OBDUKTION IM GRAND HÔTEL
Die sterbende Kaiserin wird vom Schiff getragen. Lithografie, 1898.
Ich weiß es mir auch nicht auszudenken, dass sie auf gewöhnliche Art aus dem Leben scheiden könnte, nachdem sie in das reale Leben nicht hineingehört. Ihre Lebensatmosphäre ist eine andere als diejenige, wo wir atmen.
Constantin Christomanos, Lehrer und Vorleser der Kaiserin Elisabeth, 1892
Am 10. September 1898 gelangte das berühmte Grand Hôtel Beau-Rivage in Genf durch eine Tragödie in das Blickfeld der breiten Öffentlichkeit. Diese war von der Art, wie sie jeder Hotelbesitzer fürchtet und zu verheimlichen sucht – der Tod eines Gastes im eigenen Haus. Geheimhaltung war im vorliegenden Fall allerdings unmöglich, da es sich um die Kaiserin von Österreich handelte.
Der Ort des Todes: das Luxushotel Beau-Rivage in Genf.
Bereits einen Tag später, am Sonntag, dem 11. September 1898, beherrschte das Drama am Genfer See die Schlagzeilen der Zeitungen. Es war die erste große Sensationsnachricht in der Geschichte, die mittels moderner Technologie, des neuen Telegrafen, in Blitzesschnelle um die ganze Welt ging: So las man im Wiener Tagblatt:
»Die Kaiserin ermordet! Kaiserin Elisabeth
verließ das Hotel Beau-Rivage, um sich nach dem
Landungsplatze des Dampfers zu begeben. Auf
dem Weg dorthin stürzte sich ein Individuum auf
die Kaiserin und führte einen heftigen Stoß gegen
dieselbe. Die Kaiserin fiel zu Boden, erhob sich
jedoch wieder und erreichte den Dampfer Genève,
wo sie in Ohnmacht fiel. Das Schiff … kehrte
zum Landungsplatz zurück. Die Kaiserin hatte
das Bewußtsein nicht wiedererlangt und wurde auf einer rasch hergestellten
Tragbahre nach dem Hotel Beau-Rivage gebracht.
Die Kleider der Kaiserin zeigten Blutflecken.
Der Thäter wurde festgenommen.«
Der Schaufelraddampfer »M/S Genève« verkehrte seit 1896 auf dem Genfer See und konnte 850 Passagiere transportieren. 1973 wurde er außer Dienst gestellt und liegt heute am linken Seeufer in der Nähe des Jet d’Eau verankert.
In Genf hatte sich das Gerücht von dem brutalen Überfall unmittelbar nach der Tat wie ein Lauffeuer verbreitet. Mit einem Schlag war es mit der noblen, stillen Atmosphäre in der exklusiven und sündteuren Luxusherberge, die bevorzugt von Adeligen, den Reichen und Schönen, gebucht wurde, vorüber. Trotz der mittäglichen Gluthitze fand sich auf dem Quai du Mont-Blanc eine gaffende, sensationslüsterne Menge ein, die sich durch neugierige Ausflügler, die auf der nahen Bootsstelle anlandeten, ständig vergrößerte. Man blickte zu den verhangenen Fenstern hinauf, hinter denen man die Verletzte vermutete, rätselte über das Motiv der Tat und quittierte mit Raunen das hektische Kommen und Gehen von Ärzten, Beamten, Polizisten und schließlich das Erscheinen eines Priesters. Noch hatte man nur spärliche Augenzeugenberichte. Vor allem, wer war die unbekannte Dame, die derartiges Aufsehen erregte? Tatsächlich eine Aristokratin? Man sprach von einer Gräfin von Hohenembs.
Um diese Zeit war das Verhör des Attentäters bereits in vollem Gang. Die Personalien waren rasch erhoben: Es handelte sich um einen gewissen Luigi Lucheni, wohnhaft in der Rue d’Enfer Nr. 8 in Genf und dies erst seit dem 8. September 1889. Sofort nach seiner brutalen Attacke hatten Passanten den vor Freude über das ganze Gesicht strahlenden und singenden Lucheni in der Rue des Alpes festgehalten und einem Gendarmen übergeben. Dieser schützte ihn vor der Wut einer empörten Menge, konnte aber nicht verhindern, dass Monsieur Mayer, der Direktor des Beau-Rivage, dem Übeltäter eine schallende Ohrfeige verpasste.
