im Dezember 2018
Bodo K. Unkelbach
Zur Frage der Geschlechtsbegrifflichkeit:
Ich verwende im vorliegenden Buch die männliche Form. Der allgemeine Hinweis, dass dies zur besseren Lesbarkeit so gewählt ist und Frauen selbstverständlich einbezogen sind, trifft zwar zu, ist aber gerade im Zusammenhang mit einem Buch über Freundschaft etwas zu kurz gegriffen, zumal Frauen bei diesem Thema uns Männern oftmals überlegen zu sein scheinen. Selbstverständlich beziehen sich meine Ausführungen auf beide Geschlechter. Ich könnte also von Freundinnen und Freunden sprechen, das wäre politisch korrekt, aber zu sperrig. Es wäre auch möglich, ausschließlich die weibliche Form zu verwenden, aber dann würde der oberflächliche Leser meinen, es handele sich ausschließlich um ein an Frauen gerichtetes Buch. So komme ich wieder auf die männliche Form zurück, wohl wissend, mich damit schuldig zu machen, da ich mich von der über viele Jahrhunderte bestehenden Unterdrückung von Frauen in Männerherrschaftssystemen in meiner Wortwahl nicht angemessen abgrenze. Unsere Frauen haben Besseres verdient! Es bleibt nun doch bei der männlichen Form, weil mir eine passende, leicht zu handhabende Idee zur Umsetzung einer gleichberechtigten Sprache noch fehlt. Hoffentlich findet sich für die deutsche Sprache bald eine zufriedenstellende Lösung!
1.
Einleitung: Freundschaft – Das Vitamin des Lebens
Wir kugelten über den Boden und lachten. Ein Lachkrampf jagte den anderen, bis wir keine Luft mehr bekamen. Die Tränen liefen. Wir waren eine Gruppe von Jungs, 14 Jahre alt, saßen bei einem Freund im Kinderzimmer, imitierten unsere Lehrer, äfften sie nach und brachen in schallendes Gelächter aus. Die Welt um uns herum erschien plötzlich in einem absurden Licht und war wahnsinnig komisch. In diesem Moment fühlten wir uns tief miteinander verbunden, schwammen auf einer Wellenlänge, steckten uns gegenseitig mit unserer Albernheit an, konnten den Moment genießen und den Rest der Welt ausblenden. Wir wollten nie so werden wie die anderen. Unsere jüngeren Geschwister verstanden unsere Witze nicht, in den Augen unsere älteren Geschwister waren wir noch Kinder und die Erwachsenen verhielten sich ohnehin, als stammten sie von einem anderen Planeten. Sie waren streng, ernst, vernünftig und einfach todlangweilig. Die Angst davor, sich den Gesetzen dieser Erwachsenen beugen zu müssen, wehrten wir durch unsere Lachsalven ab. Wir entdeckten unsere Welt neu, spannen unsere eigenen Regeln und Weisheiten. Wir verstanden uns, wo so viele andere uns nicht verstanden. Unsere Freundschaft war stark und sollte nie enden. Und tatsächlich kam es so. Viele Freundschaften, die damals geschlossen wurden, haben sich weiterentwickelt und sind auch vierzig Jahre später noch lebendig.
Während es Kindern noch leicht fällt, Freundschaften einzugehen, tun sich viele Erwachsene damit schwer. Häufige, berufsbedingte Ortswechsel, wenig freie Zeit, permanente Ablenkung durch Medien, ein hoher Grad an Individualismus gepaart mit enttäuschenden Beziehungen in der Vergangenheit lassen viele Menschen zögern, sich auf neue Freundschaften einzulassen.
Dabei sollten Freundschaften doch etwas Selbstverständliches sein. In der modernen Gesellschaft scheint es ihnen aber ähnlich wie einer gefährdeten Tierart zu ergehen. Ungeschützt stehen sie unter Beschuss. Als sei es ein kaum erschwinglicher Luxus, sich neben dem Alltagsgeschäft Zeit für seine Freunde nehmen zu können. Der moderne Mensch steht permanent unter Zeitdruck, eine zunehmende Technisierung und Komplexität beschert ihm immerzu neue Aufgaben und Ablenkung. Er ist ein Medien- und Freizeitspezialist und wendet für Herausforderungen im Beruf jede Menge Zeit auf. Zeit, die früher für die Pflege guter Nachbarschaften und tiefer Freundschaften zur Verfügung stand.
Dieser Tendenz stellen sich immer mehr Menschen entgegen. Sie widersetzen sich der schleichenden Vereinnahmung durch den Kapitalismus und besinnen sich zurück auf das, was im Leben wirklich zählt: Gute, tragfähige Beziehungen. Oder kurz gesagt: Freundschaften. Denn neben lebendigen Familien, deren Zusammenleben durch Wertschätzung gekennzeichnet ist, sind Freundschaften das Wertvollste, was wir haben.
