Rita Rosen

Die Harfenfichte


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ein Haiku eingeflochten. Am Anfang der Geschichte, in der Mitte, zwischen den Absätzen oder am Schluss steht das Haiku. Das Haiku stammt ebenfalls aus Japan. Auch dieses wird dort schon seit hunderten von Jahren geschrieben. Das klassische Haiku besteht aus drei Zeilen und siebzehn Silben – fünf Silben in der ersten Zeile, sieben in der zweiten und fünf Silben in der dritten Zeile. Das moderne Haiku wird mit weniger als siebzehn Silben gebildet. Eine breit gefächerte theoretische Darlegung der literarisch-inhaltlichen Ausprägung des Haiku wurde inzwischen entwickelt. In seiner Prägnanz bildet das Haiku im Haibun eine reizvolle lyrische Variante des Prosatextes. Die im folgenden Text erscheinenden Haiku sind entweder im klassischen Stil oder im Freestyle verfasst.

      Ein Haibun wurde im Eifeler Dialekt geschrieben. Es wurde ins Hochdeutsche übertragen.

      Das Haiga ist ein Zusammenspiel von Bild und Text. Das Bild kann mit den verschiedensten künstlerischen Ausdrucksformen gestaltet werden. Der im Bild verwobene Text ist immer ein Haiku. Die Haijin können das Haiga selber gestalten. Sie können es aber auch in Kooperation mit einem darstellenden Künstler anfertigen. Beide Ausdrucksformen findet man in der Welt des Haiga.

      Im vorliegenden Band wurden die Haiga kooperativ hergestellt. Bild und Bildgestaltung sind von Eva van der Horst. Die Haiku schrieb ich.

      das Nahe kennen

      sich nach der Ferne sehnen –

      Zugvögel im Wind

      Ich blättere in einem Fotoalbum. Viele Fotos der Stadt mit den vielen Wolkenkratzern sind eingeklebt. Einige schöne bunte Fotos von den Schmuckreliefs an den Häusern hoch oben in der Nähe der Sterne. Eine Seite ist freigeblieben. Immer wenn ich diese leere Seite sehe schmunzele ich.

      Ein Freund hatte mich eingeladen. Nach New York. Er wohnte in Manhattan in einem Apartment im 60. Stock. Der Blick über die Stadt, die Hochhäuser, die Straßenlinien war schwindelerregend. Er blieb hängen an dem imposanten Gebäude, das alle anderen zu überragen schien.

      Turm aus Glas und Stahl

      glitzernde Fassade

      lighthouse der Hoffnung

      Auch in das Gästezimmer lugte es, das Empire State Building. Öffnete ich die Augen morgens, so grüßten mich die grauen, von Fenstern durchzogenen Mauern; bevor ich die Augen am Abend schloss schaute ich noch einmal hinüber zu dem erhellten Building und versuchte, die Fensterlichter zu zählen. Vergebens. Sie gingen an und aus. Auch am Tag begleitete der Turm mich, er war von überall her zu sehen, er war mein Wegweiser durch die fremde Stadt.

      Ich war im Februar in der Stadt. Das Wetter war regnerisch und trüb. Der Turm war in dieser Woche oft von Regenschauern verdeckt oder von Nebelschwaden umhüllt. Wolkenschwärme zogen über ihn dahin. Aber immer wieder wehte ein kräftiger Wind und befreite das Gebäude von den grauen Schleiern. Stoisch trotzte es dem Wetter.

      An einem Morgen wachte ich früh auf. Und war hocherfreut. Zum ersten Mal in dieser Woche zeigte sich der Himmel wolkenlos. Zartes Morgenlicht schien durch das Fenster. Ich schaute zum Building hinüber: Welch herrlicher Anblick. Unter blau-weißem Himmel, um grau-bleiche Steine, um die letzten sich verjüngenden Maueretagen schwebte der rosige Schein des Morgenrotes.

      um nackte Schultern

      pinkfarbener Schal

      Eos schmückt die Diva

      Ich kämpfte mit meiner Müdigkeit. Ich hielt meine Augen krampfhaft geöffnet, um das Bild recht lange betrachten zu können. Ich überlegte, ob ich aufstehen, den Fotoapparat nehmen und fotografieren sollte. „Aber“, sagte ich mir, „es hieß ja, dass das Wetter besser werden würde in den kommenden Tagen. Da gibt es noch eine weitere Gelegenheit, dieses Foto zu schießen.“ Und schlief wieder ein. Aber das Wetter änderte sich nicht. Es blieb neblig und verregnet und grau. Das Morgenrot zeigte sich in der Woche nicht mehr. Ich musste abreisen. Das Foto wurde nicht mehr gemacht. Doch die Erinnerung blieb.

