Bodo Dringenberg

Kleiner Tod im Großen Garten


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Flugzeuge eingeholt und überprüft. Resultat: Es wurde keinerlei Eisabgang gemeldet. Aber so etwas kann eventuell unbemerkt passiert sein. Eine Zuordnung der Fäkalspuren zu Passagieren und der Besatzung eines ganz bestimmten Jets zur in Frage kommenden Zeit scheint selbst unseren Experten nicht mehr möglich zu sein. Dafür wäre ein quasi weltweiter Fäkalvergleich erforderlich. Schaurig. Aber da eben wegen des ausspülenden Gewitterregens sowieso nur noch minimale und damit unrepräsentative Reste dieser Ausscheidungen vorhanden sind, würde ein solch delikater Abgleich sowieso nicht zu harten Fakten führen.«

      »Keine harte Fakten, das ist in diesem Fall besonders treffend«, ergänzt mit einer leichten Grimasse die Hauptkommissarin. Ungerührt fährt ihr Mitarbeiter fort: »Aber die Zellulosefasern stammen von Toilettenpapier, und die Druckspuren darauf, die bringen uns weiter.«

      »Druckspuren, was für Druckspuren?«

      »Na ja, das Klopapier heißt ›Morgentau‹, und das steht gedruckt auf den Blättern. Und dieses spezielle Toilettenpapier war bei keinem der von mir untersuchten Flüge an Bord. Hat einen halben Tag Recherche gekostet, aber hat sich doch gelohnt.« Der Ermittler macht eine bedeutungsschwere Pause.

      »Da lag unser journalistischer Zeuge aus dem Großen Garten also daneben«, murmelt seine Vorgesetzte.

      »Der lag ziemlich daneben, dieser fantasievolle Publizist. Und am Tag des Todes lag auch noch ein umgekipptes Dixi-Klo fast unmittelbar an der Graft. Kollegen haben es gefunden und der Verleihfirma gemeldet – eine ziemlich stinkende Sauerei. Da ich den Laborbericht betreffs der Papierreste bereits gelesen hatte, nahm ich mir einfach mal ein noch unbeflecktes Abwischblättchen aus diesem mobilen Entsorger. Und wie heißt das – ›Morgentau‹! Der Täter oder die Täterin hat sich aus dieser Jauchengrube bedient, warum, das ist noch unklar. Noch etwas: Die Spurensicherung untersucht gerade seitliche Fingerabdrücke am Dixi-Klo, und zwar genau an den Stellen, wo der Umstürzler angepackt haben muss. Mal sehen, ob da jemand dabei ist, den wir kennen.«

      Anerkennend nickt die Hauptkommissarin und ordnet mit einem süffisanten Lächeln an:

      »So, und nun geben wir mal eine Meldung an die Presse raus. So etwas mit ›angeblicher Eis-Unfall war vom Mörder fingiert‹ oder so ähnlich. Sie deichseln das schon, lieber Kollege, und zwar gleich jetzt, o. k.?«

      Ein uniformierter Beamter betritt das Büro der Hauptkommissarin: »Draußen steht wieder dieser große Bärtige von neulich, der will Sie unbedingt sprechen und ist ganz hibbelig.«

      »Na gut, gleich rein mit ihm!« Mit langen Schritten betritt der Wohnungslose das Dienstzimmer, wedelt mit der aktuellen Boulevardzeitung und legt gleich los: »Na klar war ich auf dem Klo, dem Dixi-Klo in der Nähe, ich bin doch kein Schwein. Aber ich hab das nicht umgekippt, das können Sie Ihren Leuten ruhig sagen, die da herumsuchen.«

      »Die machen das schon richtig, keine Sorge. Sie bleiben hier in Hannover und sagen mir jetzt ganz genau, wo wir Sie derzeit erreichen können. Sie werden uns noch dankbar sein dafür.«

      »Zunächst einmal die Fakten, Sie Klugschreiber: Der Politiker ist auf gar keinen Fall von einem eisigen Kotklumpen oder kotigem Eisklumpen erschlagen worden. Die Ausscheidungen stammen aus einem bestimmten Dixi-Klo, und wir haben außen an dessen Seitenwänden Ihre Fingerabdrücke einwandfrei gesichert. Mann, Sie sind nicht so clever, wie Sie glauben. Ihre Lage kann nur noch ein Geständnis verbessern.«

      Ungewohnt nervös blickt der Journalist zu dem Uniformierten neben der Tür.

      »O. k., o. k. – Ich sah die Blondine weglaufen, war neugierig, ging rüber in die sechste Triangel, bemerkte den Toten und drehte ihn um. Als mir klar wurde, wen die Blondine da erlegt hatte, kam ich auf die Idee, doppelt, wenn nicht gar dreifach von diesem professionellen Existenzvernichter zu profitieren und posthum noch den Ruf dieses Politikmonsters zu ruinieren. Deswegen das alles mit der Fäkalprobe aus Dixieland bis hin zu den realen Jet-Eisklumpen-Storys. Brieftasche, Zeitungshonorare, dazu eventuell Belohnung plus journalistischen Erfolg – es ist genau das, was einem Mann in meiner beschissenen Lage fehlt. Meine Chancen auf einen Posten bei einer Zeitung sind gleich null. Ich bin nicht mehr jung und ich brauch das Geld. Das alles mag Ihnen zynisch vorkommen, aber so denkt eben heutzutage manch abgesägte Existenz.«

