Johannes Sachslehner

Abbazia


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und ertödtete das naive Vergnügen“. Die „Begründung des erforderlichen Comforts“ will er durchaus zugestehen, „fashionablen Luxus“ lehnt er jedoch ab, seine Forderung daher: „Man verschone diesen traulichen Erdenwinkel mit Cercles und Clubs, mit Taubenschießen und Theater, mit rauschendem Festgepränge und verdächtigem Spielgelichter, das bisher noch jeden aufblühenden Curort discreditiert und unleidlich gemacht hat. (…) Im Übrigen mag Abbazia bleiben, was es ist: ein trauliches Asyl für Alle, die einen grünen, sonnigen Küstenstrich aus anderen Gründen aufsuchen, als jene Weltkinder, die ohne Spiel und Sport, ohne Residenz-Odeur und Demimonde nirgends auf dieser Welt existieren können, und wäre es das leibhafte mesopotamische Paradies der Bibel.“

      Gedenktafel für „Promotor“ Theodor Billroth am Lungomare.

       THEODOR BILLROTHS WERBEFELDZUG

      Tatkräftige Unterstützung für sein Projekt als „Promotor“ findet Schüler nicht zuletzt bei Theodor Billroth (1829 – 1894), der erstmals zu Weihnachten 1884 nach Abbazia reist und hier im neuen Hotel Quarnero Quartier nimmt. Herr Hofrat Billroth, ansonsten ein treuer Gast in seinem geliebten St. Gilgen am Wolfgangssee, schreibt über die Eindrücke an der Adria am 29. Dezember 1884 einen langen Brief an seinen Freund, den Musikkritiker Eduard Hanslick, wobei Duktus und Länge des „Briefs“ darauf hindeuten, dass hier Billroth offenbar einem klaren Kalkül folgt – er möchte, wohl im Rahmen einer „konzertierten“ Aktion, „Reklame“ für das Südbahn-Projekt Schülers machen. Er lässt daher den „Reisebrief“ am 2. Jänner 1885 in der Neuen Freien Presse abdrucken; darin heißt es:

      „Liebster Freund!

      Da bin ich nun seit einigen Tagen in dem lorbeerumkränzten Abbazia und finde es herrlich hier. Wenn ich Wien verlasse, so suche ich Ruhe, Luft und Einsamkeit. Wer, wie ich, den größten Theil des Tages für Andere leben und denken muß, dabei über das Geschick vieler Menschen zu entscheiden hat, der sehnt sich, diese mit der Zeit immer schwerer werdende Last der Verantwortung öfter auf einige Zeit abzulegen. (…)

      Wohin soll man zu Weihnachten, zu Ostern in die Ferien reisen? Südtirol, die Riviera, Corfu, Zante waren mir diesmal zu weit, also versuchte ich es mit Abbazia. Ich preise mich glücklich, dass ich diesen Vorsatz ausführte; auch abgesehen davon, dass ich als Arzt nicht gerne einen meiner Clienten an einen mir unbekannten Ort sende. Daß man so oft von Abbazia reden hört, machte mich aufmerksam; denn über ganz dumme Dinge ist man auch bald fertig mit dem Reden. Oft wirst Du hören, Abbazia sei als Curort ein Kunst- und Reclameproduct, in Allem unfertig und ohne Spaziergänge, eine ganz kleine Oase in der Wildniß, kein San Reno, kein Mentone, nicht einmal mit Arco, Bozen, Meran zu vergleichen etc. Mir fällt bei solchen Reden immer die alte Volkswortspielerei ein: ‚Äppel sind keine Birnen, Birnen sind keine Äppel, die Wurst hat zwei Zäppel, zwei Zäppel hat die Wurst‘ etc. Was hier vor einem oder zwei Jahren war oder nicht war, weiß ich nicht; jetzt steht hier an einem ausgesucht schönen Punkte ein treffliches Hotel mit Dependence, ähnlich dem ‚Hotel Bellaggio‘ am Comer-See, daneben eine zum Hotel gehörige, große Villa mit sorgfältig gepflegtem, altem Parke; ein neues großes Hotel ist im Bau. Rundum Leben, Bewegung, Fortentwicklung. Es ist eine Freude, zu beobachten, von welch’ großen, die Zukunft sicher beherrschenden Gesichtspunkten aus das Ganze von dem General-Director der Südbahn angelegt wird. In dem erwähnten Parke stehen die gleichen schönen Riesen-Coniferen, Magnolien etc. wie auf Isola madre. Ich bin überzeugt, dass unter sachkundiger Leitung auch Citronen, Orangen, Palmen zu erziehen wären, Sträucher und Bäume, die ja auch auf Sicilien nicht wild wachsen, sondern in den Gärten sorgfältig cultiviert werden.

