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Der Zorn


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– Buch von Sebastian Brant Das ­Narrenschiff stand im Mittelpunkt der Opern-Festspiele des Sommers 2010.

      Der Medea gleich beschäftigen uns bis auf den heutigen Tag die Todsünden oder die Hauptlaster. Sind doch die Menschen über die Jahrhunderte um keinen Deut besser geworden. Nicht nur, weil Medea so eindrucksvoll rast und tobt, fasziniert uns noch heute diese tragische Frauengestalt. Auch noch heute töten, wenn auch sehr vereinzelt, Eltern beiderlei Geschlechts die gemeinsamen Kinder, um den sich trennenden Partner aufs Tiefste zu demütigen und dort zu treffen, wo er am verletzlichsten ist. Wir erklären uns dieses unmenschliche Verbrechen häufig mit einer Depression, sprich mit einer Geistes- oder Gemütskrankheit. Vor dem Hintergrund des Mythos und orientiert an den Problemen wie Erkenntnissen der Gegenwart versuchen wir, der vielschichtigen Wirklichkeit dieses Verbrechens auf die Spur zu kommen.

      Schlicht einen Mangel an Vernunft zu konstatieren, reicht uns heute nicht mehr aus. Laut modernen Interpretationen des Sagenstoffs scheitert Medea nicht nur, weil sie eine Frau ist, sie scheitert vor allem, weil sie eine Ausländerin ist. So Aribert Reimann zu seiner an der Wiener Staatsoper im Frühjahr 2010 uraufgeführten Oper Medea. Ihre Fremdheit macht sie einsam. Dass Integration eine wechselseitige Anstrengung voraussetzt, war im alten Griechenland noch weniger bekannt als in unserer Zeit.

      Bücher über die Todsünden und Lasterkataloge haben heutzutage Konjunktur. Die inkriminierten Laster werden immer zahlreicher. Das Buch der Laster von Wolfgang Sofsky nennt noch die Gleichgültigkeit und Vulgarität, das Selbstmitleid und die Unterwürfigkeit, um nur einige der jüngsten Zutaten zu erwähnen. Man könnte ja stattdessen Tugendbücher verfassen, und dartun, welche Charaktereigenschaften den vollkommenen und mündigen Staatsbürger von heute auszeichnen sollten. Aber es schreibt sich einfach unterhaltsamer über Todsünden und Laster. Eine kleine Lesefrucht aus dem Buch der Laster, mit der das Kapitel Zorn eingeleitet wird, mag das illustrieren:

      Grimm fasst ihn und zerreißt ihm die Brust. Teigige Blässe überzieht sein Gesicht, die Hand ballt sich zur Faust, finster starrt er dem Widersacher entgegen. Auf einmal ist jede Müdigkeit verflogen. Die Augenbrauen ziehen sich zusammen, ein scharfer Zug nagt an den Lippen. Es ist, als springe das Gesicht zum Angriff nach vorn. Jeder Nervenstrang ist gespannt, kurze Atemstöße fahren aus der Lunge, Schweiß überzieht die Stirn. Untrüglich sind die Zeichen des Zorns. Ein jeder kennt sie, und jeder fürchtet sie. Der Körper kocht. Ohne Zustimmung des Geistes bricht der Zorn los. Er kennt kein Vergeben, keine Versöhnung. Sein Schrei zerfetzt jeden anderen Laut. Zerstörung ist sein einziges Ziel, Vernichtung seine wahre Erfüllung. (Sofsky, S. 221)

      Ein gleichermaßen starker Text zu Sanftmut lässt sich kaum ver­fassen!

      Was bei den ohne Zweifel lesenswerten Texten zu den Tod­sünden und Lastern auffällt, ist, wie fließend die Übergänge zwischen Zorn und Wut selbst bei jenen Autoren sind, die zwischen beiden Phänomenen unterscheiden. Besser spräche man in all diesen Texten – wie die Übersetzerin des Seneca-Buches De ira – von »Wut« statt von »Zorn«. Jedenfalls dann, wenn man sich solcher ­Zerrbilder bedient, die das Gesicht des Zornigen zur grimmigen Fratze entstellen.

      Wer dem Zorn eine positive Lesart im Sinne einer Kraftquelle abgewinnen will, ist nicht notwendig religiös unmusikalisch. Diese ermutigende Einsicht wurde mir auf dem Rückweg von einem Theaterbesuch auf einer Berliner U-Bahn-Station zuteil. Auf einem großen Plakat von Misereor, das eine schwarze Frau mit einer Traglast auf dem erhobenen Haupt zeigte, las ich die Losung:

      Mit Zorn und Zärtlichkeit an der Seite der Armen.

      Misereor will mit den Gegensätzen »Zorn« und »Zärtlichkeit« das Spannungsfeld beschreiben, in dem sich die Arbeit des Entwicklungswerks bewegt. Stehe auf der einen Seite der Zorn über die ungerechten Verhältnisse, so stehe auf der anderen das Mitgefühl mit dem Nächsten. Hier sollen aber nicht gegensätzliche Gefühle mobilisiert werden. Die zornige Einsicht in die Not des Schwarzen Kontinents soll die Nächstenliebe mit Nachdruck beflügeln. Auf den Spuren der Erkenntnis von Gregor dem Großen, dass sich die Vernunft mit größerer Wucht dem Bösen entgegen stellt, »wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht«.

