der Evolutionstheorie und vom Amerikanische Transzendentalismus, mit seinem wohl stärksten Seitenast, dem Spiritismus und dessen besonderen Heilsystem. Gerade dieser Spiritismus aber, welcher die Menschen in den noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika im Zuge der großen Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert maßgeblich prägte, geht in weiten Teilen auf den schwedischen Naturwissenschaftler, Philosophen und Mystiker Emanuel Swedenborg (1688 – 1772) zurück.
Osteopathie und Swedenborg setzt sich somit als erstes Werk überhaupt mit einer der für die Entstehung der klassischen Osteopathie wichtigsten Geistesströmungen auseinander und ermöglicht dem interessierten Leser damit einen besseren Zugang zu Stills Philosophie der Osteopathie. Allein deshalb ist Fullers Werk schon jetzt ein bedeutender Eckstein in jenem Gebäude, das aus medizinhistorischer Sicht alleinig dazu legitimiert ist, sich als ‚Osteopathie’ oder ‚Osteopathische Medizin’ zu betiteln.
ZUR ÜBERSETZUNG
Bei allen Übersetzungen amerikanischer Werke zur klassischen Osteopathie begegnet man Schwierigkeiten in punkto Ausdeutung bestimmter Begrifflichkeiten. Dies trifft umso mehr auf Fullers Buch zu, da hier sehr häufig metaphysisch relevante Begriffe in unterschiedlichster Bedeutung verwendet werden. Um hier eine einigermaßen klare Struktur in Rücksicht auf Swedenborgs und Stills Weltbild einzuhalten, wurden im Rahmen der Übersetzung einige Konventionen festgelegt:
Spirit5* → Seele
… falls damit der rein himmlische bzw. unsterbliche Anteil einer Person beschrieben wird.
spirit → Geist
… im Sinne von ‚geistig‘, als Ausdruck der göttlichen Wirkungskraft. Man könnte dies grob mit ‚heiliger Geist‘ gleichsetzen.
Mind (mit großem ‚M’ im Originaltext) → Göttliche Intelligenz
… beschreibt jene höhere ‚Intelligenz’, die durch den irdisch-metaphysischen Anteil des Menschen (sein Mentales) über anatomisch-physiologische Medien, wie etwa das Gehirn, Körperflüssigkeiten, Faszien etc. in den Körper vermittelt wird (z. B. das Wirken der Selbstheilungskräfte => Nur der ‚Mind’ kann heilen => Osteopathen sind keine Heiler.
spirit/mind → Mentales
… falls die irdisch-metaphysischen Aspekte des Menschen, wie Intelligenz und Verstand, aber auch Intuition und Wahrnehmung bzw. Empfindung in Ihrer Gesamtheit gemeint sind.
mind → Geist
… wenn der Begriff im vorigen Kontext gemeint ist, aber versehentlich klein geschrieben wurde.
mind → Verstand bzw. Intelligenz
… falls die rein irdischen Aspekte des Mentalen gemeint sind.
Diese oft in komplexen Zusammenhängen verwendeten Begriffe folgen – in Rücksichtnahme auf Swedenborgs und Stills Weltbild – folgender Hierarchie, die auf der Interpretation des Autors beruht:
Liebe und Weisheit
(die beiden alles durchdringende Aspekte Gottes)
▼
Geist/Seele
(unsterblicher Anteil innerhalb des irdisch Mentalen)
▼
Mentales
(himmlisch-irdische Vermittlerinstanz innerhalb des Menschen)
▼
Verstand/Intelligenz
(irdische Bestandteile des Mentalen)
▼
Anatomie und Physiologie
(irdische Vermittlerinstanz des Himmlischen)
▼
Bewegung
(Irdischer Ausdruck des Lebens)
Weitere Konventionen bei der Übersetzung:
Der englische Begriff animate kann mit beleben, aber auch mit beseelen übersetzt werden und wurde je nach kontextueller Bedeutung gewählt.
