Adrian Plass

Jetzt mal ehrlich ...


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Übrigens müssen wir uns unbedingt mal an einem verregneten Samstagvormittag zusammensetzen und Tipps und Techniken für die Garnspinnerei austauschen.

      Zweitens haben Briefe so etwas ganz Besonderes an sich, das es möglich macht, gefährlichen Gedanken in sicherer Umgebung nachzugehen. Nichts gegen angemessene Zurückhaltung, versteht sich, aber ich glaube, ich lerne allmählich, dass vornehme Höflichkeit genauso übel und lähmend sein kann wie Hemmungslosigkeit. Die Tatsache, dass wir uns zu unseren Fragen und Schwierigkeiten bekennen und sie offen aussprechen, ist, so hoffe ich, ein Kennzeichen und eine Bestätigung der Freiheit, die Gott großzügig all denen schenkt, die lieber Jesus nachfolgen wollen, als zu lernen, wie man Christ ist, was immer das eigentlich heißt. Ja, wir sind auch sorgfältig, aber Sorgfalt ist keinesfalls immer dasselbe wie Vorsicht, und Gott sei Dank dafür, sage ich.

      Mein dritter Punkt ist, dass wir in manchen Briefen, die wir uns geschrieben haben, seit unser erstes gemeinsames Buch Anekdoten frommer Chaoten (Brendow 2011) herauskam, direkter aufeinander eingegangen sind. Wir wissen jetzt, dass dieser Austausch als Fortsetzung mit dem einfallsreichen Titel ,Jetzt mal ehrlich..."veröffentlicht werden wird, aber es gibt in ihrem Inhalt kaum etwas, was ich ändern würde pour encourager les autres, die es vielleicht lesen werden, oder auch, um diese autres zu schützen. Besonders in der zweiten Hälfte unseres Briefwechsels, der innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne entstand, bemerke ich eine neue Intensität und eine erneuerte Bereitschaft, uns persönlich zu offenbaren. Das ist natürlich eine riskante Sache, aber ich glaube, das Risiko lohnt sich sehr. Unter dem Strich kann man vielleicht sagen, dass es Jesus nie gestört hat, wenn jemand Fragen stellte - solange dieser Jemand sich nicht daran störte, die Antworten zu hören. Die stellen einen nämlich meistens vor eine Wahl: sein Weg oder die breite Straße?

      Ich hoffe, wir sehen uns bald, Jeff.

      Liebe Grüße,

      Adrian

      Lieber Adrian,

       ich freue mich auch, dass wir beschlossen haben, uns wieder einmal zu schreiben, und das nicht nur wegen der Leute, die einen Blick in unsere Briefe werfen können, weil sie das Buch kaufen und dadurch hoffentlich erheitert/ermutigt/provoziert/getröstet werden (Nichtzutreffendes bitte streichen, obwohl ich hoffe, dass alle vier Dinge zutreffen werden).

      Und ich stimme Dir zu: Briefeschreiben ist etwas Gutes, denn es gibt uns die Möglichkeit, zwei Dinge voneinander zu trennen, die in der Gemeinde Jesu oft wie siamesische Zwillinge auftreten: Fragen und Antworten. Manchmal kommt es mir so vor, als ob immer dann, wenn jemand es wagt, in der Gemeinde eine Frage zu stellen, ein anderer sofort das Gewissheits-Gaspedal voll durchtritt und einen Blitzstart mit einer sicheren, soliden Antwort hinlegt. Aber Fragen brauchen erst einmal Zeit zum Sacken, ist es nicht so? Jesus wusste das, und deshalb verbrachte er drei Jahre mit seinen Freunden. Während dieser Zeit mutete er ihnen nicht nur eine Reihe unfassbarer Wunder zu, sondern verstreute auch allerhand Fragezeichen entlang des Weges mit seinen prägnanten, farbenfrohen Gleichnissen, an denen sie zu knabbern hatten. Die besten Fragen kribbeln uns unter der Haut, nagen beharrlich an unseren Herzen und treiben uns manchmal zum Wahnsinn, indem sie uns verzweifelt durch die Dunkelheit zu unserer Zimmerdecke emporstarren lassen, wenn die frageninfizierte Schlaflosigkeit uns die Ruhe raubt. Deshalb schreibe ich gern auf diese Weise, Adrian, obwohl es dabei auch manche Herausforderungen geben wird. Schließlich sah unser Briefwechsel manches Mal so aus, dass ich um vier Uhr morgens in Colorado versuchte, meine Augen offen und mich am Schreibtisch aufrecht zu halten, während Du, in der Zeitzone sieben Stunden voraus, zu einer viel menschlicheren Tageszeit fröhlich in Deinen Laptop tippen konntest (da siehst Du wieder einmal, dass ich viel engagierter bin als Du).