Das Bild des grinsenden Attentäters und Anarchisten ging um die Welt.
Zur selben Zeit bemühten sich in ihrer Hotelsuite zwei Ärzte um die in Agonie liegende bewusstlose, nur mehr schwach atmende Kaiserin. An ihrem Bett standen die Gattin des Hoteliers, eine Pflegerin und Gräfin Irma Sztáray, ihre 35-jährige Hofdame. Letztere wies den Arzt, Dr. Étienne Golay, auf die kleine Wunde in der Brust Elisabeths hin, die sie schon auf dem Schiff nach dem vermeintlichen Raubüberfall des Attentäters entdeckt hatte, als sie ihrer Herrin das Mieder öffnete, um ihr Luft zu verschaffen. Beim Anblick der kleinen blutenden Wunde wurde Sztáray von bösen Vorahnungen ergriffen. Der Arzt erkannte eine Stichverletzung, obwohl man keine Waffe in der Hand des Attentäters bemerkt hatte. Er versuchte mit einer Sonde in den Kanal einzudringen. Da sich die Wundöffnung jedoch bei Entfernung der Kleidung von ihrer ursprünglichen Stelle verschoben hatte, gelang ihm dies nicht. »Es ist keine Hoffnung mehr«, meinte er schließlich resignierend, als die kaiserliche Patientin rapide verfiel. Wiederbelebungsversuche lehnte er als sinnlos ab. Ein rasch herbeigerufener Priester erteilte der Sterbenden die Generalabsolution.
Während Kaiserin Elisabeth in Genf ihre letzten Züge tat, saß Kaiser Franz Joseph an seinem Schreibtisch im Schloss Schönbrunn in Wien und schrieb, wie er es jeden zweiten Tag zu tun pflegte, an seine Gattin in der Schweiz. Er hatte »der süßen, lieben Seele« nicht viel zu berichten, sein Tagesablauf war monoton. So erzählte er kurz Banales von der gemeinsamen Freundin Katharina Schratt und von seiner kargen Abendmahlzeit, die er tags davor, kurz nach 18 Uhr allein zu sich genommen hatte, um schließlich zu enden: »… um ½ 9 Uhr abends reise ich vom Staatsbahnhof zu Manövern ab.« Er zeichnet mit »Dich von ganzem Herzen umarmend, Dein K.(leiner)«.
»kaiserin gefaehrlich verwundet, bitte seiner majestaet mit vorsicht mittheilung zu machen«: Über Veranlassung von Irma Sztáray sendet Adolph Mansbach, der österreichisch-ungarische Honorarkonsul in Genf, dieses Telegramm an die österreichisch-ungarische Gesandtschaft in Bern. Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Gesandtschaftsarchiv Bern, Karton 102.
Gräfin Sztáray weilte zutiefst ergriffen und erschüttert am Totenbett Elisabeths. Sie hatte die Kaiserin verehrt und war ihr drei Jahre lang, mehr Vertraute als Hofdame, zur Seite gestanden. In den folgenden alptraumartigen Stunden und Tagen bewies sie erstaunliche Haltung, Kompetenz und Organisationstalent. Kurz vor 15 Uhr sandte sie – über das österreichisch-ungarische Konsulat in Genf – eine Depesche an Generaladjutant Eduard Graf Paar am Wiener Kaiserhof, die sich durch besonderes Feingefühl auszeichnete: »Ihre Majestät die Kaiserin wurde schwer verwundet. Bitte dies Seiner Majestät dem Kaiser schonungsvoll zu melden.« Das ganze Ausmaß dieser neuerlichen Tragödie in seiner von Unglücksfällen heimgesuchten Dynastie sollte den 68-jährigen Kaiser Franz Joseph nicht ganz unvorbereitet treffen.
Zu diesem Zeitpunkt war die Kaiserin bereits tot. Um 14 Uhr 40 hatten die Ärzte bei ihr offiziell den Herzstillstand konstatiert, nachdem bei der Öffnung der Schlagader ihres linken Arms kein Blutstrom mehr festzustellen war.
Kurz danach meldete sich Karl Graf Kuefstein, der österreichisch-ungarische Gesandte in Bern. Er bot seine Hilfe an, informierte die Dienststelle in Bern und veranlasste die offizielle Benachrichtigung des Kaiserhofs in Wien.
»Es war ein erschütternder Eindruck, der die Vergänglichkeit alles Irdischen so recht vor Augen führte«: die