Friedrich Freudenthal

Von Lüneburg bis Langensalza im Krieg 1866


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Tambour Veit“, das waren Beschäftigungen, denen ich keinen rechten Geschmack abgewinnen konnte. So wurde denn von meinen Eltern, welche inzwischen von ihrem bisherigen Wohnorte in das Haus meiner Großeltern übergesiedelt waren, beschlossen, daß ich noch zuvor einige Jahre im Schreibfache thätig sein sollte.

      Es fand sich für mich eine Stelle bei einem Gerichtsvogt in dem einige Tagereisen von meinem Heimathsdorfe F... entfernten Kirchdorfe L... Dort hatte ich von Pfingsten 1864 bis Ostern 1866 Gelegenheit, die Leiden und Freuden eines Schreiberjungen nach allen Richtungen hin kennen zu lernen. Zu den Freuden rechne ich die Stunden, die ich in der Wohnung eines alten Mannes, des Klempners Sp..., verbringen konnte. Er war Veteran von Waterloo und hatte unter Major Baring La Haye Sainte mit vertheidigen helfen. Obschon halb erblindet, war der alte Mann noch eifrig in seinem Geschäft thätig. Ich pflegte ihn häufig an Sonntagnachmittagen zu besuchen. Natürlich bildeten die Kriegserlebnisse des alten Mannes dann das Hauptthema unserer Unterhaltung.

      In jenem Orte wohnte auch ein alter Kanonier von Waterloo. Von ihm hörte ich oft erzählen, wie er und die anderen Kanoniere der Batterie jedesmal von den Geschützen zu den Carrés flüchteten, wenn die französische Cavallerie herangebraust kam. Hatten sie etwas lange gezögert und war dann das betreffende Carré schon geschlossen, so warfen sie sich vor der Front desselben auf die Erde und suchten Schutz unter den vorgestreckten Bajonetten.

      Einen Kameraden des Letzteren lernte ich einige Jahre später bei irgend einer Gelegenheit kennen. Er war Seminarwärter zu St ... und hatte sich die Eigenthümlichkeit angewöhnt, daß er statt Waterloo immer „Wasserloo“ sagte. Wahrscheinlich hatte die Bildungsstätte, deren Räume seiner Aufsicht anvertraut waren, so verfeinernd auf ihn eingewirkt, daß er es für seine Pflicht hielt, das ehrliche niederdeutsche Wort zu verballhornen. Seine Erzählungen von der „Schlacht bei Wasserloo“ machten in Folge dessen stets einen mehr komischen, als ernsten Eindruck auf mich.

       Vorbereitungen zum freiwilligen Eintritt und Abschied vom Heimathsdorfe.

      Als der Frühling des Jahres 1866 herannahte, hielt es mich nicht länger in der Schreibstube. Mit Einwilligung meiner Eltern gab ich meine Stellung auf, und in den letzten Tagen des März traf ich in der Heimath ein. Am 1. April wurde das Osterfest gefeiert und am 16. desselben Monats fand die alljährliche Rekruteneinstellung statt. Es wurde beschlossen, daß ich mich in Lüneburg bei dem Districts-Commissär zum freiwilligen Eintritt in das 3. in Hannover in Garnison stehende Jägerbataillon melden sollte.

      Mein Wunsch war eigentlich, bei der Cavallerie zu dienen, aber meine Eltern erhoben ernstlichen Einspruch. Der Dienst bei dieser Waffe schien ihnen zu schwer und zu gefahrvoll; sie wußten von so vielen Unglücksfällen zu erzählen, die durch schlagende, beißende oder durchgegangene Pferde verursacht worden waren, daß es mir noch heute ein Räthsel ist, auf welche Weise sie damals zu einem so zahlreichen Schatz beklagenswerther hippologischer Ereignisse gelangt sein konnten.

      Mit dem leichten Sinne der Jugend wußte ich mich über diese erste Enttäuschung hinwegzusetzen. Bei mir hieß es damals: Soldat um jeden Preis! Hatte ich mich bislang in meinen kindischen Träumereien als „kühner Reitersmann“ auf „stolzem Rosse“ mit dem „blitzenden Schwert“ in der Hand einhersprengen sehen, so stieg ich jetzt mit guter Fassung einige Stufen herab – Jägerbüchse und Käppi mit Roßschweif, sowie der grüne Rock mit schwarzen Kragen bildeten von nun an den Mittelpunkt meiner Zukunftsgedanken.

      Die wenigen Wochen, welche mir bis zu meinem Eintritt verblieben, vergingen sehr rasch und so war denn der Tag meiner Abreise – es war dieselbe auf den 13. April festgesetzt – nahe und ich mußte die nöthigen Vorbereitungen zu meinem Vorhaben treffen. Weitläufiger Schreibereien bedurfte es dazu allerdings nicht. Eine kurze Bescheinigung des Ortsvorstehers, wodurch man sich nöthigenfalls legitimieren konnte, genügte. Als Alter des freiwilligen Eintritts beim Militär war das 17. Lebensjahr festgesetzt, ich hatte dasselbe noch nicht völlig erreicht, aber da man in hannoverscher Zeit nicht so ängstlich auf den Buchstaben sah und ich überdies, wenn auch nicht gerade groß, doch ziemlich zäh und kräftig war, so zweifelte ich nicht, daß ich angenommen werden würde.

