kulturellen Identitäten im Mittelpunkt stehen.
Dieser Text schließt mit einem Zitat Salman Rushdies, der seinen Roman Die Satanischen Verse ein ›Liebeslied an Bastarde wie uns‹ nennt. Hall selbst arbeitet an einer politischen Theorie für Bastarde, zu denen sich alle die zählen können, die ohne die Gewissheiten großer kollektiver Identitäten noch linke Politik machen wollen.
August 1994 | Die Herausgeber |
1 Zu genaueren Angaben zur Biografie und wissenschaftlichen Tätigkeit Halls vgl. das Vorwort zu Hall 1989a von H. Gustav Klaus sowie die Interviews mit Hall in Gulliver (Hall 1977g) und in Argument 118 (Hall 1979b). (Alle Werke Halls sind im Anhang in der Bibliografie von Juha Koivisto aufgeführt, die auch Hinweise auf vorliegende deutsche Übersetzungen enthält.)
2 Vgl. hierzu die in Hall 1989a übersetzten Texte 1977f und 1988b, sowie die Arbeiten über Marx (1974a, 1977c), die ebenfalls auf Althussers Ansatz zurückgreifen.
3 Ansätze einer ähnlichen Konzeption kultureller Identität finden sich bei Auernheimers Studie über Jugendkulturen der Immigrant/innen in Deutschland (1988). Er gehört zu den wenigen Vertreter/innen eines Konzepts der interkulturellen Erziehung (Auernheimer 1990), die mit einem differenzierten Begriff von kultureller Identität arbeiten.
Neue Ethnizitäten*
Meine Ausführungen konzentrieren sich auf den Versuch, eine signifikante Verschiebung in der schwarzen Kulturpolitik festzustellen und zu charakterisieren. Diese Verschiebung ist nicht bestimmbar in dem Sinne, dass es zwei klar unterscheidbare Phasen gibt – eine in der Vergangenheit, die nun zu Ende ist, und eine neue, die gerade beginnt –, welche wir sorgfältig gegeneinanderstellen können. Vielmehr sind es zwei sich beständig überschneidende und ineinander verwobene Phasen derselben Bewegung. Beide stehen in demselben historischen Kontext und haben ihre Wurzeln in der antirassistischen Politik und der Erfahrung der Schwarzen im Nachkriegsbritannien. Dennoch können wir zwei verschiedene ›Momente‹ identifizieren, deren Unterschied signifikant ist.
Es ist schwierig, diese Momente genau zu charakterisieren, doch würde ich sagen, dass Ersterem eine spezifische politische und kulturelle Analyse zugrunde lag. Politisch betrachtet ist es das Moment, in dem der Begriff ›schwarz‹ als Bezugspunkt für die gemeinsame Erfahrung von Rassismus und Marginalisierung in Britannien geprägt wurde. Für Gruppen und Gemeinschaften1 mit tatsächlich sehr unterschiedlichen Geschichten, Traditionen und ethnischen Identitäten wurde ›schwarz‹ zu einer organisierenden Kategorie für eine neue Politik des Widerstands. ›Die schwarze Erfahrung‹ beruht auf der Bildung einer gemeinsamen Identität über ethnische und kulturelle Differenzen zwischen unterschiedlichen Gemeinschaften hinweg. Sie gewann als ein einziger und vereinheitlichender Rahmen die Hegemonie über andere ethnische/›rassische‹ Identitäten, obwohl Letztere dadurch natürlich nicht verschwanden. Kulturell betrachtet war diese Analyse in ihrer eigenen Formulierung eine Kritik an der Weise, wie Schwarze als sprachlos und unsichtbar gemachte Andere in den vorherrschenden weißen ästhetischen und kulturellen Diskursen positioniert wurden.
Diese Analyse bezog sich auf die Marginalisierung der Erfahrung von Schwarzen in der britischen Kultur; sie hatte ihren Platz an den Rändern der Gesellschaft. Sie war nicht zufällig, sondern die Konsequenz einer Reihe von ganz spezifischen politischen und kulturellen Praktiken, die die repräsentativen und diskursiven Räume der englischen Gesellschaft regulieren, beherrschen und ›normalisieren‹. Diese Praktiken formten die Existenzbedingungen einer Kulturpolitik, die entworfen wurde, um sich den herrschenden Repräsentationsregimes zu widersetzen, sie in Frage zu stellen und wenn möglich zu transformieren – zuerst in Musik und Stil2, später in der Literatur und den visuellen Medien. In diesen Räumen waren die Schwarzen typischerweise die Objekte, selten jedoch die Subjekte der Repräsentationspraktiken. Der Kampf um die Einflussnahme auf die Repräsentation wurde ausgehend von einer Kritik an dem Grad der fetischisierten, objektivierenden und negativen Gestaltung geführt, die die Repräsentation des schwarzen Subjekts so sehr prägen. Es ging nicht einfach nur um das Fehlen und die Marginalität der Erfahrung von Schwarzen, sondern um ihre vereinfachte und stereotype Darstellung.
