Heinz-Dietmar Lütje

Der Club der scharfen Tanten


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auf dem Handy aufleuchteten. Kaum war der grüne Hörer gedrückt, da meldete sich bereits nach dem ersten Freizeichen eine weibliche Stimme: „Polizeinotruf!“

      „Ja, ich wollte nur melden, dass vor mir ein rotes Mercedes-Cabrio in Schlangenlinien unterwegs ist!“

      „Ja, und wer sind Sie?“, klang die Stimme der Einsatzleitstelle der Polizei aus dem Mobiltelefon.

      „Das tut nichts zur Sache. Hauptsache, Sie holen diese Person von der Straße!“, verweigerte Sieglinde die Auskunft und gab noch das Kennzeichen des Mercedes, sowie ihren Standort, durch und unterbrach die Verbindung. Sie überlegte kurz und entschloss sich dann, dem roten Sportwagen weiter zu folgen. Dass die Polizei Etta stoppte und pusten ließ und dann ja zur Blutentnahme auf die Wache bringen würde, das wollte sie sich nicht entgehen lassen.

      Oh, was war das denn? Sieglinde war der festen Meinung, dass die angeschickerte Etta doch wohl auf dem Heimweg nach Bönningstedt wäre, aber wieso bog die dann jetzt ab? Wenn die jetzt ganz woanders hinführe, dann würde die Polizei sie ja vielleicht gar nicht schnappen. Oh wie gut, dass sie ihrem Impuls gefolgt und ihr weiter nachgefahren war. Sie griff nach ihrer teuren Handtasche und suchte das Flohmarkthandy. Wo war das verdammte Ding nur? Ah, da! Während ihrer Suche hatte sie allerdings mehr in ihre sündhaft teure Designertasche geschaut, als auf die Straße geachtet und nicht gemerkt, dass sie mit ihrem Auto immer weiter nach rechts an den Fahrbahnrand geriet. Gerade richtete sie den Blick wieder auf die Straße, da knirschte es auch schon hässlich. Oh nein, nun hatte sie doch tatsächlich einen parkenden Wagen gerammt. Sie blickte in den Spiegel. Ach, so eine alte Blechschaukel. Natürlich würde sie gleich umkehren und ihre Karte hinter den Scheibenwischer stecken, aber erst einmal die Polizei auf den Umstand hinweisen, dass der rote Mercedes jetzt abgebogen war. Sie drückte die Wahlwiederholung, als sie auch schon im Spiegel ein blaues Flackern bemerkte. Ach, da ist die Polizei ja schon, freute sie sich. Gleichzeitig meldete sich die Einsatzleitstelle: „Polizeinotruf!“

      „Äh, ja, ich bin es nochmal, der rote Mercedes ist Richtung Innenstadt abgebogen und …“ Sie legte auf, als sie das zuckende Blaulicht direkt hinter sich bemerkte und der Streifenwagen jetzt auch sein Martinshorn aufjaulen ließ. Da schor der blau-silberne VW-Variant auch schon aus, überholte ihren BMW und – sie glaubte es ja nicht – aus dem rechten Seitenfenster kam ein Arm mit Kelle heraus und forderte sie zum Anhalten auf. Gleichzeitig bremste der Polizeiwagen stark ab, so dass sie ebenfalls bremsen musste, wenn sie nicht auffahren wollte.

      „Die Bullen sind ja noch blöder, als ich gedacht habe“, murrte sie halblaut vor sich hin.

      Da öffnete sich die rechte Tür des Passats und ein Beamter stieg aus. Gemächlichen Schrittes näherte sich der noch junge Mann in seiner dunkelblauen, fast schwarz wirkenden Dienstkleidung, die eigentlich nicht mehr wie eine Uniform aussah, sondern sie eher an einen Mechaniker im Blaumann oder einen Wachmann denken ließ. Eine weiße Mütze setzten die Burschen heutzutage wohl auch nicht mehr auf. Schrecklich dieser Verfall der Sitten, ging ihr durch den Kopf. Sie ließ die Scheibe runter und fuhr den jungen Beamten an: „Wieso halten Sie mich an? Da vorn, gleich links, ist die betrunkene Frau mit dem roten Mercedes abgebogen. Da müssen Sie hinterher. Nun machen Sie schon!“

      Die eben noch neutral, fast freundlich wirkenden Gesichtszüge des schlanken Mannes mit den kurzgeschnittenen, blonden Haaren veränderten sich schlagartig. Ein ironisches Grinsen glitt über sein Gesicht, als er etwas lauter als nötig erwiderte: „Ich mache gar nichts. Sie machen, und zwar als erstes den Motor aus. Dann reichen Sie mir Führerschein und Fahrzeugschein und danach steigen Sie aus!“

      Sieglinde glaubte nicht richtig zu hören. „Ja, was fällt Ihnen denn ein? Sie wissen wohl nicht, wer ich bin?“

      „Nein, aber gleich werde ich es wissen“, kam es unfreundlich zurück. Gleichzeitig griff er in das Fahrzeug, drehte den Zündschlüssel um und zog ihn aus dem Schloss.