      Über den Winteraufenthalt in europäischen südlichen Curorten mag man als Arzt denken, wie man will; es bleibt eine Wonne, mitten im Winter nur aus dem Hause zu treten, um an so manchen Tagen stundenlang im hellen Sonnenschein spazieren gehen zu können. Man ist hier so ganz ‚am Land‘. Auch hier wird es zuweilen schlechtes Wetter geben; es ist eben nicht zu ändern, dass es naß ist, wenn es regnet, und dass die Erde trocken und staubig wird, wenn die Sonne lange scheint. Würde der Himmel stets unter Thränen lachen, die Menschen würden auch das bald fad finden; ihretwegen wird sich die Atmosphäre unseres Planeten nicht ändern.

      Ich sah in San Remo im Januar Schnee liegen und war einmal um Ostern in Meran gründlich eingeschneit; vor zwei Jahren amüsierte sich die Jugend von Spezzia (sic!) im April mit der Plastik von Schneemännern, wie in meinem Geburtslande an der Ostsee. Hier hat man den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass man bei solchen Intermezzi nicht in den Zimmern zu frieren braucht, wie in Italien; die Zimmer haben Doppelfenster und Öfen, die trefflich nach dem Thermometer bedient werden. Es gibt hier bei den Spaziergängen auch keine Windwinkel und kalte Passagen, wie in San Remo und Mentone, wenn man durch die Stadt gehen muß. Auf diese Weise fällt bei einiger Vorsicht der Acclimations-Schnupfen fort, dem man im Winter in Italien nicht leicht entgeht; man erkältet sich dort ja meist im Zimmer.

      Ich kenne die Winter- und Frühlingsanfänge in Italien genug, um darüber keine Illusionen zu haben. Italien hat wohl einen milderen und kürzeren Winter als wir, doch ist es immerhin ein Winter; man darf sich durch die Sonnenwärme der Mittagsstunden nicht täuschen lassen. Tage mit einem Februarmorgen, einem Julimittag, einer Oktobernacht sind auch an der Riviera zu Zeiten nichts Ungewöhnliches. Der Culturmensch soll als der Klügere in diesem Kampf mit der Natur hier wie anderwärts nachgeben und außer seiner Wollhaut zweierlei Überzieher haben. Gewiß sind die Morgen- und Abend-Temperaturen in San Remo, Mentone, Cannes, Ajaccio und Palermo um 2 bis 3 Grad höher; doch beim Sonnenschein am Tage dürfte die Differenz nicht so erheblich sein. Wer solche Stürme in Nizza und Bordighera erlebt hat, wie ich, wird sich nicht wundern, wenn es auch in Abbazia zuweilen windet; doch der Raum ist zu beengt, als dass Sirocco und Borina sich hier in allzu tollem Wirbel drehen könnten.

      Die Natur ist nicht so wildromantisch wie etwa in Taormina, doch von zauberisch, anmuthigem Reiz. Das Meer, von den Gebirgen zu einem colossalen Hafen eingedämmt, glänzt, nach Süden offen, weit hinaus; das Auge weidet sich an der Mannigfaltigkeit der Buchten und Klippen; von den Bergen, den Geländen, aus den Thälern leuchten Städte, Dörfer, Capellen, Villen hervor. Wie für die Riviera die Ölbaumwaldungen, so sind für Abbazia die stark duftenden und darum Zanzaren vertreibenden Lorbeerbäume charakteristisch. Und wie schön ist dieser edle, saftgrüne, dichte Dichterbaum, zumal im Contrast zu den in etwas geringerer Menge verbreiteten blaugrünen Olivenbäumen! Die dunklen Monatsrosen blühen auch jetzt an den Hecken in purpurnem Glanze. Wie herrlich die Gebirge rings umher, auf den Inseln, an den Küsten, eines sich hinter das andere bald so, bald so verschiebend! ‚Über drei Gebirge hin‘ ruft und flucht das Mädchen dem Geliebten in den von Brahms so gluthvoll componirten, von elementarer Sinnlichkeit strotzenden, südslavischen Liedern; daran muß ich hier oft denken.

      Man sagt, es gäbe hier keine Spaziergänge; unbegreiflich! Am Meere entlang nach beiden Richtungen hin die trefflichsten Straßen, auf denen man freilich keine Hotelbewohner findet; doch manches Andere sieht und hört man da. ‚Maiennacht‘, ‚Am Seegestade‘, ‚Über die See‘, ‚Abenddämmerung‘, ‚Sommerabend‘ – der ganze Brahms klingt mir hier immerfort entgegen. Nach dem Takte des letzten Satzes seines F-moll-Clavierquintetts trotte ich die Straße entlang, und der dritte Satz meines (wollte sagen seines) A-moll-Streichquartetts führt mich gemächlich zurück. Ich kann mir nichts Besseres wünschen. Andere mögen hier Anderes sehen und hören und gleichfalls zufrieden sein. Viele hören und sehen wohl auch nichts; die armen innerlich Blinden und Tauben!

      „Ist man der einseitigen Unterhaltung müde, so schaut man wieder hinaus aufs Meer“ (Theodor Billroth): Barcarole mit bunten Segeln.

      Illustration für eine Tourismus-Broschüre von Stephanie Glax.

      Die Wege sind eben, oder nur schwach ansteigend; das ist wichtig, weil nothwendig für ruhiges Denken im Gehen. Starke Körperanstrengung, ja selbst kleine, doch häufige Hemmnisse