      schließe ein Bild in

      dein Herz, verwahre es gut,

      dort vergilbt es nicht

      Im vergangenen Sommer war ich auf einem Hausboot. Zum ersten Mal in meinem Leben. Es war ein langes, breites Boot, das in einer Gracht ankerte. Vom Ufer aus musste man auf das Boot springen. Mutig sprang ich. Das Boot schwankte heftig. „Ach“, dachte ich, „das kommt von dem Aufsprung, das wird sich schon legen.“ Aber es legte sich nicht. Nicht, wenn ich die Stiege hochging, in der Mitte des Raumes stand, mich auf einen Sessel setzte, an das Fenster ging – überall spürte ich das leichte Schwanken. Eine dubiose Angst kroch in mir hoch: „Ich werde doch wohl nicht seekrank werden.“

      Ich saß auf einer Bank. Hatte mir ein Buch aus dem Regal geholt und auf meine Knie gelegt. Es war ein Buch über die Geschichte der Grachten und ihrer Hausboote. 2.500 gibt es inzwischen. Viele Menschen lieben es, auf ihnen zu wohnen. Sich frei zu fühlen. Auch mein Freund.

      Haus auf dem Wasser

      wellengetragen

      der Ozean lockt

      Beim Durchblättern des Buches bemerkte ich, dass sich das Buch bewegte. Ich überprüfte mein Sehvermögen, aber es blieb dabei, das Buch war immer in Bewegung. Mal ging eine Hälfte nach oben, mal die andere nach unten. Und umgekehrt. Schmunzelnd überließ ich mich diesem neuen Lesevergnügen.

      Ein Kontrollboot machte seinen Zug durch die Gracht. Es war ein großes Schiff, besetzt mit Männern in Uniform. Sie durchsuchten das Wasser nach Abfällen und Hindernissen, um diese zu entfernen. Das Schiff verursachte einen hohen Wellengang, der auch das Hausboot erreichte und ordentlich schüttelte. Auch die Nachbarboote wiegten sich im Rhythmus der hohen Wellen. Die Besitzer freuten sich und winkten grüßend den Wasserpolizisten zu. Ich aber ängstigte mich und hielt mich an einer Stuhllehne fest. Mein Freund lachte. Das Schaukeln spürte er schon lange nicht mehr.

      Am Abend saßen wir auf der Außenrampe des Bootes, einem schmalen Holzsteg, auf dem gerade mal ein kleiner Tisch und zwei Stühle Platz haben. Es war ein lauer Sommerabend, eine leichte Brise wehte. Die Lichter der anderen Boote längs des Ufers leuchteten auf, der Mond stand am Himmel und spiegelte sich in den Wassern. Eine friedliche Stimmung breitete sich aus. Wein wurde in schlanke Gläser eingegossen und wir prosteten uns zu. Wir stellten die Gläser ab und ich bemerkte, dass der Wein im Glase schaukelte. Das tat er einen ganzen Abend lang.

      Ich schlief in einer Koje in einem schmalen Bett. Als ich mich hinlegte, spürte ich es sofort wieder: dieses sanfte Schwingen, das leichte Schaukeln. Nun schon daran gewöhnt überließ ich mich gelassen dieser unbestimmten Bewegung. Nun konnte ich sie schon genießen. Mir kamen Lieder in den Sinn, die ich leise vor mich hin summte:

      „Eia Wieglein, Wieglein fein …“

      ein schwankender Grund

      ein tänzelnder Schritt –

      deine Seele löst sich

      In alten Reiseführern kann man lesen, dass es ein „Apollo-Delium“ auf der Insel Paros gibt, auf einem Berg gelegen. Von dort oben, so heißt es, kann man die Insel Delos sehen. Wenn auf dieser Insel in früheren Zeiten die Rituale begannen, war dies das Zeichen, dass auch im Delion auf Paros die Tänze beginnen konnten.

      Ich mache mich auf den Weg zum Delium. Ein Pfad führt den Berg hinan. Er ist steinig und staubig. Ich stolpere. Obwohl es schon später Nachmittag ist, scheint die Sonne noch stark. Ich schwitze.