      Der Ortsvorsteher, welcher mir die Bescheinigung ausstellte, hielt große Stücke auf mich, er hatte mir immer mit großer Bereitwilligkeit Bücher geliehen, von denen er eine ziemliche Sammlung besaß. Jedesmal, wenn er – was häufig vorkam – eine Reise nach Hamburg machte, brachte er außer sonstigen für die Haushaltung erforderlichen Waaren auch ein Quantum geistiger Nahrung mit, die er „up de Kahr“, das heißt von jenen „fliegenden“ Antiquaren einkaufte, welche ihre Bücherschätze am Hopfenmarkt und auf anderen öffentlichen Plätzen auf einer dazu hergerichteten Karre feil zu halten pflegen. Von diesen Reisen war ich meistens schon vorher unterrichtet und mit großer Spannung harrte ich jedesmal der Rückkehr meines Gönners, denn es war unter uns eine stillschweigende Abmachung, daß ich die mitgebrachten Bücher zuerst zum Durchlesen erhielt. Dieses Wohlwollen, welches der gute Mann mir von jeher erzeigte, hatte durch meine zweijährige Abwesenheit keine Veränderung erlitten. Er wünschte mir das beste Fortkommen und ließ es sich nicht nehmen, mir auf das Bündigste zu bescheinigen, daß ich mir „keine Schlechtigkeit hätte zu Schulden kommen lassen und auch sonst mit der Feder gut umzuspringen wüßte“. Damit war diese Sache erledigt und es blieb mir nur noch die Aufgabe, mich von guten Freunden und Bekannten, „getreuen Nachbarn und desgleichen“ zu verabschieden. Da nun die Bewohner eines weltfernen Dorfes gewissermaßen eine große Familie bilden – selbstverständlich nicht dem Verwandtschaftsgrade, sondern der Art des Zusammenlebens nach, wie solches sich seit uralter Zeit herausbildete –, so waren die Abschiedsbesuche, welche ich abzuhalten hatte, recht zahlreich und erforderten fast den ganzen mir noch verbliebenen freien Tag.

      Am Abende dieses Tages, als die Dämmerung bereits herein zu brechen begann, wanderte ich noch einmal die in friedlicher Stille sich zeigende Dorfstraße entlang. Ziemlich am Ende des Dorfes angekommen, lenkten meine Schritte sich allmählich einem etwas abseits gelegenen Gehöft zu. Obschon ich mich nun der Gedanken und Absichten, mit denen sich damals mein jugendliches Herz beschäftigte, heute nicht ganz klar mehr entsinne, so glaube ich doch, daß, wenn ich die Goethe’schen Verse

      „Ich ging – –

      So für mich hin

      Und nichts zu suchen

      Das war mein Sinn – –“

      auf meine abendliche Wanderung hätte anwenden wollen, dies der „Logik der Thatsachen“ nicht völlig entsprochen hätte. Auch weiß ich bestimmt, daß ich nicht, wie der Goethe’sche Wanderer, „im Schatten ein Blümchen stehn“ sah, denn es war ja im April und Blumen und Waldesschatten gab es noch nicht – dafür aber erschienen mir sehr bald „wie Sterne leuchtend zwei Äuglein schön“ und zwar keine Blumenaugen, sondern liebe freundliche Menschenaugen. Als ich nämlich die Umzäunung des Gehöfts erreicht hatte, traf ich an der zum Uebersteigen der Einfriedung dienenden Vorrichtung, im Plattdeutschen „Stägel“ genannt, mit der Tochter des Höfners zusammen. Es war dies ein junges Mädchen von 18 Jahren, meine Jugendfreundin und Schulkameradin. Blauäugig und blondhaarig, schlank von Wuchs und mit hübschen, freundlichen Gesichtszügen ausgestattet, erschien Anna H... mir natürlich als der Inbegriff aller weiblichen Schönheit und Vollkommenheit.

      Meine Freundin setzte sich auf das niedrige bankartige „Stägel“ und begann allerliebst zu plaudern von allerlei nichtssagenden Dingen, während ich, an den Zaun gelehnt, ihr zuhörte, oder auch ihre meist scherzhaften Reden nach besten Kräften zu erwidern versuchte. Anna vergaß bei alledem nicht, an dem baumwollenen Strickstrumpf, den sie in den Händen hielt, eifrig weiter zu stricken, was mir gar so recht nicht gefiel, denn wenn sie ab und zu lächelnd zu mir auf sah und ich gerade im Begriff stand, mich mit einem schwärmerischen Blick in die „unergründlich süße Nacht“ ihrer lieben Augen zu vertiefen, machte mir zu oft der böse Strickstrumpf einen Strich durch die Rechnung. Irgend eine entschlüpfte Masche oder ein sonstiges Hinderniß erforderte plötzlich Anna’s Aufmerksamkeit, ihr Blick wich dem meinen aus und wandte sich dem Werkzeuge zu, das sie in der Hand hielt, und statt in die schönen blauen Augen meiner Freundin zu schauen, mußte ich dann ohne daß ich es wollte auf die langweilige Fläche des im Werden begriffenen