Reinhard Kessler

Katzenschwund


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ist wie im Krimi im Fernsehen: Genaueres nach der Obduktion“, antwortete der heute zuständige Forensiker Karli.

      Der Spurensicherer hiess zwar Karli, aber sie nannten ihn alle nur Mister Hmm, natürlich nur, wenn er nicht dabei war. Warum sie ihn so nannten, wird sich noch zeigen.

      “Okay. Dann eben wie im Fernsehkrimi: mach den Jungs im Labor Druck.

      “Hmm – davon geht’s nicht schneller.“

      “Wenigstens die Ursache?“

      “Wasser-Intoxikation, gestorben an einer Überdosis Wasser, vermutlich.“ Und er dachte: ‚das ist meistens so bei Leuten, die in einem Weiher liegen‘.

      Die Stelle war aber seicht, eigentlich kein Ort zum Ertrinken.

      “Hier?“

      “Hmm, dein Job.“

      “Wer hat ihn gefunden?“

      “Die drei Kleinen dahinten, am Polizeiwagen.“

      “Was, die Kinder?“

      “Hmm“

      “Werden die schon betreut?“

      “Ja, … gleich … von dir.“

      “Ich liebe meinen Beruf“, sagte der Kommissar und ging in Richtung der drei Kleinen in der Nähe der inzwischen angewachsenen Gruppe von Menschen am Polizeiwagen. Ein Polizist sprach mit den Kindern und machte Notizen.

      Die Ambulanz war schon am Zusammenpacken. Für sie gab es hier heute nichts zu tun. Das war mal wieder eine von den unerwünschten Leerfahrten. Man hatte sie halt vorsichtshalber mit aufgeboten. So ein Ärger. Sie trugen es mit Fassung. Immerhin mussten sie nach dieser Fahrt nicht ihr Auto innen putzen, Blutflecken entfernen und so. Diesmal blieb es sauber. Und medizinisches Material hatten sie auch nicht verbraucht. Irgendjemand wird den Einsatz schon zahlen …

      Ein Leichenwagen mit zwei dunklen Gestalten stand schon an der Seite bereit. Die hatten heute keine Leerfahrt. Aber einen richtig glücklichen Eindruck machten die deswegen auch nicht.

      Ein junger Mann fotografierte. Er wird die Szene sicher gleich ins Netz stellen. Das geht ja heutzutage ratzfatz, speziell wenn etwas Schlimmes passiert ist.

      Die Gaffergemeinde wächst dann zwar exponentiell, aber stört wenigstens nicht vor Ort.

      ‘Sind ja wirklich noch Kinder‘, dachte er. Dann war er bei den Dreien und wusste nicht, wie er eigentlich anfangen sollte.

      “Sooo, ihr habt den … äh … also … ihr habt die Polizei gerufen?“

      “Jo.“

      “Wie heisst ihr denn?“

      “Ich bin Winneone, das ist Winnetwo, und das ist Winnethree.“

      “Aha, sozusagen Apachen, so, so, aber ihr habt sicher auch richtige Namen.“

      “Jo.“

      “Also fangen wir mit dir an: wie ...“

      “Das haben wir dem Polizisten da schon alles gesagt.

      Können wir jetzt unsere Katze weiter suchen?“, wurde er von Winneone mit sorgenvoller Miene unterbrochen.

      “Wie? Katze suchen?“

      “Na deshalb sind wir ja hier. Wir suchen unsere Katze. Die ist weg.“

      “Katzen kommen spätestens bei Hunger wieder von selbst zurück, die muss man nicht gross suchen.“

      “Hier verschwinden aber manchmal Katzen.“

      “Und unsere Katze ist ein besondere Katze!“

      “Wie, besondere Katze? Was ist denn so besonders an der Katze?“

      “Das ist eine Suchkatze!“

      “Eine Suchkatze? Was ist das denn? Heisst die so, weil man sie suchen muss?“

      “Neiii! Es gibt doch auch Suchhunde, das sind ja auch nicht Hunde, die man suchen muss. Und wir haben eine Suchkatze.“

      “Wir bilden sie aus zur Lawinensuchkatze!“, sagte mit stolzer Brust der kleinere Sommerspössler neben ihm.

