Daniel Weißbrodt

Regensburg am Schwarzen Meer


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Bier zurück, den er vor mich stellt.

      »Jetzt, am Mittag?«, sage ich. »Normalerweise trinke ich tagsüber überhaupt kein Bier und schon gar nicht bei dieser Hitze.«

      »Das hat nur 10°«, sagt Martin und lächelt, »das tut keinem was.« In der Slowakei wird das Bier, wie in Tschechien, nicht nach dem Alkoholgehalt, sondern nach der Stammwürze eingeteilt. 10° bedeuten etwa 3 % Alkohol, nur das 12°-Bier hat, wie bei uns, fünf Prozent und als die Becher leer sind, stehe ich auf und hole eine neue Runde.

      Danach steigen sie auf ihre Räder, winken noch einmal und ich gehe zurück zum Fluss.

      Ein paar Kilometer darauf weitet sich die Donau zu einem gewaltigen See. Am Ufer liegen kegelförmige, vielleicht zehn Meter hohe Sandhaufen, zum Teil schon mit Gräsern und Büschen bewachsen und leicht in sich zusammengefallen, zum Teil frisch aufgeworfen und hellgelb, fast weiß in der Sonne leuchtend.

      Links zweigt der Schleusenkanal für die Großschifffahrt ab, ich bleibe am rechten Ufer und auf einer Landzunge vor der Schleuse stehen buntbemalte, mehr als drei Meter hohe, fantasievolle Skulpturen, die in der Nachmittagssonne leuchten.

      Die Bootsgasse ist unpassierbar. Baumstämme haben sich vor die Öffnung geschoben, der schmale Kanal liegt trocken und ich gehe zu einem großen, weißen Gebäude.

      Ein dicker, schnauzbärtiger Mann in Uniform sitzt neben dem Haus im Schatten und ich frage ihn, ob ich geschleust werden könnte.

      »Nein«, sagt der Mann, »das ist unmöglich. Die Schleuse ist außer Betrieb.«

      »Keine Chance?«

      Er hat die Hände vor dem Bauch gefaltet, sieht mich träge an und schüttelt den Kopf.

      »Keine Chance!«

      Ich gehe die Straße auf der Mauer entlang und finde links eine kleine Bucht. Von hier sind es etwa zweihundert Meter bis zur anderen Seite unterhalb des Stausees, wo ich das Boot wieder einsetzen könnte, und ich fahre in die Bucht und entlade das Boot, schleppe die Säcke nach und nach hinunter zur Einsatzstelle und als ich das Boot anheben möchte, stelle ich fest, dass es zu schwer ist. Ich schaue mich um und sehe einen jungen Mann, der in Badehose am Ufer sitzt, gehe zu ihm und erkläre, dass ich Hilfe brauche. Er nickt und steht auf. Gemeinsam tragen wir das Boot hinunter.

      Das war nun endlich das letzte Hindernis, denke ich, das letzte Mal, dass das Wasser sich gestaut hat, es ist geschafft und ich sehe mich um. Links steht ein Auto unter Bäumen, ein Mann packt seine Angeln aus und zwei Kinder spielen im Wasser, sie plantschen, schwimmen und spritzen sich mit Wasser voll.

      Man kann also baden in der Donau?

      Das Wasser ist zwar ein wenig trüb, scheint aber auch nicht viel schmutziger zu sein als ein beliebiger Badesee zu Hause. In meiner Kindheit konnte man in Flüssen nicht baden. Sie waren mit Abwässern verdreckt, auf ihnen trieben Flocken schmutzigbraunweißen Schaums und schillernde Flecken von Öl und Benzin. Mehr Kloaken als Flüsse waren es und so bin ich auch jetzt nicht auf die Idee gekommen, in der Donau zu schwimmen, schließlich ist sie kein See. Seltsam, denke ich, wie lange diese Vorstellung prägend geblieben ist, denn das kühle Wasser tut gut, es wäscht mir den Schweiß von der Haut und ich bin erfrischt und fühle mich geradezu sauber, als ich wieder aus dem Fluss steige.

      AUF DER GANZEN BREITE des Flusses liegen Gesteinsbrocken und das Wasser umsprudelt sie rauschend und weiß schäumend. Baumstämme haben sich zwischen den Felsen verfangen und ich lege am linken Ufer an und sehe über das Wasser. Es hilft alles nichts, ich muss ein weiteres Mal umtragen, denn durch dieses Wildwasser kann ich nicht fahren.

      Als das Gepäck in der kleinen Bucht unterhalb der Stromschnellen liegt, gehe ich zurück zum Boot, aber es ist niemand zu sehen, der mir helfen könnte. Ich muss es allein schaffen, drehe das Boot um und hebe den Bug an, krieche darunter und lege es mir auf den Buckel. So funktioniert es und ich marschiere mit gebeugtem Rücken den zweihundert Meter langen Waldweg hinunter.

