwerb durch die Republik, wie im Staatsvertrag bzw. Staatsvertragsdurchführungsgesetz 1955 definiert, dar.
Eine Rakete für das Reich
Im Sommer 1943 hoffen Hitler und sein Rüstungsminister Albert Speer noch immer auf eine Wende durch die „Wunderwaffen“ – dazu zählt vor allem die A4-Rakete, auch „V2“ genannt, die in der Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf der Ostseeinsel Usedom von Wernher von Braun und seinen Ingenieuren entwickelt wird. Am 3. Oktober 1942 gelingt erstmals ein erfolgreicher Start, die Rakete erreicht eine Geschwindigkeit von 4.824 km/h und fliegt immerhin 190 km in Richtung Ziel; der Durchbruch scheint endlich geschafft. Ursprünglich von den Peenemünder „Monsterraketen“ nicht sonderlich begeistert, setzt nun auch der „Führer“ auf die revolutionäre Technik, die Dringlichkeitsstufe eins (DE 1) zugesprochen erhält. Die Vision einer „Fernbombardierung“ Londons oder vielleicht sogar New Yorks lässt ihn nicht mehr los. Es ist die Rakete, die ihn und seine Herrschaft retten soll. Und die Pläne stimmen ihn optimistisch: Bereits im Oktober 1943, so die kühne Prognose des „Sonderausschusses A4“, sollen 900 Raketen die Montagewerke in Peenemünde, Friedrichshafen und den Wiener Neustädter Rax-Werken verlassen, im Jänner 1944 soll die Produktionsziffer auf monatlich 1.500 Raketen steigen, im April 1944 auf 1.800. Noch im Herbst 1943 soll die „Raketenoffensive“ gegen England gestartet werden.
Der große Rückschlag erfolgt in der Nacht vom 17. zum 18. August 1943 : 433 britische Bomber greifen im Rahmen des Unternehmens „Hydra“ die Anlagen in Peenemünde an, über 800 Menschen, unter ihnen auch Walter Thiel, der Leiter der Triebwerkentwicklung, kommen ums Leben, die Zerstörungen sind schwerwiegend. Jetzt gilt es zu handeln, will man die neue Hochtechnologie nicht weiterhin den Alliierten schutzlos ausgeliefert sehen. Die grundsätzliche Entscheidung für die Errichtung eines unterirdischen Werkes zur Raketenforschung fällt daher schon in einer „streng geheimen“ Besprechung am 26. August 1943 in Berlin: Rüstungsminister Albert Speer, SS-General Hans Kammler, Direktor Gerhard Degenkolb vom Sonderausschuss A4 und Hauptdienstleiter Karl Otto Saur von Speers Ministerium beschließen die Trennung von Serienfertigung und Forschung; die Massenproduktion der Rakete soll in einem Stollensystem im Kohnstein in der Nähe von Nordhausen in Thüringen, später „Mittelwerk“ genannt, erfolgen; aber auch die weitere Entwicklungsarbeit soll unter Tag verlagert werden. Zuständig für das Bauprogramm ist grundsätzlich das Amt Bau im Rüstungsministerium, 20 der größten und arbeitsintensivsten Projekte werden jedoch der SS übertragen; Reichsführer-SS Himmler beauftragt Kammler, seinen besten Mann, mit der operativen Umsetzung, am 1. September 1943 ernennt er ihn zum „Sonderbeauftragten des Reichsführers-SS für das A 4-Programm“. Im März 1944 wächst die Macht des SS-Technokraten weiter: Ein „Sonderstab Kammler“ wird gebildet. Der skrupellose 42-Jährige aus Stettin, Leiter der Amtsgruppe C im SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, hat sich bei der Organisation von „Arbeitsabläufen“ bereits einen Namen gemacht; für Himmler ist Kammler der Mann, der der SS den Weg zur Rüstungsindustrie bahnen soll, die stärkste „Waffe“ gegen den verhassten Rivalen Albert Speer.
Hans Kammler lanciert Ebensee als Ersatz für Peenemünde: in einem der Hauptstollen der Anlage A.
Kammler enttäuscht seinen Chef nicht. Bereits im Herbst 1943 hat er erste Lösungen für Wernher von Braun und seine Ingenieure parat: Die anstehenden Tests der A4-Triebwerke, so sein Vorschlag, könne man mit relativ wenig Aufwand in die Keller einer Brauerei im „Gau Oberdonau“ verlagern; als neuen Standort für die Raketenversuchsanstalt Peenemünde schlägt er die geplante Stollenanlage von Ebensee im Salzkammergut vor, mit dem Einsatz von KZ-Häftlingen verspricht er den Ausbau in fünf Monaten fertigzustellen. Am 20. September 1943 fällt – gegen den Widerstand Wernher von Brauns – die endgültige Entscheidung: Peenemünde soll zumindest in Teilen durch Ebensee ersetzt werden, daran ändert auch eine Denkschrift von Brauns vom 2. Oktober 1943 nichts, in der er sich entschieden gegen den Standort Salzkammergut ausspricht. Das Entwicklungsprogramm für Ebensee steht jedoch fest: Geplant wird die Fertigstellung der Interkontinentalrakete A9 und der visionären Flakrakete „Wasserfall“, einer auf dem Reißbrett bereits existierenden Flugabwehrrakete, auch „C2“ genannt.
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