und zweitens, weil es im Leben eben wichtigere Dinge gibt als Geld.
Hallo? Was? Was ist mit dir und dem Glück? Du hast in deinem Leben bis jetzt noch keins gehabt, habe ich dich richtig verstanden? Ja, das tut mir natürlich leid für dich, sehr, sehr leid tut mir das. Immer noch ständig krank wie damals, als du ein kleiner Bub warst? Der blasse, schwarz gelockte – wie? … Rote Locken hast du gesagt, richtig – also der blasse, rot gelockte Tobi, der auf meinen Knien gesessen ist? Ja? Hab ich mir’s doch gleich gedacht, du hörst dich nämlich gar nicht gut an, weißt du. Deine Stimme klingt so schwach, und jetzt musst du dich auch noch anstrengen und ganz laut mit mir sprechen, damit ich dich verstehen kann, das muss ja schrecklich mühsam für dich sein, entschuldige vielmals. Kann ich dir irgendwie helfen? Brauchst du was? Egal, was es auch ist, sag’s mir bitte.
Wie? Das Einzige, was dir noch helfen kann, ist eine komplizierte Operation, sagt dein Arzt? Also, wenn der das sagt, dann wird es wohl stimmen. Weißt du, ich kenne mich ja in medizinischen Dingen nicht aus, da bin ich für dich leider der absolut falsche Gesprächspartner, ich will auch gar keine Details hören, schon gar nicht über solche Sachen wie Organtransplantationen, nein, bitte verschone mich damit, so was ist mir immer irgendwie unheimlich, wenn ich ehrlich bin, obwohl es ja heißt, dass sie unglaubliche Fortschritte machen in der Medizin, speziell in der Chirurgie, jeden Tag ein neues Wunder, was man so mitkriegt. Also wenn du unbedingt meine völlig unmaßgebliche Meinung dazu hören willst, dann kann ich dir nur raten, ab auf den Operationstisch und viel Glück.
Ich verstehe, das ist natürlich unangenehm. Was heißt unangenehm, schlimm ist das, eine Frechheit, eigentlich ein Skandal! Da gibt es eine Operation, die dich retten könnte, aber nur, wenn du sie selber bezahlst, und wenn du das Geld nicht aufbringen kannst, Pech gehabt, unglaublich ist das, wirklich unfassbar! Geld, Geld, Geld, um nichts anderes geht es, da sieht man wieder, wie weit es mit der Menschheit schon gekommen ist. Ich kann nur wiederholen, die Leute wissen einfach nicht mehr, dass es im Leben wichtigere Dinge gibt als Geld. Es ist wirklich zum Verzweifeln. Um welche Summe dreht es sich denn überhaupt? So eine Operation kann doch nicht die Welt kosten.
So viel! Damit habe ich jetzt allerdings nicht gerechnet, das ist ja ein Irrsinn. Mein Gott, diese Ärzte, was für ein geldgieriges Pack! Von wegen Menschlichkeit und Nächstenliebe, dass ich nicht lache. Wissen genau, dass wir von ihnen abhängig sind, und das nutzen sie schamlos aus. Was für ein Glück, dass ich keinen Doktor nötig habe, hin und wieder zum Zahnarzt, ja, aber sonst gesund und fit wie ein Jüngling, jeden Tag fünf Kilometer laufen, Hanteltraining und eine Stunde am Sandsack zahlen sich halt doch aus, und das bisschen Schwerhörigkeit, was soll’s. Ich hoffe nur, dass ich eines Tages einfach tot umfalle, und zwar ohne dass ich vorher gezwungen bin, mein Geld jahrelang irgendwelchen Medizinmännern in den Rachen zu schmeißen. Keinen Cent vergönne ich dieser Saubande, keinen einzigen Cent.
Ist ja gut, jetzt beruhige dich wieder, ich hab schon verstanden, dass ich deine letzte Hoffnung bin, du musst es mir nicht noch hundertmal erklären. Lass dich operieren, um alles andere kümmere ich mich, die sollen mir einfach die Rechnung schicken, in Ordnung?
Nein, das glaube ich jetzt nicht. Vor der Operation bar auf die Hand? Das ist ja wie bei der Mafia! Die reinsten Erpressermethoden sind das, unfassbar, Korruption, wohin man schaut, Zustände wie in einem drittklassigen Gangsterfilm – und unsereins ist dagegen völlig machtlos. Am liebsten würde ich diese Verbrecher anzeigen, damit ihnen die Polizei ihr dreckiges Handwerk ein für alle Mal legt. Besser nicht, meinst du? Verstehe, es geht schließlich um dein Leben. Also gut, wenn die das so von dir verlangen, kriegst du natürlich Bargeld von mir, abgezählt und in kleinen, gebrauchten Scheinen, wie gewünscht, alles klar. Da wird ein schöner Haufen dicker Geldbündel zusammenkommen, kann ich dir sagen, also bring eine Einkaufstüte mit oder noch besser einen Koffer. Bar auf die Hand, wirklich, ich fasse es nicht.
Selbstverständlich geschenkt. Dass du es mir nie zurückzahlen können wirst, weiß ich doch, bin ja nicht blöd. Hauptsache, du wirst gesund, dann ist das Geld wenigstens für etwas gut, würde sonst ohnehin nur irgendwann verschimmeln. Ja, verschimmeln, du hast schon richtig gehört. Machen wir uns nichts vor, keiner ist unsterblich, viel Zeit bleibt mir höchstwahrscheinlich auch nicht mehr und dann verfaulen wir alle beide in der Erde, ich und mein Geld.
