werden – die Scheune, in die er sich die letzten Tage zurückgezogen hatte und seiner Arbeit nachgegangen war. »Würden die Röttenbacher wissen, was in dem Gebäude gelagert ist«, dachte er sich, »wären sie kaum so umgänglich und hilfsbereit.« Wie weise von Thomas Keller, so einen geräumigen Lager-und Arbeitsraum gleich mit anzumieten. Der plastische C4 Sprengstoff aus den ehemaligen NVA-Beständen, die TNT-Zünder, die Sprengkapseln, die Relais und Handtastaturen, die Metallkugeln, die zwei automatischen Schnellfeuergewehre, die amerikanischen Splitterhandgranaten, die Thomas Keller aus dem Kosovo besorgt hatte, Pistolen und Munition – kurzum alles, was sich zum Kampf gegen die verhassten Ausländer einsetzen ließ und sich im Umzugsgut befand, hatte in der Scheune ausreichend Platz gefunden. Als Ergebnis lagen nun zwei selbstgebastelte Bomben auf dem Rücksitz des alten VW Golfs und warteten auf ihren tödlichen Einsatz. Zwei Feuerlöscher der Marke Gloria steckten in dem Rucksack. Er hatte das Löschpulver sorgfältig entfernt, den Boden sowie die Seitenwände der Behälter mit Blei verstärkt und den verbliebenen Raum mit Stahlkugeln aufgefüllt. Der kittähnliche Sprengstoff, die TNT-Zünder, Relais, Akkus – alles war professionell arrangiert. Sobald er die Zündung auslöste, würden die Metallkugeln an den schwächsten Stellen der Behälter in einem berechneten Sechzig-Grad-Winkel mit einer derartig gewaltigen Zerstörungskraft und Geschwindigkeit nach vorne austreten und verheerende Schäden an Mensch und Material anrichten. So war es geplant, so sollte es sein. Bernd Auerbach freute sich schon insgeheim auf das bevorstehende Feuerwerk. Er sah auf seine Armbanduhr. Noch eine halbe Stunde. Danach würde das Türkische Konsulat nicht mehr das sein, was es im Moment noch war.
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Während Bernd Auerbach noch an den Resten seines lauwarmen Kaffees nippte, bereiteten sich vierzehn Rentner aus München auf ihren Besuch im Historischen Straßenbahndepot St. Peter in der Schloßstraße 1 vor. Sie waren mit dem Regionalexpress der Deutschen Bahn angereist. Alle hatten in ihrem aktiven Berufsleben mit Schienenfahrzeugen zu tun. Drei von ihnen waren Straßenbahnschaffner gewesen. Auch zwei ehemalige Dampflokomotivführer waren dabei. Fünf hatten bei Krauss-Maffei Elektrolokomotiven montiert. Sie fieberten dem Besuch im Straßenbahndepot entgegen, denn sie hatten ihren Ausflug schon vor Monaten geplant und organisiert. Selbst den Nürnberger Oberbürgermeister hatten sie angeschrieben, damit ihnen ein Sonderbesuchstermin gewährt wurde, denn die öffentlichen Besuchszeiten des Depots waren ausschließlich auf das erste Wochenende im Monat festgelegt. Man konnte die vierzehn durchaus als »Pufferküsser« bezeichnen, als Bahnsexuelle. Nun standen sie vor dem Nürnberger Hauptbahnhof und blinzelten in den jungen Tag. »Pack mers«, rief Toni Hirnthaler in die Runde, »es is net weit, des schaff mer z‘Fuß. Auf gehts! Außerdem san mir eh zfrüh dran.«
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Die vierzehn Rentner aus München waren bereits eine gute Weile unterwegs, als Bernd Auerbach aus dem Südausgang des Bahnhofs trat. Die Kapuze seines Anoraks hatte er wieder bis in die Stirn gezogen. Seine Augenpartie bedeckte die dunkle Sonnenbrille. Schnellen Schrittes überquerte er die Straße Hinterm Bahnhof und lief auf den geparkten VW Golf zu. Bevor er die Fahrertür des gestohlenen Pkws öffnete, sah er sich nach allen Seiten um. Dann schwang er sich auf den Fahrersitz, steckte den Schlüssel ins Zündschloss, ließ den Motor an und rollte im Schritttempo vom Parkplatz. Sein Ziel war nur wenige Minuten Fahrzeit entfernt. Von der Allersberger Straße bog er rechts in die Köhnstraße ein, welche nach wenigen hundert Metern in die Regensburger Straße überging. Er war bereits nahe an seinem Zielort, als er urplötzlich auf Höhe der von rechts kommenden Kurtstraße kräftig fluchend in die Eisen stieg. Elf, zwölf, dreizehn ältere Herrschaften mochten es sein, die wild gestikulierend und völlig desorganisiert, von rechts nach links über die Fahrbahn eilten und ein kleines Verkehrschaos auslösten. Auch auf der Gegenfahrbahn setzte ein wildes Gehupe ein. Reifen quietschten auf dem nassen Asphalt. Fäuste drohten aus den Fahrzeugen in Richtung der betagten Herren. »Hat das Altersheim heut Kerwa?«, schrie ein erboster Beifahrer durch das herabgelassene Fenster, steckte seinen Kopf aus dem bremsenden Fahrzeug und fuchtelte mit beiden Händen in der Luft herum. »Seid ihr um dera Uhrzeit scho alle besoffn?«
»Halts Maul, Saupreiß«, schrie Toni Hirnthaler zurück und zeigte ihm den Stinkefinger. Als die vierzehn noch immer zu Tode erschreckt und verdattert, aber Gott sei Dank heil auf der anderen Straßenseite angekommen waren, legte Toni Hirnthaler erst richtig los. Seine Worte galten Sepp Melchinger, mit dreiundachtzig der Älteste in der Rentnerband. »Sepp, fängst etz des Spinna an? Warum rennst du mirnixdirnix überd Straß?« Dann richtete er seine Vorhaltungen an den Rest der Truppe: »Und ihr Hornoxn rennts dem Sepp einfach hinterher. Spinnts etz alle? Was isn in eich gfahrn?«
»Du hast doch gsagt, dass mir aufd andre Seitn müassn«, konterte der Rohrmoser Rudi.
