Roland Habersetzer

Die Krieger des alten Japan


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aus der Feder von Yamaga Sokô (1622-1685). Sein Werk ist eine komplexe und detaillierte Darstellung der moralischen Prinzipien, nach denen ein Krieger sich streng zu richten hatte. Dies bezog sowohl die Ausübung des Waffenhandwerks als auch die anscheinend unbedeutendsten Einzelheiten des täglichen Lebens mit ein, für alles wurde klar definiert, was richtig und was falsch sei. Auch verlangte er, daß ein Krieger dem Tode gegenüber bewußt gleichgültig zu sein habe.

      Aber erst in der Ära der Tokugawa kam es zur Blüte des bushidô-Konzepts. Anfang des 18. Jahrhunderts, im Jahre 1716, erschien ein Werk, das ein großer Klassiker werden sollte: das Hagakure. Hierbei handelt es sich um die gesammelten Schriften des Samurai Yamamoto Tsunetomo (1659-1719), herausgegeben durch Tashiro Tsuramoto. Das Hagakure14 (»Verborgen unter den Blättern«) bringt auf vollendete Weise den Samurai-Geist zum Ausdruck. Im Mittelpunkt des Werkes stehen die Tugenden, die dem Leben eines Kriegsmannes seinen Sinn verleihen: Dazu zählten giri (Pflicht), yû (Mut), enryo (Todesverachtung), reigi (Höflichkeit), makoto (Aufrichtigkeit, Wahrheitsliebe), hontô (Tatsächlichkeit), chûgi (Loyalität, absolute Treue), gishi (Rechtschaffenheit), shiki (Entscheidungskraft), ninyô (Menschlichkeit), bushi-no-nasake (Mitgefühl), doryô (Edelmut) und ansha (Freigebigkeit). All diese Werte beruhten auf folgendem Grundsatz: »Wenn der Samurai sich zu jeder Zeit selbstkritisch beobachtet und wenn er darüber hinaus bereit ist, sein Leben zu lassen, wann und wo dies erforderlich ist, wird er in allen Kampfkünsten vollendet sein, und er wird ein Leben führen, das rein ist wie ein Diamant.« Diese Ideen lebten im japanischen Geiste fort, selbst nach der kaiserlichen Restauration von 1868 (meiji jidai).

      Dennoch änderte sich der Status der Samurai mit der Meiji-Restauration radikal. Sie verloren ihre Privilegien, ihren Daseinsgrund. Das neue Japan hatte sich für eine Armee modernen Typus entschieden, die auf der Zahlung von Sold beruhte und nicht mehr auf dem Schwur der Samurai, der sie zu lebenslanger Treue einem einzigen Herren gegenüber verpflichtete. Insbesondere wurde ihnen das Tragen der Schwerter verboten (haitôrei-Edikt von 1876). Dieser Angriff auf die geheiligte Tradition des yamato kokoro (Geist des alten Japan) stieß auf Unverständnis und führte zu Unruhen und offenem Aufruhr. Der bekannteste dieser Aufstände war die Satsuma-Rebellion (Satsuma-no-ran) unter Saigô Takamori. Aber die Neuausrichtung der japanischen Gesellschaft erwies sich als unumkehrbar. 1872 wurde der Status des Samurai abgeschafft, und die ehemaligen Krieger wurden nun entweder den Shizoku (Adlige) oder den Heimin (Bürgerliche) zugeordnet. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als die Bevölkerung Japans 20 Millionen zählte, gab es 500 000 Samurai. Zur Zeit der Meiji-Reform gab es bis zu 2,1 Millionen Shizoku, während die Einwohnerzahl des Landes auf 46,6 Millionen gestiegen war.

      Samurai in der Schlacht, mit blank gezogenem katana und einem sashimono auf dem Rücken.

      Allen Reformen zum Trotz ist die japanische Kultur noch heute von den Werten, denen die Samurai einst ihr Leben verschworen hatten, durchdrungen, wenn dies auch manchmal nicht ohne weiteres erkennbar ist. Sie waren bereits die Helden der melancholischen Balladen, die die im Mittelalter von Burg zu Burg ziehenden japanischen Troubadoure, die biwa hôshi, begleitet von Lautenmusik zum besten gaben. Und noch immer bringen die Schauspieler der ­kabuki- und nô-Theater15 mit den beispielhaften Lebensgeschichten der alten Samurai ihr Publikum zum Träumen, und auch aus den alten populären Romanen, Märchen und Legenden sind diese Krieger des alten Japan nicht wegzudenken.

      In diesem Buch werden nun einige der Heldentaten der Samurai, die in den Augen ihrer Zeitgenossen oft an Zauberei grenzten, erzählt. Bis heute werden sie als Heilige, Heroen, Unbesiegbare angesehen, und man sagte über sie, daß ein einziger von ihnen tausend gewöhnliche Kämpfer aufwog.

