Hermann Ritter

Drei Dekaden


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mit dem Christentum zu beschäftigen.

      Das unsere Auseinandersetzung beim Gottbild (und nicht beim Kultus!) anfangen muss, dürfte klar sein. Der Kultus ist nur umgebendes Werk, ist nur Verzierung. Mit unserem Versuch, Bilder zu transzendieren sollte nachvollziehbar sein, dass wir das hinter dem Kultus liegende Bild zu erfassen trachten. Und da landen wir beim Christentum schnell beim Gottesbild.

      Die christliche Religion ist – obwohl monotheistisch – nicht monolithisch angelegt. Es gibt nicht das einzige Gottesbild, sondern verschiedene, sich oft widersprechende Gottbilder. Ein Beispiel möchte ich kurz ausführen:

      Dass Gott nur der All-Liebende sein kann, folgt einfach aus der Tatsache seines Schöpfertums. Wer schafft, will Leben und wer Leben will, liebt, und wenn sich das Geschöpf die Liebe des Schöpfers bewahrt, indem es sie erwidert, bleibt ihm auch der Wille und die Macht, neues Leben hervorzubringen. Die schöpferische Kausalität ist somit die Kausalität des Lebens und der Liebe.94

      Wäre dieses Bild eines entrückten Schöpfergottes für Heiden akzeptabel? Wahrscheinlich schon. Da es jedoch ein christliches Bild ist, lehnen wir es instinktiv ab.

      Wir verbinden viel zu oft Religion und Religionsausübung, Idee und Ausführung miteinander. Da wir als Heiden aber selten bis nie über eigene funktionierende Religionsgemeinschaften verfügen, sind wir auch schlecht auf Grund der allzu verständlichen Fehler der Gläubigen zu kritisieren (und wehe man erinnert einen Asatru ob der christlichen Zerstörungen in Südamerika an die Beutezüge der Wikinger!). Unsere diesbezügliche Kritik am Christentum greift also nicht, weil wir als Heiden selbst keine vergleichbaren Angriffsflächen aufzuweisen haben (obwohl wir sie dringend nötig hätten).

      Das zweite Thema für die Auseinandersetzung mit dem Christentum ist die Magiekritik des Christentums. Das Christentum setzt die vom Christentum propagierte Menschwerdung Gottes gegen die von der Magie gelehrte Gottwerdung des Menschen.

      Die Grundhaltung des magischen Denkens ist: Mein Wille geschehe, die Grundhaltung des religiösen Menschen aber ist: Dein Wille, Herr, geschehe! Es ist, als werde das Crowleysche Tu, was du willst, das ja letztlich nur das Eritis sicut Deus (Ihr werdet sein wie Gott) der Schlange im Paradies rekapituliert, immer mehr zum eigentlichen Losungswort der sich vom Christentum lösenden Zeitströmungen.95

      Leider ist dies für viele (neu-)heidnische Gruppierungen wahr. Begriffe wie Demut und Glaube werden – wenn überhaupt – nur pervertiert wahrgenommen und benutzt. Dass es eine dienende Demut geben kann, heißt nicht, dass sie zur einzigen Möglichkeit der Demut werden muss. Wer demütig ist, der ist nicht immer unterwürfig. Und wer demütig ist, der ist nicht auch automatisch schwach. Unsere Magie macht sich oft einmal an der Stärke fest, die wir zu erlangen trachten, und nicht an den Gaben, die wir als Geschenk erhalten haben oder erhalten können. Magie ist ein Geschenk, genauso wie unser Leben, die Natur, der Kosmos überhaupt. Wir müssen uns dies ab und an ins Gedächtnis zurückrufen, wenn wir leichtfertig mit dem umgehen, was uns eigentlich nur geschenkt oder geliehen worden ist!

      Auch das Menschenbild des Heiden ist kritikwürdig. Unsere Götter tragen menschliche, oftmals gar allzu menschliche Züge. Sie trinken, sie lieben, sie kämpfen, sie sterben. Natürlich ist es gerade diese Menschlichkeit im Vergleich mit dem entrückten Gottessohn des Christentums, welche die heidnischen Götter interessant macht. Aber es ist nicht so, dass die Götter zu uns herunterzogen werden. Oftmals erscheint es mir, dass durch diesen Kunstgriff eher die Menschen vergöttert werden sollen. Menschen, Göttern gleich! könnte das Schlagwort dieser Bewegung innerhalb des Heidentums sein. Wenn die Göttlichkeit so einfach zu erreichen ist – warum soll man sich dann noch nach ihr strecken? Oder – als Gegenbewegung zur eben angedeuteten Lethargie – man versucht, selbst zum Gott zu werden und die eigene Menschlichkeit zu überwinden. Und wenn wir wirklich so sein können wie Gott, nehmen wir dann nicht Gott oder den Göttern seinen/ihren Raum in der Schöpfung und ersetzen ihn/ sie durch einen Über-Menschen, der quasi halbgöttliche Rechte erhält? Nehmen wir nicht Gott oder den Göttern sein/ihre Sonderrolle, wenn wir sie nur zu Menschen mit besonderen Gaben machen?