      Die Sonne steht im Zenit, es ist heiß und außer dem Gezwitscher der Vögel und dem Zirpen der Grillen ist nichts zu hören. Sommerhitze liegt über dem Land und die Luft flimmert, ich paddle nicht mehr und lasse mich treiben. Schilf und Wald säumen das Ufer, ein paar Meter von mir entfernt schwimmt ein Biber, dann schlägt er laut klatschend seine Kelle aufs Wasser, er taucht ab und zum ersten Mal sehe ich einen Seidenreiher. Er steht am Ufer im flachen Wasser, er ist vielleicht einen halben Meter groß und weiß. Als er auffliegt, sehe ich, dass seine Beine schwarz sind, seine Füße aber leuchtend gelb.

      Seit dem letzten Regen ist fast eine Woche vergangen, der Wasserstand ist um mehr als einen halben Meter gefallen und die flach über dem Wasser hängenden Äste der Weiden und das Schilf sind von feinen Schlammschichten überzogen, die in grauen Streifen die Pegel der vergangenen Wochen anzeigen.

      Auf einer breiten Wiese neben dem Medveďov-Arm stehen unter Bäumen zwei große Zelte und ein Kleinbus und am Ufer liegen zwei Kanadier und ein Schlauchboot. Es ist schon spät am Nachmittag, die Schatten werden länger und das Licht milder und als ich das Boot an Land ziehe, sehe ich, dass das Ruder lose ist. Eine der drei Schrauben ist locker und eine fehlt.

      Medveďov ist ein kleines Dorf, umgeben von Feldern, Wiesen und ein paar Flecken Wald. Ein großer, moderner Traktor fährt an mir vorbei, eine alte Frau trägt eine geblümte Einkaufstasche nach Hause und zwei Halbwüchsige in kurzen Hosen und mit freiem Oberkörper schlendern langsam über die schmale Straße.

      Obwohl das Dorf in der Slowakei liegt, sieht es schon sehr ungarisch aus, oder doch wenigstens so, wie ich mir ein ungarisches Dorf vorstelle. Umgeben von flachem, weitem Land, in dem nur ab und an eine kleinere Baumgruppe steht, liegen die Häuschen beieinander, die meisten wohl in den 1950ern gebaut. Sie tragen ein flaches, pyramidenförmiges Dach, mit Ziegeln oder mit Wellblech gedeckt, in den Gärten wachsen Tomaten und Paprika, stehen Kirsch- und Pfirsichbäume, unter denen gelegentlich eine Ziege weidet, die den Kopf hebt und mich kauend aus großen, gelben Augen anglotzt, und auf einem Mast brüten Störche. Der Betonmast scheint keinen anderen Zweck zu erfüllen als den, ein Storchennest zu tragen. Es hängen keine Stromleitungen an ihm und am oberen Ende ist ein rundes, von vier Streben abgestütztes Stahlgerüst angebracht, das den Zweck des ansonsten üblichen, alten Wagenrades erfüllt.

      In dem kleinen Laden im Ort gibt es keine Schrauben, aber auf einem Hof beugen sich drei junge Männer über den geöffneten Motorraum eines alten Ladas und auf meine Frage halten sie mir eine Werkzeugkiste hin, in der Schrauben in allen Größen und Formen liegen. Ich nehme mir drei Stück heraus und als ich sie frage, was ich ihnen dafür geben könnte, lachen sie nur.

      »Diese drei Schrauben haben keine fünf Heller gekostet«, sagt einer der drei. »Also lass dein Geld stecken!«

      Am Fluss schiebe ich ein paar Streichhölzer in die Löcher am Heck und schraube das Ruder wieder fest. Es scheint zu halten, aber die Feuchtigkeit der letzten Tage hat einigen der hölzernen Bootsteile wohl doch ein wenig zugesetzt und sie sind dunkel und aufgequollen. Danach gehe ich in die Kneipe und setze mich an einen Tisch auf der Terrasse vor dem Haus. Ein paar alte Männer sitzen beim Bier, im Hintergrund läuft ein Fernseher und im Schatten liegt ein Hund und döst. Ein Mann mit einer Sense auf der Schulter geht die Straße entlang und grüßt über den Zaun einen Nachbarn.

      Niemand scheint es eilig zu haben in Medveďov, es wirkt beinahe, als hätte das ganze Dorf Sommerferien und wochenlang frei, Zeit, am Fluss im Schatten zu sitzen, zu baden, am Abend gemütlich nach Hause zu schlendern und ein paar Kirschen zu pflücken. Ganz sicher ist es nicht so, aber es fehlt einfach die Hektik und das Gehetztsein, wie ich es aus der Großstadt kenne, und ich lasse mich von der dörflichen Ruhe anstecken, trinke ein Bier, mache mir ein paar Notizen und gehe erst zurück zum Fluss, als es schon dämmert.

      AM MORGEN ZIEHE ICH das Boot ins Wasser. Das Ruder sitzt wieder fest und reagiert auf jede kleine Bewegung der Pedale. Das Land ist flach und links und rechts am Ufer stehen Erlen und Weiden mit silbriggrün schimmernden Blättern, Zweige hängen im Wasser, manchmal steht in einer Bucht mit Sand- oder Kiesstrand ein Zelt und jemand winkt mir zu, ein Kanu liegt im Gras und zwischen zwei Bäumen ist eine Hängematte gespannt, in der ein Mädchen liegt und liest, auf einer