Nein, natürlich nicht auf der Bank, ich bin doch nicht verrückt! Keine zehn Pferde bringen mich in eine Bank, dreimal und nie wieder, vorbei ist vorbei, man muss wissen, wann Schluss ist, weißt du. Nur weil es ein paar Mal gut gegangen ist, darf man nicht glauben, es würde so weitergehen. Niemand hat immer Glück, das ist ein Naturgesetz, aber die meisten vergessen das und dann schauen sie dumm aus der Wäsche, wenn das Glück nicht mehr mitspielt und die Handschellen klicken, oder wenn’s sogar Tote gibt. Nicht mit mir, Banken sind für mich absolut tabu, um die mache ich einen ganz großen Bogen. Viel zu großes Risiko, du weißt ja nie, wann etwas passiert, stehst nichts ahnend am Schalter, willst einen Hunderter von deinem Konto abheben und plötzlich schreit einer „Überfall!“ und hält dir eine Pistole an den Kopf oder ballert gleich wie blöd in der Gegend herum. Hat ja nicht jeder so gute Nerven wie ich, um die Geschichte ruhig, elegant und ohne Blutvergießen durchzuziehen, und dann kannst du nur noch beten, dass du heil aus der Sache herauskommst. Gute Nerven sind nämlich das Wichtigste bei einem Überfall, ich weiß, wovon ich rede, gute Nerven und jede Menge Geduld, weil es nämlich darauf ankommt, dass du in aller Ruhe den richtigen Zeitpunkt abpasst, gerade keine Kunden in der Schalterhalle, kein Auto, das dein Fluchtfahrzeug blockiert – aber wozu erzähle ich dir das eigentlich, damit kannst du ohnehin nichts anfangen. Fakt ist, mit Banken will ich nichts mehr zu tun haben und auf die lächerlichen Zinsen pfeife ich. Geschenkt, aber mit Handkuss!
Für dich ist das übrigens auch besser so. Kannst froh sein, dass mein Geld nicht auf der Bank liegt, sonst gäb’s jetzt nämlich eine Menge Probleme, jede Wette. Bitte, Fritz, überleg doch einmal – was? Habe ich wirklich Fritz gesagt? Wie komme ich jetzt auf Fritz, ausgerechnet auf Fritz? – Also, bitte, Toni … Tobi, überleg doch einmal, wie das wäre, wenn ich jetzt das Geld für dich von meinem Konto abheben müsste. Diese Bankmenschen schöpfen doch gleich Verdacht bei so einer großen Summe, stellen lauter blöde Fragen: Wieso auf einmal so viel, wozu, für wen, sind Sie sicher, dass das wirklich Ihr Neffe ist? Stimmt das denn überhaupt, was er Ihnen über diese dringende Operation erzählt hat, wollen Sie es sich nicht noch einmal überlegen? Die müssen das fragen, weißt du, und wenn sie dann endlich mit dem Geld herausrücken, taucht plötzlich einer auf und schreit „Überfall!“ und hält mir eine Pistole an den Kopf, der Teufel schläft nämlich nicht. Also nein, das ist mir alles viel zu riskant, verlass dich lieber auf mich, ich weiß schon, was ich tue.
Außerdem schließen die Banken in zehn Minuten und dann kommt das Wochenende, das heißt, du hättest bis Montag auf dein Geld warten müssen. Je eher, desto besser, am besten noch heute Abend, finde ich. Könnte ja sonst sein, dass dein Superonkel in der Zwischenzeit darauf vergisst, falls er doch Alzheimer hat. Kleiner Scherz zwischendurch, Spaß muss sein, nicht wahr? Nein, nein, ich vergesse schon nichts, wäre ja schlimm, wenn ich zum Beispiel vergessen hätte, wo ich mein Geld vergraben habe. Dann hättest du mich jetzt ganz umsonst angerufen, so eine Enttäuschung kann ich dir doch nicht antun. Ich werde mich auch gleich auf den Weg machen und das Geld holen, versprochen.
Aber wenn ich es mir recht überlege, fände ich es eigentlich besser, wenn du mitkommen würdest, damit außer mir noch jemand das Versteck kennt, jemand, dem ich vertrauen kann, dass er mich nicht übers Ohr haut, eben genau so jemand wie du, mit dem ich mein Geheimnis und mein Geld liebend gern teile, weil so bleibt es schließlich in der Familie, und das wäre schon irgendwie beruhigend für mich, immerhin kann man ja nie wissen, ob ich nicht tatsächlich irgendwann verblöde, und dann wäre es doch schade um die vielen schönen Scheinchen, wirklich jammerschade.
Das Versteck im Wald ist nicht leicht zu finden, weißt du. Wer nicht Bescheid weiß, kommt gar nicht auf die Idee, dass da zwischen den alten Fichten ein Haufen Geld vergraben ist. Nicht einmal die Polizisten mit ihren Schnüffelhunden haben es gefunden, obwohl sie einmal schon ganz nah dran gewesen sind. Haben schließlich aufgegeben. Dein Superonkel ist nämlich ein richtig schlaues Kerlchen, na ja, du wirst es ja bald selber sehen. Man muss auch gar nicht weit gehen, zwanzig, höchsten fünfundzwanzig Minuten durch den Wald, ganz gemütlich, keine Angst, du