      »Der Klang der Glocke vom Gion-Tempel ist das Echo der Unbeständigkeit der Dinge. Die verblassende Farbe der Teebaumblüte erzählt uns, daß alles, was blüht, einst welken muß. Ja, nur einen Augenblick lang ist der Held ein Held, wie eine abendliche Träumerei im Frühling. Die Starken werden stets vernichtet. Sie sind wie Staub im Wind.«

      Aus dem Heike Monogatari, Ende 12. Jahrhundert

      Aristokraten und Krieger

      Kyôto, Residenzstadt des Kaisers, in der Mitte des 12. Jahrhunderts. Seit dem Jahre 1156 war es zu Ausbrüchen offener Gewalt zwischen rivalisierenden Parteien am Hofe gekommen.16 Der Kaiser, dessen Macht theoretisch unumschränkt war, hatte inmitten dieser unaufhörlichen Streitigkeiten allen Einfluß verloren. Das Herrschaftssystem war am Ende der Heian-Zeit17 nicht mehr lebensfähig. Allzu deutlich hatte die Aristokratie ihre Unfähigkeit zum Regieren unter Beweis gestellt, und überall im Lande, selbst in der Hauptstadt, herrschte Anarchie. Nur die Anführer der Kriegerklane würden in der Lage sein, ein Mindestmaß an zentralistischer Ordnung aufrechterhalten zu können, denn allein sie waren stark genug und verfügten über die nötigen Strukturen, damit ihre Entscheidungen umgesetzt würden.

      Die Kriegerkaste (buke) hatte sich seit dem 10. Jahrhundert im Schatten der mächtigen Familie Fujiwara etablieren können. Jene Hof-Aristokraten waren mehr an Kultur als an kriegerischen Belangen interessiert. Sie bezogen ihre Einkünfte aus Besitzungen, die in ganz Japan verstreut waren. Den Schutz und auch die Verwaltung ihrer Güter vertrauten sie den Kriegsleuten an. Die politische Stabilität, die Frucht der sogenannten Fujiwara-Kultur war, begünstigte die Herausbildung einer Klasse von Berufskriegern, deren Stellung vererbbar wurde. Mit der Zeit kristallisierten sich unter den Kriegern zwei Klane heraus, jener der Taira und jener der Minamoto18. Die Klane waren sich einig gegen die Klasse der Aristokraten, denen sie gerade gut genug waren, um gegen Bezahlung für sie zu arbeiten. Was jedoch die Nachfolge der Macht anging, so herrschte zwischen den Klanen unerbittliche Rivalität. Die Taira unter ihrem Anführer Kiyomori19 lagerten in den westlichen Provinzen, und die Minamoto unter der Führung Yoshitomos20 befanden sich im Osten des Landes.

      Als die Fujiwara schließlich die Gefahr witterten, die von den zur Macht drängenden Samurai-Klanen ausging, war es zu spät. Den Aristokraten war die reale Herrschaft bereits entglitten. Sie zu stürzen, würde ein Leichtes sein. Mit Einwilligung des Kaisers ergriff schließlich im Jahre 1159 Taira-no-Kiyomori die Macht. Bereits im selben Jahr brachen die Feindseligkeiten zwischen den Klanen aus. Die Heiji-Rebellion (Heiji-no-ran) hatte begonnen, das Vorspiel zum langen und schrecklichen Gempei-Krieg, in dessen Verlauf das Kriegsglück der Parteien häufig wechselte.21 In jenem Jahre wurde auch der jüngste Sohn Yoshitomos, Minamoto-no-Yoshitsune22, geboren.

      Die Heiji-Rebellion endete mit einer vernichtenden Niederlage der Minamoto. Damit die Macht der Taira nie wieder in Frage gestellt würde, befahl Taira-no-Kiyomori Massenhinrichtungen unter den Familien der Minamoto. Jene Anführer der Minamoto, die die Schlachten des Heiji-no-ran überlebt hatten, wurden an den Ufern des Flusses Kamo enthauptet, einem traditionellen Hinrichtungsort. Dem Oberhaupt des rivalisierenden Klans, Minamoto-no-Yoshitomo, war es zwar gelungen, nach der Niederlage nach Owari zu fliehen, aber bereits im darauffolgenden Jahr, 1160, wurde er durch einen seiner eigenen Offiziere, Osada Tadamune, beim Bade ermordet. Der Mörder schickte seinen Kopf unverzüglich nach Kyôto.

      Dieser Schlag versetzte das ganze Land in Schrecken. Wer auf Seiten der Minamoto das Massaker überlebt hatte, versuchte zunächst alles, um nicht aufzufallen, in Vergessenheit zu geraten. Aber die Unterlegenen selbst vergaßen nichts. Es waren nicht mehr viele, durch deren Adern das Blut der Minamoto rann, aber es waren noch genügend an der Zahl, daß das Verlangen nach Rache nicht zum Erlöschen kam und nur auf den Tag harrte, an dem seine Glut zur Flamme würde.

      Zunächst jedoch war der Sieg Kiyomoris so überwältigend, daß er es sich gestattete, Großmut zu beweisen. Zwanzig Jahre später, auf seinem Totenbett, sollte er dies zutiefst bedauern. Seiner selbst und seines Sieges sicher, ließ er das Leben mehrerer Söhne Minamoto-no-Yoshitomos schonen. Dies betraf den dritten Sohn, den 13jährigen Yoritomo23, und drei jüngere Söhne, die Yoshitomo von seiner Konkubine, der schönen Tokiwa Gozen24 bekommen hatte. Der jüngste von ihnen, der erst wenige Monate zählte, hieß Ushiwaka. Er sollte später den Namen Yoshitsune annehmen.