»Aber doch erscht an der Fußgängerampel!«, gab Toni Hirnthaler ärgerlich zurück und tippte sich mit dem Zeigefinger mehrmals an die Stirn.
»Des hast net dazu gsagt«, schrie nun auch der immer noch nach Atem ringende Rudi Rohrmoser zurück.
»Genau«, schlug sein Schwager Xaver Bichler in die gleiche Kerbe, »des hast net gsagt, alter Depp.«
»Ruhe, Sakra!« Toni Hirnthaler fuhr aus der Haut. »Noch zehn Minutn, dann semmer da. Und etz reißts eich zam! Zefix luja nochmal!«
12
Das Türkische Generalkonsulat in Nürnberg hatte vor fünfundzwanzig Minuten seine Pforten geöffnet. Erst drei Besucher hatten an diesem nasskalten Donnerstagvormittag das Gebäude betreten. Parteiverkehr: Mo. – Fr. 08:30 bis 12:00 Uhr stand auf einem Messingschild neben der schmalen Eingangstür zu lesen. Passanten mit aufgespannten Regenschirmen hasteten auf dem Gehweg vor dem Gebäude mit der hellen Steinfassade vorbei und eilten zu ihren Arbeitsplätzen. Auf der Regensburger Straße staute sich der tägliche Berufsverkehr. Der feine Nieselregen glitzerte im Schein der Pkw-Scheinwerfer und die Scheibenwischer der Fahrzeuge huschten über die Windschutzscheiben und gaben die angespannten Gesichter ihrer Fahrer frei, die genervt und entrückt auf die dampfenden Auspuffrohre ihrer Vorderleute starrten. Stop and go, wie jeden Wochentag um diese Zeit. Vor dem Eingang des Konsulats steckten neun wackelige, hüfthohe Metallrohre im Asphalt und dem gepflasterten Gehweg. Sie waren mit durchhängenden, angerosteten Ketten verbunden und sollten so etwas wie eine Absperrung andeuten. Nur rechter Hand, dort wo zwei riesige Plakatwände aufgestellt waren, war das Konsulat ohne Barriere zugänglich. Enjoy More stand auf einer der Werbetafeln zu lesen, auf der eine überdimensionale, blaue Zigarettenschachtel von Pall Mall abgebildet war. Zwischen der Regensburger Straße und der Kettenabsperrung, mitten auf dem Geh- und Fahrradweg, hatte vor zehn Minuten ein Fürther mit Anorak und dunkler Sonnenbrille seinen alten VW Golf, Baujahr 1999 geparkt, war ausgestiegen und weggegangen. Typisch Fürther Autofahrer! Die machen immer, was sie wollten, Autofahren können sie sowieso nicht, diese Deppen. Nachlässig war er auch noch, dieser Fürther Blasarsch. Nicht einmal die Pkw-Türen hatte er richtig geschlossen. Selbst ein Blinder mit Krückstock sah, dass beide Türen auf der Beifahrerseite nicht richtig in ihre Schlösser eingerastet waren. Na ja, wer würde schon so eine alte, grüne Rostlaube klauen? Die beiden Feuerlöscher, die auf dem Rücksitz lagen, waren wohl das Wertvollste an dem ganzen Gefährt. Vierzehn betagte Herrschaften kamen um die Ecke gedackelt und schlurften schnurgerade auf den VW Golf zu, der sich ihnen auf dem Fußgängerweg in den Weg stellte. Sie waren auf dem Weg zur Schloßstraße 1. »Saupreißn«, schimpfte ein Hüne in Lederhose und bayerischem Trachtenjanker und wedelte mit seinem weiß-blauen Rautenmusterschirm, »so was gibt’s z’Minga net. Mei, der alte Kübl wär bei uns scho längst abgschleppt worn.«
Auch Rudi Rohrmoser belferte wie ein tollwütiger Wolpertinger: »Solch alte Kübl gibts in Minga gar nimmer, aber mia san jenseits des Weißwurstäquators, Hirni, quasi in der nördlichen Entwicklungszone unseres bayerischen Freistaates, da derfst du dich net wundern. Schau, selbst die Türn san net abgschlossn.«
Neugierig trat Toni Hirnthaler an den grünen Pkw heran und legte seine Pratze auf den Türgriff der Beifahrertür. »Brauchts an Feuerlöscher?«, rief er in die Runde.
13
Thomas