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weiß, was Du brauchst!“

      Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Da stand mein bester Freund und hatte mir eine Begleiterin besorgt. Ja, spinnt der denn? Ich hatte mich nach persönlichen Enttäuschungen zum Einsiedler entwickelt, mir stand nicht mal nach einer Beziehung der Sinn und jetzt sollte ich mir so was aufhalsen.

      Paul sah mein entsetztes Gesicht und hob beschwichtigend die Hände: „Ich weiß, was Du sagen möchtest, aber keine Widerrede. Du musst und kannst Dich nicht mit ihr unterhalten, sie stört nicht, sie wird für Dein Frühstück sorgen und ich habe Dir lang und breit erklärt, warum Du jemanden wie sie an Bord haben musst. Griechisch kann ich nicht, deshalb nenne ich sie Henriette.“

      „Wo hast Du sie überhaupt her“, fragte ich ihn.

      „So eine kriegt man hier an jeder Ecke. Sie kommt vom Land.“

      „Mensch Paul, ich weiß nicht.“

      „Ne, Hauke keine Diskussion. Vertraue Deinem Freund. Du weißt, Du kannst es mir nicht abschlagen und auf Deinem Zehn-Meter Schiff wird ja noch genug Platz sein.“

      Ich bin ein schwacher Mann. Zumindest kann ich einem Freund nichts abschlagen. Henriette ging wie selbstverständlich an Bord. Ich segelte los, winkte Paul, verdrückte eine Abschiedsträne und sah mit einem skeptischen Blick auf Henriette, die teilnahmslos an Bord rumlief. Na, das kann ja was werden, dachte ich mir. Aber bald war ich erfüllt mit Glück. Endlich, es ging los.

      Von Kreta westwärts 580 Meilen Richtung Malta. Ich genoss es, unterwegs zu sein. Meinen Traum zu verwirklichen. Bei schönem Wetter trieb sich Henriette an Bord herum und bei schlechtem war sie flugs unter Deck. Überall hinterließ sie ihren Dreck, sodass ich hinter ihr herräumen musste. Für das Frühstück sorgte sie tatsachlich, aber das war es dann auch. Es fiel mir doch schwerer als gedacht, allein an Bord zu sein, aber sie reagierte nicht, wenn ich sie ansprach. Ein kurzer Blick und ansonsten ignorierte sie mich. Was hatte sich Paul bloß gedacht. Die Monatskarte versprach gutes Wetter und die Zusage wurde nicht gebrochen. Auch die letzten 350 Meilen bis Gibraltar verbrachten meine Begleiterin und ich bei besten Wetterverhältnissen. Doch ich musste zugeben, Henriettes Ignoranz kränkte mich. Das war ich nicht gewohnt.

      Der Atlantik sollte alles ändern.

      Nachdem wir die Südküste Portugals passiert hatten, lagen die Bermudas 2000 Meilen vor uns. Nach drei Tagen schwächlichen Windes ging es los. Ein Albtraum erwartete uns auf dem schlecht gelaunten Ozean und wir verkrochen uns gemeinsam unter Deck, um dieses Höllenfeuer zu überstehen. Inzwischen ärgerte mich Henriettes Anblick und ich sah in ihrer stummen, alles durcheinander bringenden Art die Schuld für meine missliche Lage. Als der Sturm am dritten Tag endlich einschlief, war ich voller Wut. Und dann passierte es.

      Henriette bemerkte auch den Sonnenschein und die ruhige See am Morgen und stürmte an Deck. Zu schnell. Sie rutschte über das nasse Deck und landete in Sekundenschnelle im Wasser. Sie schlug wie wild um sich und ja, sie schaute mich zum ersten Mal an. Fast flehend. Und ich? Ich überlegte, ob es nicht besser so wäre und ich einfach weitersegeln sollte. Da hörte ich hinter mir ein Geräusch. Und das Folgende wollen mir meine Freunde nicht glauben, aber es ist wahr.

      Ich drehte mich um und da saß er. Er trug einen Südwester, aber seine roten Haare quollen darunter hervor. Die Pfeife lässig im Mundwinkel packte er seine Sachen in die große Seemannskiste, die vor ihm stand. Seinen Hammer hatte er zu diesem Zweck auf die Seite gelegt und unterbrach seine Tätigkeit nur, um sich kurz grüßend mit zwei Finger an die Stirn zu tippen. Der Klabauter. Er packte. Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn er ein Schiff verlässt.

      Ich zögerte nicht, und segelte eine Wende. Henriette war aufgrund der stillen See immer noch auf Sicht. Sie schlug um sich und als ich sie nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte, schien sie ihre Kraft zu verlassen. Ich sicherte mich und ließ mich über Bord hängen, schnappte sie mir mit einem Ketscher und schleuderte sie an Deck. Da stand sie nun und flatterte wie ein aufgeregtes Huhn. Naja, schließlich ist sie auch eins. Womit hatte mir Paul in den Ohren gelegen? Nach jedem alten Seemannsbrauch gehört ein Huhn zur Abschreckung des Klabautermannes an Bord. Ich schaute ihn an. Er lächelte, nahm seinen Hammer und seine Seemannskiste und ging wieder unter Deck. Henriette, das nasse Huhn, schaute ihm teilnahmslos hinterher. Dann kam sie zu mir und strich mir um die Beine, wie eine Katze. Ich war gerührt.