      »Und deswegen dieser Mord?«

      »Nein. Nein. – Jaja, ich gebe ja zu, dass ich mit den Fäkalien aus dem mobilen Klo eine bizarre Spur legen wollte. Und weil der saubere Politiker sein dreckiges Geld sowieso nicht mehr benötigte, erleichterte ich ihn um seine Brieftasche. Da waren gerade mal hundert Euro drin, lächerlich. Aber der Typ war mausetot, als ich in Nummer sechs nachsah, der lag schon auf dem Bauch mit blutigem Schädel. Wenn Sie mich fragen: Ich glaube, der hat sie vergewaltigt. Scheiße, ich wollte eigentlich diese Blondine da rauslassen, lieber diese Eisklumpenvariante groß rausbringen. Warum bin ich bloß so blöd gewesen, mich als Zeuge zu melden. Aber ich brauche die Kohle einfach, verdammt noch mal. Und eines kann ich schwören: Im Boskett nebenan, der Nummer sechs, waren in jener Nacht die ganze Zeit über bloß dieser abartige Politiker und seine blonde Liebhaberin. Nur die kann es gewesen sein – falls er sich nicht selbst von hinten erschlagen hat.«

      »Spätestens vor Gericht werden Ihnen solche dummen Scherze vergehen. Ich nehme Sie hiermit fest. Sie werden wegen Diebstahl und Mordverdacht angeklagt werden. Herr Polizeiobermeister, führen Sie den Herrn ab.«

      »Den sauberen Journalisten haben wir so weit, dass er Klartext redet. Er hat den Artikel mit der Eisbombe auf einen Herrenhäuser Kleingarten von einem Kollegen, der ihm noch etwas schuldete, faken lassen. Bei den letzten Artikeln im Boulevardblatt hat er als ›Exklusivinformant‹ ebenfalls seine Meinung verobjektiviert, sozusagen. Der Raub und die bräunliche Spurenlegung gehen ebenfalls auf sein Konto. Der wollte partout und aus allen Mordumständen Geld und ein bisschen Erfolg herausschlagen. Ein armes Schwein, aber ein Schwein. Die Fingerabdrücke außen am Dixi-Klo haben ihn endgültig überführt, er hat gestanden.«

      »Na, Bingo. Dann Deckel drauf und ab zur Staatsanwaltschaft.«

      »Bloß – er will am besagten Morgen einen bereits Erschlagenen vorgefunden haben. Mal sehen. Bleibt uns noch diese blonde Galeristin vom Tatort, die von diesem Journalisten nun plötzlich beschuldigt wird. Vielleicht nur aus Selbstschutz. Allerdings hat mir diese Frau eine seltsame, etwas dick aufgetragene esoterische Story erzählt, die zu glatt in Sex aufgeht. Sie besteht darauf, dass sie sich diesem Politiker einfach so hingegeben habe. Ich muss noch einmal zu dieser kunstbeflissenen Dame.«

      »Die Belohnung scheint sich in jedem Fall der Obdachlose mit dem Zylinder verdient zu haben. Keiner der mutmaßlichen Täter hat den gesehen, er aber beide.«

      »Hallo, Frau Hauptkommissarin. Wenn Sie das zu Hause auf Ihrem Anrufbeantworter hören, bin ich bereits weit weg. Dieser Drecksack von Politiker, dessen Mörder Sie suchen, hat mir trotz meiner Gegenwehr Gewalt angetan. Ich wollte Ihnen kein Tatmotiv für mich liefern, deswegen sagte ich Ihnen, dass da im grünen Dreieck alles freiwillig gewesen sei. Nun ist er tot, dieser brutale Hund, und das ist gut. An jenem Morgen hat er sich einfach von mir heruntergewälzt, als er fertig war. Blieb einfach stumpf auf dem Bauch liegen und lachte noch widerlich ins Gras. Ein kleiner, glatter, kantiger Marmorblock lag in Griffnähe, er war zu verlockend. Den trieb ich ihm in seinen ignoranten Schädel, bis er nicht mehr zuckte. Schließlich bin ich gelernte Steinmetzin und Bildhauerin. Der kommende Gewitterregen werde meine Spuren verwischen, dachte ich. Stimmte ja auch. Den Stein warf ich in die Graft. Auch gut. Dass mich zwei Leute gesehen haben, die auf die Belohnung scharf sind, damit habe ich nicht gerechnet.

      Einer von denen, dieser Journalist, Sie kennen ihn, will mich nun erpressen. Der hat da nachts gelauert und weiß, dass ich damals allein mit diesem brutalen Widerling im grünen Dreieck gewesen bin. Er hat mir versprochen, Sie auf eine falsche Spur zu setzen, wenn ich mit ihm ins Bett steige. Ich habe mich diesem Schwein verweigert. Er wird zu Ihnen kommen und mich verraten, da bin ich sicher. Aber ich lasse mich weder weiterhin demütigen noch erpressen. Sie hören gewiss noch von mir.«

      »Hier Hanno 12 42, Hanno 12 42 – Frau Hauptkommissarin, hören Sie mich? Ja, verstanden. Sie flieht. Diese Galeristin hat am Startplatz der Heißluftballons vor dem Hauptgebäude der Universität eine weibliche Geisel