Die sich aus der Kritik entwickelnden kulturellen Politikformen und Strategien hatten viele Facetten, ihre hauptsächlichen Ziele waren die beiden folgenden: Erstens, die Frage des Zugangs zum Recht auf Repräsentation durch schwarze Künstler und Kulturproduzenten selbst. Zweitens, der Kampf gegen die Marginalität, gegen die stereotype Qualität und die fetischisierte und naturalisierte Art der Bilder über die Schwarzen, durch die Entgegensetzung einer ›positiven‹ schwarzen Bildersprache. Grundsätzlich zielten die Strategien auf eine Veränderung dessen, was ich die ›Repräsentationsverhältnisse‹ nennen würde.
Ich habe den sicheren Eindruck, dass wir gerade dabei sind, in eine neue Phase einzutreten. Doch müssen wir uns absolut darüber im Klaren sein, was wir mit einer ›neuen‹ Phase meinen. Sobald wir von einer neuen Phase sprechen, denken viele sofort daran, dass dies zu einer Ersetzung der einen Art von Politik durch eine andere führt. Ich rede aber gerade nicht von einer derartigen Verschiebung. Politik entwickelt sich nicht notwendigerweise aus einer solchen Abfolge von Gegensätzen und Umkehrungen, obwohl einige Gruppen und Individuen Angst davor haben, die Frage in dieser Weise auf die ›politische Bühne‹ zu bringen. Die ursprüngliche Kritik an den ›Rassen‹- und Repräsentationsverhältnissen und die sich daraus entwickelnden Politikformen sind nicht verschwunden und können möglicherweise auch nicht verschwinden, solange die sie verursachenden Bedingungen – kultureller Rassismus und seine Dewsbury-Form3 – unter dem Thatcherismus nicht nur weiterbestehen, sondern neue Blüten treiben. Es ist nicht denkbar, dass die neue Phase der Kulturpolitik von Schwarzen die alte einfach ersetzen könnte. Wenn dennoch der Kampf vorwärtsgeht und neue Formen annimmt, so zerstreut, reorganisiert und repositioniert er allmählich die unterschiedlichen kulturellen Strategien im Verhältnis zueinander. Wenn dies als ›Bürde der Repräsentation‹ gefasst werden kann, würde ich Folgendes sagen: Schwarze Künstler und Kulturproduzenten haben heute nicht an einer, sondern an zwei Fronten zu kämpfen. Das Problem ist, wie man diese Verschiebung charakterisiert, wenn wir darin übereinstimmen, dass es tatsächlich eine solche Verschiebung gegeben hat und immer noch gibt und dass die Sprache der binären Oppositionen und Substitutionen nicht länger ausreichend ist.
Die Verschiebung kann am besten als ein Übergang vom Kampf um die Repräsentationsverhältnisse zu einer Politik der Repräsentation selbst beschrieben werden. Es wäre nützlich, eine solche ›Politik der Repräsentation‹ in ihre unterschiedlichen Elemente aufzugliedern. Wir alle benutzen heutzutage das Wort Repräsentation, doch wie wir wissen, ist dieser Begriff nur schwer zu fassen. Der Begriff kann einerseits einfach als eine andere Möglichkeit benutzt werden, darüber zu sprechen, wie man sich eine Wirklichkeit vorstellt, die ›außerhalb‹ der Mittel existiert, durch die die Sachen repräsentiert werden: eine Konzeption, die auf einer mimetischen Theorie der Repräsentation basiert. Andererseits kann der Begriff ebenso eine sehr konsequente Verschiebung dieser unproblematischen Vorstellung von Repräsentation bedeuten. Meiner Ansicht nach haben Ereignisse, Verhältnisse und Strukturen ihre Existenzbedingungen und realen Effekte außerhalb der diskursiven Sphäre; aber nur innerhalb des Diskursiven, und vorbehaltlich seiner spezifischen Umstände, Grenzen und Modalitäten, haben sie Bedeutung oder können innerhalb eines Bedeutungsrahmens konstruiert werden. Auch wenn wir den räumlichen Anspruch des Diskursiven nicht unbegrenzt erweitern wollen, spielen die Repräsentation von Sachen, die Kulturindustrien und kulturellen Repräsentationsregimes eine konstitutive und keine bloß reflexive,