      Übrigens würde ich Dir (und Deinen Lesern) liebend gern den Eindruck vermitteln, ich hätte Deine französische Anspielung mit einem kennerhaften Schmunzeln quittiert, aber bleiben wir bei der Wahrheit: Ich habe keine Ahnung, was Du mit les autres und pour encourager meinst. Ich sitze gerade im Zug, während ich dies schreibe, und versuche, mich selber auf die richtige Spur zu bringen, indem ich sie laut ausspreche. Meine Mitreisenden halten mich schon für eine Reinkarnation von Inspektor Clouseau.

      Also sei doch bitte so nett und übersetze das für moi, s’il vous plaît?

      Liebe Grüße,

      Jeff

      P.S.: Du schreibst, wir sollten Tipps für die Garnspinnerei austauschen. Ich habe einmal ein fabelhaftes Buch über das Quiltnähen gelesen (ganz im Ernst, habe ich wirklich). Die Verfasserin hatte eine Amisch-Siedlung in den USA besucht und war ganz begeistert von der Schlichtheit und Symmetrie ihrer Quiltarbeiten. Manchmal wünschte ich, das ganze Leben wäre so, Adrian. Nur klare Quadrate und perfekt ausgerichtete Stiche. Aber so ist es nun einmal nicht, stimmt’s? Daher diese Briefe ...

      Lieber Jeff,

       Cordon bleu! Cordon bleu! Jetzt musste ich es extra nachschlagen, nur wegen Dir! Offenbar heißt Pour encourager les autres „um die anderen zu ermutigen“, aber das passt hier ja wohl nicht, also sollen sich les autres von mir aus ab sofort selbst encouragieren. Darf denn ein bescheidener Schriftsteller nicht gelegentlich ein kleines bisschen hochstapeln? À la carte! Das Leben ist nicht halb so en suite, wie wir es uns manchmal wünschen ...

      Bis bald,

      Adrian

      Lieber Jeff,

       unsere erste gemeinsame Tour scheint schon eine Ewigkeit her zu sein. Was war das für eine tolle Zeit. Wenn man bedenkt, dass wir jeden Abend auf die Bühne gingen, ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, wie sich unser Gespräch entwickeln oder was wohl passieren würde, finde ich, es ist ziemlich gut gelaufen. Was gab das für ein Gelächter! Und wie die Ironie es will, traten auch allerhand Schmerzen und Leid zutage. Manche Leute, die zu den Abenden kamen, hatten wirklich einiges durchgemacht. Weißt du noch, wie wir sagten, wir bekämen unterwegs ein Bild der Gemeinde Jesu zu sehen, das sehr an ein Schlachtfeld nach dem Kampf erinnert? Mit Wunden und Tränen und einer unbändigen Sehnsucht nach der Heimat. Wie stillt man das Bluten so vieler gebrochener Herzen? Darauf gibt es keine einfachen Antworten, aber wir geben nicht auf, oder? Jedenfalls nicht, bevor Gott es tut, und da er niemals aufgeben wird, sieht es wohl so aus, dass wir auf lange Sicht mit drinhängen. Ich bin froh darüber. Ich habe gern Anteil daran, und ich weiß, Dir geht es genauso.

      Wie auch immer, der Anlass für meinen heutigen Brief ist ein Erlebnis, das ich neulich hatte. Wie Du Dich sicher erinnerst, handelten etliche der Geschichten, die wir im Laufe unserer Tour erzählt haben, davon, wie absolut lächerlich wir beide uns hin und wieder machen. Vor ein paar Wochen passierten mir an zwei aufeinanderfolgenden Tagen zwei Sachen, die mich puterrot anlaufen ließen. Selbst für meine Wenigkeit ist das rekordverdächtig.

      Die erste Sache passierte an einem Montagnachmittag, als gerade neue Gäste im Scargill Conference Center (wo Bridget und ich zurzeit leben) zu einer Schulungswoche eintrafen. Da die Person, die diese Veranstaltung organisiert hatte, schwer an der ansteckenden anglikanischen Alliterationskrankheit leidet, trug der Kurs den Titel Zeit zum Zuhören. Ich selbst war an dem Programm nicht beteiligt, aber ich war zufällig gerade da, als die Leute eintrafen, und dachte mir, ich könnte mich ja mal ein wenig in der Kunst des herzlichen Begrüßens üben. Als mir ein älterer Herr auffiel, der durch den Haupteingang hereinkam und sich etwas nervös in der Nähe des Anmeldeschalters herumdrückte, beschloss ich, das Heft des Handelns zu ergreifen.

      "Hallo!", sagte ich, während ich freudig strahlend auf ihn zu­ trat. "Schön, Sie zu sehen! Sie kommen sicher zu Zeit zum Zuhören!'

      Der alte Herr beugte sich vor, legte eine Hand an sein rechtes Ohr und erwiderte: "Häh?"

      Aus purer Nächstenliebe quittierte ich dies mit einem unverhältnismäßig amüsierten Lachen. Dann schlug ich ihm mit der flachen Hand auf den Rücken und sagte: "Der war gut!Wirklich sehr witzig!" Und um die harmlose Heiterkeit noch ein wenig in Fluss zu halten, ahmte ich ihn nach, indem ich ebenfalls meine Hand hinters Ohr legte. Das allerdings schien mein neuer