      Der christliche Gott ist zu entrückt, doch sind uns die heidnischen Götter nicht vielleicht manchmal zu nahe?

      Uns Heiden treibt manchmal eine schon als manisch zu bezeichnende ablehnende Haltung gegenüber dem Christentum. Meinem Argument von vorher folgend ist es wichtig, die Grundstrukturen des Christentums (oder besser und richtiger: der vom Christentum geprägten Kultur des Abendlandes) zu verstehen. Und sei es nur, um mit Hilfe der Erfassung der Grundstruktur konsequent die christlichen Anteile aus dem heidnischen Glauben zu entfernen. Ob dies möglich ist, ohne dass wir damit auch grundsätzliche Aspekte unseres Glaubens verlieren, sei dahingestellt.

      Es muss doch möglich sein, viele der Dinge, die wir als ursächlich christlich betrachten, als angenehm und/oder schön zu akzeptieren, ohne damit gleich die Hexenverfolgung, den Papst in Rom und die Eroberung Südamerikas samt gewaltsamer Missionierung der Indios zu akzeptieren. Positive Elemente des Christentums wären (ohne dass diese Auflistung irgendeinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt oder mehr sein kann als eine Liste meiner persönlichen Vorlieben) die Kathedralen, die christlichen (Blei-)Glasbilder, Choräle, Kerzen im Gottesdienst, Weihnachtskekse, der Einsatz von Weihrauch zur Reinigung/ Weihung von Gebäuden und die Verwendung von Glocken zur Vertreibung der bösen Geister bzw. zur Einladung zum Gottesdienst.

      Ein ganz wichtiges Element des Christentums, das wir unreflektiert übernommen haben, ist die Priestersukzession. Ausgehend von der Idee, dass sich alle Priesterweihen auf die Weihe der Apostel durch Jesus zurückverfolgen lassen, hält das Christentum die Illusion aufrecht, dass alle Priesterweihen in einer ungebrochenen Reihe bis auf den Sohn Gottes selbst zurückgehen. Bei der Weihe eines neuen Priesters wird diese Original-Salbung also direkt von Gott und seinem Sohn an einen neuen Priester weitergegeben.96

      Dieser Ansatz ist aber nur in Religionen interessant, in der es einen Religionsstifter gibt, der die Religion geoffenbart hat – daher der Begriff Offenbarungsreligionen für Christentum und Islam. Wir sind dieses Element der Legitimation von Priesteramt in unserer Kultur so sehr gewohnt, dass wir es (bewusst oder unbewusst) in viele heidnische Strömungen integriert haben – und das, obwohl wir uns von den Offenbarungsreligionen zu distanzieren suchen. Es scheint manchmal wichtiger zu sein, belegen zu können, welcher obskure irische Druide, welcher legendäre isländische Gode, welcher friesische Schamane oder von Gardners Stiefcousin initiierter Wicca-Priester achten Grades (mit Schulterpolstern und bunten Sternen am dreifach geflochtenen Band) einen selbst initiiert und legitimiert hat, als durch Handlungen und Taten zu beweisen, dass man die Befähigung zu Priestertum, Ausbildung und/oder Heilung besitzt.

       b. Heidnische Adaptionen

      Es ist bekannt, dass sich das Christentum u.a. heidnische, germanische Elemente zu Nutze gemacht hat, um seine Verankerung in der Bevölkerung Deutschlands möglich zu machen. Natürlich sind weder unser Osterfest noch Weihnachten (samt Nikolaus) von der Ausgestaltung her christliche Feste. Es sind heidnische Feste, die mit christlichen Themen verknüpft worden sind.

      Jedoch ist dieser Prozess keine Entwicklung, die nur für das Christentum typisch wäre. Auch im Heidentum wurden (und werden) Götter auf die Bedürfnisse der Kultur adaptiert:

      Der Kampf zwischen Wanen und Asen ist die Erinnerung an einen uralten, besonders in Schweden ausgefochtenen Kulturkrieg zwischen dem älteren Freysdienste und dem jüngeren, von Deutschland über Dänemark eindringenden Odinskult. Der Wanenkult ist überwiegend eine Naturreligion; die erzeugenden und dem Menschen wohltätigen Kräfte der Natur werden personifiziert und verehrt. Der Odinsdienst und Asenkult ist dagegen eine mehr anthromorphische Religion; die menschlichen Kräfte, die als die höchsten galten, d.h. die imstande waren, Macht zu erwerben, Weltherrschaft, werden hypostatisiert und verehrt.97

      Ebenso adaptieren wir Heiden Naturreligionen wie z.B. den Glauben der Indianer oder das Weltbild (und die Musikinstrumente …) der Aboriginees auf unsere Bedürfnisse. Um diese Religionen und ihr Weltbild für unsere Kultur anwenden zu können, müssen wir sie adaptieren, obwohl diese Religionen von ihrem Selbstverständnis lokal und völkisch98 für