Der Begriff triune muss im Zusammenhang mit Stills Philosophie der Osteopathie stets als dreifach differenzierte Einheit übersetzt werden, um eine Verwechslung mit dem religiös geprägten Begriff Dreieinigkeit oder Dreiheit tunlichst zu vermeiden.
Der Begriff form wurde als Form übersetzt, insofern rein irdische Sachverhalte beschrieben werden. Im metaphysischen Kontext wurde Gestalt verwendet.
In den USA sind Osteopathen vollapprobierte Ärzte (DOs), deshalb werden sie im Amerikanischen wie die klassische Mediziner (MDs) als physicians bezeichnet. In der deutschen Übersetzung wurde Osteopath oder osteopathischer Arzt für DOs und allopathischer Arzt oder regulärer Mediziner für MDs verwendet.
Der Begriff ghosts wurde mit Geisterwesen übersetzt und ist mehr oder weniger gleichbedeutend mit dem, was wir unter Seele verstehen. Eine exakte Differenzierung ist aber an einigen Textstellen nicht eindeutig möglich.
Gerade bei Begrifflichkeiten im Rahmen der kraniosakralen Osteopathie von Sutherland wurde die bereits im deutschsprachigen Sutherland-Kompendium von der Sutherland Cranial Teaching Foundation authorisierte Terminologie verwendet.
Die Begriffe Spiritualism und spiritism beschreiben zwei grundverschiedene Sachverhalte und wurden entsprechend stringent mit Spiritualität und Spiritismus übersetzt.
Begriffe, die auf einen göttlichen Ursprung hinweisen (im amerikanischen Originaltext stets groß geschrieben), wurden im deutschen Text in Kapitälchen gesetzt, also z. B. Intelligenz für Intelligence.
Bei der Übersetzung galt ‚Authentizität vor Schönheit’, was sich an manchen Stellen naturgemäß auf die sprachliche Ästhetik auswirkt.
Eine besondere Herausforderung bei der Übersetzung, stellte Fullers häufige Verwendung des bei uns umgangssprachlich kaum mehr verwendeten Konditionals dar. Dieses wurde ebenfalls aufgrund der schriftsprachlichen Authentizität beibehalten.
KRITIK
Bei aller Euphorie für Fullers grandioses Werk, muss korrekterweise auch auf einige kritische Punkte hingewiesen werden:
Fuller ist kein großer Rhetoriker und neigt wie viele amerikanische Autoren zu umfassenden Wiederholungen. Dies mag bestimmte Textpassagen langatmig erscheinen lassen, lohnt aber dennoch die Lektüre, da in den Details doch immer wieder neue und interessante Aspekte auftauchen.
Zudem ist Fullers Verehrung von Swedenborg offensichtlich und verleitet ihn gelegentlich zur spekulativen Indiziendeutung. Der aufmerksame und kritische Leser wird dies aber an den entsprechenden Textstellen schnell erkennen und die Aussagen leicht und klar relativieren können. Inhaltlich geht es dabei besonders um zwei höchstwahrscheinlich falsche Ausdeutungen Fullers:
- Fuller unterstellt, dass Still das ‚spirituelle Wesen‘ des Menschen hierarchisch über sein ‚mentales Wesen‘ stellt. Still hingegen betont eindeutig, dass für ihn das ‚mentale Wesen‘ des Menschen über allem und nur das Nutzen des Mentalen allein den Menschen zur seiner spirituellen Weiterentwicklung befähigt. Einfach ausgedrückt: Nicht die spirituelle Ebene ist für die Weiterentwicklung des Menschen verantwortlich, sondern allein die mentale Ebene.
- Fuller behauptet, dass bei allen Krankheitsbildern letztlich spirituelle Ursachen zugrunde liegen. Auch dies ist nicht korrekt, denn Still bleibt bei seiner Kasuistik stets im anatomisch-physiologischen Kontext, ohne auf mögliche spirituelle Einflussfaktoren einzugehen.
So gewinnt man bei der Lektüre von Osteopathie und Swedenborg zuweilen den Eindruck, als sei Stills Philosophie der Osteopathie