      Sie hat mich dann noch bis in die Südsee begleitet. Viel haben wir erlebt in diesem Jahr und sie hat mir sogar geholfen, meine Beziehungsangst zu überwinden. Natürlich nicht mit Henriette sondern mit Sandy, die ich in New York kennengelernt habe. Kein dummes Huhn, sondern eine liebevolle Australierin. Aber das ist eine andere Geschichte.

      Zählen ist einfach. Eins, zwei, drei … wo ist das Problem? Habe ich als Kind gedacht.

      Vom ersten Kuss erzählen, und schon stehe ich im Regen. Welcher war denn für mich der erste?

      In der Tradition meiner ersten Zählversuche käme er von meiner Mutter. Zärtlich, liebevoll hat er mir mein Urvertrauen geschenkt: Alles ist gut! Aber zählen Mütter beim Küssen? Vielleicht käme meine Oma in Betracht. Nur, ich erinnere mich ungern an diesen riesigen feuchten Mund, der sich mir bedrohlich näherte. Nicht immer gelang es mir, meinen Kopf rechtzeitig beiseite zu drehen. Gewässert begriff ich zwar geliebt zu werden, nur gemocht habe ich es nicht.

      Also kommen wohl eher nichtverwandte Geschöpfe des angehimmelten Geschlechts in Betracht. In meinem Fall Mädchen. Damit kommt Jutta ins Spiel. Nett, kumpelhaft, burschikos, war sie die erste aus dieser Gruppe, die ihre Lippen auf meine drückte. Wahrheit oder Pflicht haben wir am Strand gespielt und die Aussicht, die Wahrheit zu erzählen, erfüllte mich mit solcher Panik, dass ich mich für Pflicht entschied. „Jutta mindestens zehn Sekunden lang unter Wasser küssen!“, lautete der Auftrag. Schon zweifelte ich an meiner Wahl. Während ich todesmutig, aber besorgt auf das Wasser zuging, entdeckte ich bei Jutta eine gewisse Vorfreude. Sie hüpfte dem Nass regelrecht entgegen. Hatte ich da was verpasst? Unter Wasser wurde ich nicht nur das erste Mal von einem Mädchen geküsst, sondern begriff auch die Funktionsweise eines Staubsaugers. Ich war froh, meine Zunge behalten zu dürfen. Soll das der erste Kuss gewesen sein? Nein, zählen ist schwierig.

      Und wenn ich mich für die Wahrheit entschieden hätte? Vielleicht hätte ich meine Liebe zu Ute gestehen müssen. Was wäre dann passiert? So zog ein halbes Jahr ins Land bevor ich Ute küsste. Küsse sind keine Erbsen, die sich ja anscheinend hervorragend zum Zählen eignen. Sie sind etwas Besonderes, etwas Aufregendes, etwas Tolles, etwas Schönes … etwas, was Dich verändert. Nachdem ich Ute geküsst hatte, war ich verändert. Ein halbes Jahr lang werben und vor Schüchternheit sterben und sich seiner unsterblichen Liebe sicher zu sein, fand endlich seine Erfüllung. Hand in Hand am Strand, an dem mich Jutta sechs Monate zuvor fast ausgesaugt hätte, zitterte ich fast mehr vor Aufregung als vor Kälte. Und kalt war es. Saukalt! Aber als sich unsere Lippen trafen, spürte ich die Kälte nicht. Ich war auch nicht mehr aufgeregt. Glückselig, wie man sich nur bei seiner ersten Liebe fühlt.

      Danach gab es noch andere Küsse: Leidenschaftlichere, erotischere, verbotene, erhoffte, befürchtete, endgültige … aber: Doch, zählen ist einfach.

      Ute, das war mein erster Kuss.

      „Ich hol Dich dann nachher ab.“

      „Wann?“

      „Halb zehn!“

      „Okay, bis dann Petra.“

      Marianne legt das Handy beiseite und zieht tief an der Zigarette. Ich sollte nicht rauchen, denkt sie. Gibt gelbe Zähne und stinkt. Mögen die Männer nicht, aber wenn ich aufhöre, werde ich wieder dick. Mögen die meisten auch nicht. Sagen zwar immer, es sei ihnen egal, aber dann fordern sie die Schlanken auf. Sie sitzt in der Küche, da kann sie am besten lüften. Dann riecht es wenigstens nicht in der übrigen Wohnung. Vielleicht kommt jemand mit, man weiß ja nie. Ob der raucht ist egal, Raucher stören sich nicht am guten Geruch. Wie spät ist es? Zwanzig Uhr. Wird Zeit, sich zurechtzumachen. Petra wird sich wieder total aufgebretzelt haben. Na