      „Sind Sie jetzt total verrückt geworden?“, fauchte Sieglinde, „das wird Sie teuer zu stehen kommen!“

      Der Beamte winkte in Richtung Funkwagen und meinte gleichzeitig in geradezu herablassendem Tonfall: „Teuer mag stimmen, aber für Sie und jetzt raus aus dem Wagen, oder ich helfe nach!“

      Sieglinde verschlug es die Sprache, was seit Jahr und Tag nicht mehr vorgekommen war. Halt, stimmt ja nicht. Erst vor wenigen Tagen, als der Stammtisch „Ladies Power“ sie abgelehnt hatte.

      Mittlerweile hatte der zweite Beamte seinen Kollegen erreicht. „Was gibt’s?“

      „Diese Dame beliebt sich für etwas Besseres zu halten. Ich habe ihr schon den Schlüssel abgenommen, weil sie den Motor trotz mehrmaliger Aufforderung nicht ausgemacht hat. Papiere hat sie auch nicht rausgerückt und aussteigen will sie wohl auch nicht freiwillig.“

      „Na, wenn’s weiter nichts ist, das haben wir gleich!“ Er öffnete die Tür, packte die Frau am linken Oberarm und zog sie aus dem Wagen.

      „Aua, Sie Flegel, Sie tun mir weh!“, empörte sich Sieglinde Hammerschmidt-Blume. „Das ist Körperverletzung im Amt. Ich werde Sie anzeigen. Sie sind die längste Zeit Polizist gewesen. Darauf können Sie sich verlassen, Sie Rüpel!“

      Der große, gut über einen Meter und neunzig messende und wohl auch an die neunzig Kilo schwere Beamte musterte sie mit abfälligem Blick von oben bis unten und fuhr sie dann an: „Jetzt halten Sie endlich die große Klappe, sonst lege ich Ihnen Handschellen an!“

      „Was? Das, das wagen Sie nicht. Ich bin Dr. Sieglinde Hammerschmidt-Blume!“ Triumphierend blickte sie zu ihm hoch.

      „Schön für Sie, und ich bin Polizeiobermeister Bernd Bühse und werde langsam sauer. Verstanden?“

      „Wenn wir schon bei den Vorstellungen sind, ich bin Wolf Winkler, Polizeioberkommissar, und fordere Sie letztmalig auf, mir Führerschein und Fahrzeugschein auszuhändigen!“

      „Haben Sie nicht gehört, ich bin Frau Dr. Hammerschmidt-Blume. Mein Mann ist der Staatsrat im Finanzresort.“

      „Ja und? Kann ich was dafür?“, lautete die jetzt auch unfreundliche Erwiderung.

      Dann wandte er sich an seinen Kollegen. „Hol ihre Tasche aus dem Wagen, aber erst hier öffnen!“ Kurz darauf durchsuchte der Oberkommissar die Tasche nach den Papieren, fand diese schließlich in einer ebenfalls teuren Hülle aus feinstem Leder und stellte fest: „Na also, Ihre Angaben zur Person stimmen ja jedenfalls. Haben Sie überhaupt begriffen, weshalb wir Sie angehalten haben?“

      Sieglinde guckte verwundert. „Natürlich, wegen des roten Mercedes! Aber der ist ja jetzt weg. Das haben Sie fein hingekriegt. Alle Achtung, kann ich da nur sagen!“

      Die beiden Polizisten wechselten einen verdutzten Blick.

      „Von einem roten Mercedes wissen wir nichts. Interessiert uns auch nicht. Wir haben Sie angehalten, weil Sie einen anderen Wagen angefahren haben und einfach weitergefahren sind. Das nennt man Unfallflucht und wird in der Regel mit Geldstrafe und Führerscheinentzug geahndet.“

      „Wie bitte? Das ist doch nur passiert, weil ich nach meinem Handy gesucht habe, um ihrer Kollegin, die ich bereits auf die angetrunkene Fahrerin hingewiesen habe, mitzuteilen, dass der Mercedes abgebogen ist.“

      Sieglinde schwante plötzlich, dass Sie wohl an die Falschen geraten war. Die beiden ließen sich nicht davon beeindrucken, wer sie war.

      „Das wird sich doch alles aufklären lassen“, versuchte sie jetzt freundlich zu werden.

      „Wird sich ganz sicher. Sie steigen jetzt bei uns ein und alles Weitere regeln wir auf der Wache“, lautete die weniger freundliche Antwort.

      Etta von Tarla-Hippenstedt hatte von alledem nichts mitbekommen. Mit einem Mal war ihr der Einfall gekommen, dass der Abend doch noch nicht enden brauchte. Meist immer, wenn sie zu viel flüssigen Seelentröster zu sich genommen hatte, benötigte sie entweder seelischen oder auch körperlichen Trost. So wie auch heute. Also machte sie einen Ad-hoc-Termin bei Ben, den sie so alle Woche einmal aufzusuchen pflegte. Psychologen waren fast genauso teuer, schwafelten aber für ihr teures Honorar nur rum, wie sie