      “Und, macht sie Fortschritte bei der Ausbildung zur Lawinensuchkatze?“, fragte der Kommissar, und irgendwie war er unglaublich erleichtert, dass die drei Kinder wohl keinen grossen Schock hatten.

      “Jo, sicher, also Mäuse findet sie schon unterm Schnee und gräbt sie aus. Im letzten Winter hat sie fünf Mäuse gefunden.“

      Der Kommissar begriff: wohl eine ganz besondere Lawinensuchkatze. Voll im Mousetrailing-Training.

      Dummerweise und völlig unpassend fiel ihm der Werbespruch ein: Katzen würden Mäuse kaufen, oder so ähnlich.

      Es beschlich ihn aber auch eine leise Ahnung, nämlich, dass die Mäuse wohl nicht wirklich gerettet waren anschliessend. Was das Finden und Ausgraben von Menschen – das Mantrailing – angeht, war er eher noch skeptischer.

      Er wollte eigentlich doch gerne mehr wissen, schliesslich hatten sie den Toten gefunden. Aber das für solche Fälle zuständige Care-Team traf ein und übernahm die Betreuung der kleinen Indianer.

      Mit in diesem Care-Team war seine Lieblings-Psychologin Lona. Wir erfahren später noch, warum er ihr wann immer irgendwie möglich aus dem Weg ging, am liebsten grossräumig. Jeder Meter zählte.

      Er wusste aber auch, dass die Kinder bei ihr gut aufgehoben waren. Sie brachte sich ein, wie man das so nennt. Sie engagierte sich. Sie arbeitete sehr gewissenhaft, sehr planvoll. Wenn Jelato sie denken sah, dann dachte er sofort ‘die Lona – jetzt strukturiert sie wieder‘.

      Volles Programm. Ablauf geregelt. Wie ein Backrezept. Das war Lona. Psychologische Betreuung, Zurückbringen zu den Familien, weitere Seelsorger aktivieren, Lehrer benachrichtigen und natürlich ganz entscheidend für den weiteren Erfolg der Betreuung: Bilder malen.

      Alle Kinder in solchen und ähnlichen Fällen müssen Bilder malen, zum Aufarbeiten. Und wenn sie alle drei einen Mann mit Bart malen, ganz in schwarz, dann ist das ein Trauma und der Mann wahrscheinlich der Täter. Oder auch nicht.

      Manchmal müssen sie ihre Erlebnisse auch auf einen Zettel schreiben, den an einen Luftballon binden und dann fliegen lassen, das hat was Therapeutisches, die Sorgen und die schlechten Erinnerungen fliegen einfach weg.

      Neuere psychologische Theorien besagen aber, dass es wirksamer für die Aufarbeitung ist, wenn man aus diesen Zetteln Schiffchen faltet, die in einen Bach setzt und wegschwimmen lässt. Das ist noch therapeutischer.

      Das war inzwischen nach heftiger Diskussion auf allen Kongressen und in der Fachpresse von allen führenden Psychologen anerkannt und als herrschende Lehrmeinung in die Lehrbücher aufgenommen.

      Nebenbei war es auch billiger, man brauchte keine Luftballons und vor allem kein Helium mehr.

      ‘Alles Humbug‘, dachte er, ‘aber Hauptsache die Kleinen können ruhig schlafen‘.

      Er ging zurück zum Weiher.

      “Ich rede morgen mit den Kindern, jetzt ist erstmal das Care-Team dran“, sagte er zum Forensiker.

      “Hmm“

      “Hast du noch was für mich?“

      “Ja, komisch, hat Verletzungen, wurde aber nicht ausgeraubt. Geldbörse samt Inhalt noch da. Jetzt wissen wir auch, wer er ist … äh war.“

      “Und?“

      “Schau halt selber.“

      Er durchsuchte die Geldbörse: Geldscheine, Parkkarte, Umweltabo