      Zornig werden, heißt, beteiligt sein. So hat es John Osborne im Vorwort zu seinem Theaterstück Blick zurück im Zorn treffend gesagt. Teilnahmslosigkeit und Gleichgültigkeit können wir Europa uns schon deswegen nicht gestatten, weil wir an der afrikanischen Misere nicht unschuldig sind.

      Auch können wir nicht über ein Menschenrecht auf Nahrung und Obdach räsonieren, wenn wir nicht die Menschen Afrikas tatkräftig darin unterstützen, ihre Lebensgrundlagen eigenständig zu erarbeiten.

      Bei Misereor hat man offenbar Thomas von Aquin und Josef Pieper, den Ghostwriter des Papstes, gelesen. Beide verwahren sich dagegen, dass der Zorn gern als ein Beispiel für Maßlosigkeit herhalten muss, wenn es darum geht, die vierte Kardinaltugend, die temperantia, durch negative Verhaltensweisen zu veranschaulichen. Der Heilige Thomas, bekanntermaßen ein sinnesfreudiger Mann, verwahrte sich gegen das – nicht nur unter Christen – gepflegte Vorurteil, dass alles Zürnen böse sei. Zwar tadelt auch er den maßlosen, den unbeherrschten Zorn, schon wegen seiner zerstörerischen Kraft als Untugend. Andererseits zählt er den Zorn zu den Urkräften des menschlichen Wesens. Sanftmut, die dem Zorn gern entgegen gestellt wird, bewirke nur, dass der zürnende Mensch seiner selbst mächtig bleibe. Sanftmut zivilisiere den Zorn, aber schwäche ihn nicht ab. Denn, so Josef Pieper, jene »blassgesichtige Harmlosigkeit, die sich leider oft mit Erfolg für Sanftmut ausgibt, soll doch niemand für eine christliche Tugend halten«! (S. 270)

      Die Zwiespältigkeit des Zorns lässt sich häufig bei Protestaktionen einer politischen Gruppe betrachten. Die Zwiespältigkeit meint das Spannungsverhältnis zwischen beherzter Anteilnahme und der Gefahr des maßlosen Handelns. Wenn der Zorn eine größere Gruppe der Bevölkerung bewegt, sprechen wir gern von Volkszorn. Dieser beschäftigt uns spätestens seit der Französischen Revolution und bis auf den heutigen Tag. Die Geschichte lehrt, dass die Gefahr des Umschlags in die Irrationalität bei der Empörung des Volkes besonders groß ist. Totalitäre Regime haben gern den Volkszorn gesät und instrumentalisiert, um politisch gesteuerte Verbrechen zu legitimieren. Die »kochende Volksseele« musste herhalten, um die »Schutzhaft« von politischen Gegnern, d. h. deren Verschleppung in Gestapo-Keller und Konzentrationslager zu rechtfertigen.

      Nicht ohne Grund hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass Volkszorn kein Haftgrund ist. Die »Erregung der Bevölkerung«, die es unerträglich finde, wenn ein »Mörder« frei herumlaufe, vermöge die Verhaftung eines Beschuldigten nicht zu rechtfertigen. Nicht nur die Juristen wissen, dass bestimmte Untaten auch heute den Volkszorn entflammen können.

      Gegen die erzürnte Reaktion politischer Gruppen auf ein politisches Tun oder Lassen ist in einer Demokratie nichts einzuwenden. Der kollektive Zorn gibt dem Volk eine Stimme. Auch wenn in der Demokratie jeder Einzelne zählt, sind die Bürgerinnen und Bürger doch nur gemeinsam stark. Auch eine die Allgemeinheit betreffende Aktion eines Wirtschaftsunternehmens muss sich Kritik gefallen lassen. Sind doch gegenwärtig nicht nur die Politiker, sondern auch die Banker und Finanzmanager ein bevorzugtes Ziel des Volkszorns. Widerspruchsgeist und Wehrbereitschaft sind eine demokratische Tugend. Kritikverträglichkeit ist das Mindeste, was die politischen und wirtschaftlichen Eliten eines demokratischen Gemeinwesens üben müssen. Wie hat es Raymond Aaron so treffend gesagt: Die Diktatur organisiert den Beifall, die Demokratie organisiert die Kritik.

      Lassen Sie mich an den von Greenpeace und anderen Institutionen erfolgreich angestifteten Boykott des Shell-Konzerns erinnern. Shell wollte bekanntlich die ausgediente Ölplattform Brent Spar im Meer versenken. Selbst die politischen Eliten schlossen sich dem Boykott an. Die Umsätze von Shell brachen um die Hälfte ein. Der sich im Kaufboykott materialisierende Volkszorn war schließlich von Erfolg gekrönt: Shell lernte.

      Zum respektablen Zorn gehört »die Erkenntnis und Anerkenntnis einer Rechtssphäre«,