Immer mehr Menschen werden sich dieses Reichtums, den man nicht in Geld aufwiegen kann, bewusst. Er zeigt sich in Zufriedenheit, Gelassenheit, Selbstwert, Selbstsicherheit und Orientierung. Schließlich spenden Freundschaften einen Lebenssinn. Es steigt das Bewusstsein, dass in Zeiten der Not die ausgestreckte Hand eines Freundes unersetzlich ist und die Freude an gemeinsam erlebter Zeit noch lange nachwirkt und Kraft gibt.
Die moderne Gesellschaft begnügt sich zu oft mit billigen Abbildern von Freundschaft. In den Sozialen Medien werden Freundschaften gar „gesammelt“. Doch dabei handelt es sich um Fast-Food-Freundschaften, in denen man sich mit gehaltlosen Informationen vollstopft, ohne wirklich davon satt zu werden.
Doch spätestens dann, wenn wir in eine Lebenskrise geraten, wird uns deutlich, dass nichts die Menschen ersetzen kann, die real für uns da sind und es gut mit uns meinen. Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Mitgefühl, Zuwendung, Verständnis, Annahme, emotionale Unterstützung und Verbundenheit sind nicht kurzfristig zu erwerben, sondern werden uns von Menschen geschenkt, die fest an unserer Seite stehen und die wir Freunde nennen dürfen. Befriedigend können nur echte, tiefe Begegnungen von Mensch zu Mensch sein, in denen man Wertschätzung spürt und die Freiheit besitzt, vorbehaltlos und offen über sich zu erzählen.
Einsamkeit
Der ärgste Widersacher der Freundschaft ist nicht etwa in der Feindschaft zu suchen sondern in der Einsamkeit. Verfeindet zu sein bedeutet, immerhin noch in einer Beziehung zu stehen. Einsamkeit dagegen ist Ausdruck von Beziehungslosigkeit. Und Einsamkeitsgefühle innerhalb einer Freundschaft stellen diese in Frage, können sie aushöhlen und entwerten.
In den Gemeinschaften, in denen wir leben, besteht fast immer die Möglichkeit, feindlich gesinnten Menschen aus dem Weg zu gehen. Einsamkeit jedoch können wir nicht ausweichen, da dieses Gefühl in uns steckt. Neurowissenschaftler wie Manfred Spitzer gehen davon aus, dass einsame Menschen kürzer leben als Menschen, die sich mit anderen verbunden fühlen. Die Folgen von Einsamkeit werden mit den tödlichen Auswirkungen von Tabakkonsum verglichen und sind gravierender für die Betroffenen als die Konsequenzen von Luftverschmutzung, Bluthochdruck oder Bewegungsmangel.
Denn abgesehen davon, dass wahre Freundschaften wunderschön sind und das Leben bereichern, dienen sie auch unserer Gesundheit – sozusagen als erwünschte Nebenwirkung. Doch obwohl wir uns inzwischen ihrer toxischen Folgen bewusst sind, greift Einsamkeit wie eine Seuche um sich.
Tatsächlich ist Einsamkeit ansteckend. Freunde von einsamen Menschen stehen in der Gefahr, ebenfalls einsam zu werden. Das erscheint zunächst wie ein Widerspruch, gehen wir doch im Allgemeinen davon aus, dass einsame Menschen daran zu erkennen sind, dass sie keine Freunde haben. Doch nur vermeintlich: Denn einsame Menschen sind in erster Linie Menschen, die sich einsam fühlen. Und dieses Gefühl kann uns an jeden Ort dieser Welt begleiten: in Menschenmengen, ins Einkaufszentrum, an den Arbeitsplatz, in unsere Familien und in den Freundeskreis hinein. Einsame Menschen können von noch so vielen Menschen umgeben sein, ihre Einsamkeit ergibt sich aus der Unfähigkeit, sich mit diesen emotional zu verbinden. Trifft also ein Einsamer auf einen anderen Menschen, der es gut mit ihm meint, verfügt er nicht über die Freiheit, sich auf ihn einzulassen. Das Einsamkeitsgefühl hemmt ihn, sich zu öffnen. Bleibt er verschlossen, so wird auch der freundliche Mensch, dem er gerade begegnet, sich in seiner Gegenwart über kurz oder lang einsam fühlen, weil kein echter zwischenmenschlicher Austausch zustande kommt.
Nur wenn es ihm gelingt, seine unbewusste Angst vor menschlicher Nähe zu überwinden und den anderen an dem teilhaben zu lassen, was ihn innerlich bewegt, kann er der Einsamkeit den Rücken kehren. Hierfür benötigt er die Bereitschaft, sich zu öffnen, sich auf eine tiefe zwischenmenschliche Begegnung einzulassen und persönlich in diese Beziehung zu investieren.
Menschen, denen das schwer fällt, sind gut beraten, an dieser Stelle schrittweise vorzugehen. Nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen, sondern mit Themen anzufangen, die einen emotional wenig berühren. Kommt man so ins Gespräch, eröffnet sich die Möglichkeit, über einen längeren Zeitraum die Intensität der Themen