Marge Piercy

Menschen im Krieg – Gone to Soldiers


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freiwillig melde, als wenn ich warte, bis sie mich einziehen. Was denkst du?«

      »Ich denke, das darf ich dir nicht sagen, aber ich werde deine Entscheidung respektieren. Warum wartest du nicht bis Ende der Woche? Alle Brauseköpfe werden hinstürzen, sobald sie aus den Betten kommen. Warum nicht abwarten, was Präsident Roosevelt macht? Ich hörte einen Kommentator sagen, dass es vielleicht nur eine Seeblockade gibt.«

      »Ich werde abwarten, bis ich sehe, was wirklich los ist. Ich kann mich immer noch nächste Woche melden. Ich werde durchhalten und weiterackern.« Er blieb mitten auf dem Bürgersteig stehen und beugte sich über sie. Bevor sie Zeit hatte, eine Entscheidung zu formulieren, küsste er sie, dann ließ er sie los. Sie gingen weiter. »Möchtest du ein Soda oder lieber Kaffee? Ein Stück Kuchen oder ein Eis?«

      »Trotz der Kälte möchte ich ein Eiscremesoda.« Sie machte sich nicht die Mühe, ihm zu erklären, dass sie Kaffee immer auf dem Herd stehen hatten, aber dass ein Eiscremesoda etwas war, was sie zuletzt im August geschleckt hatte.

      Sie fühlte sich betrogen, dass er sie so rasch geküsst hatte, so ruhig, so sachlich, dass sie keine Zeit gehabt hatte, sich darauf vorzubereiten, die Entscheidung zu drehen und zu wenden. Er war jetzt ein Mann, den sie geküsst hatte, einer auf der Liste von vieren, die bis vor fünf Minuten die Liste von dreien gewesen war. Es war zu schnell vorüber gewesen. Aus jahrelanger Beobachtung von Kinoküssen erwartete sie starke Gefühlsregungen von einem Kuss des Mannes, der ihr gefiel. Jetzt zog er womöglich plötzlich in den Krieg, und sie hatte keine Befriedigung und keine wesentlichen Erinnerungen von einem bekommen, der ein Viertel ihrer Erfahrungen mit Männern darstellte. Sie konnte nur hoffen, dass er es nach ihren Sodas auf dem Heimweg noch einmal tun würde, aber bitte nicht auf der Veranda unter der Lampe, wo die ganze Familie durchs Fenster spionierte.

      Am Yenching-Institut bewirkte Pearl Harbour kaum eine Unterbrechung des Studiums. Daniel wurde auf dem schnellsten Wege zum Marinehafen in Charlestown gebracht, zusammen mit den übrigen Programmteilnehmern, die bis dahin Zivilisten gewesen waren. Nun wurden sie in aller Eile eingezogen. Offensichtlich hatten die Ärzte in ihrem Fall besondere Anweisungen bekommen, denn niemand wurde zurückgestellt, ganz gleich, wie alt und in welcher körperlichen Verfassung er war. Dann wurden sie in Bussen zu ihren Kursen zurückgefahren. Sie verloren nicht mal einen ganzen Tag, um in die Marine einzutreten.

      Er hatte genug Geschichten über die Gräueltaten der Nazis in Europa und der Japaner in China gehört, um sich der Notwendigkeit des Krieges konkret bewusst zu sein. Trotzdem fühlte er sich merkwürdig, als für seine Uniform Maß genommen wurde. Er war nun ein Matrose, der seine einzigen Schiffskenntnisse als Passagier auf der Fahrt über den Pazifik gewonnen hatte. Plötzlich war er Fähnrich zur See Balaban. Er kam sich in seiner neuen Uniform wie ein Betrüger vor.

      Ihn erstaunte, dass die Marine sich hatte überraschen lassen, wo sich die Situation im Pazifik doch ganz offensichtlich auf einen Krieg hin zugespitzt hatte. Manchmal vertrat er die Ansicht, die Entwicklung zum Krieg hätte begonnen, als amerikanische Kriegsschiffe unter Admiral Perry Japan 1854 zur Öffnung zwangen; doch näher lag, dass es das Ölembargo war, das den Krieg unvermeidlich machte. Die Marine musste den Einsatz der japanischen Armee in China beobachtet haben, dennoch gestand sie ihr nicht zu, eine schlagkräftige, moderne Kriegsmaschine zu sein. Die Amerikaner hatten einfach nicht geglaubt, dass die Japaner sie angreifen würden, denn schließlich waren sie Weiße und die Japaner nicht, und außerdem hielten sie sich selbst für einen Meter achtzig groß, die Japaner dagegen für klein, und kleine Männer lassen sich für gewöhnlich nicht auf den Nahkampf mit großen Männern ein. Er hatte schon festgestellt, dass in der Verteidigungsmythologie, die die Denkweise der Militärs prägte, solch primitives Denken zuweilen an die erste Stelle trat.

      Er war in Sorge um Onkel Nat Balaban in Schanghai, besonders angesichts der Nachricht, dass die Japaner die Stadt bombardierten und ins International Settlement einmarschierten; aber Onkel Nat wohnte in Hongkew, das seit Jahren als Klein-Tokio bekannt war. Er hatte immer allen Gelder gezahlt, die Gelder verlangten, allen Seiten, allen Gruppierungen, und sich vor jedermann verneigt. Daniel hielt die Überlebenschancen seines Onkels für recht gut. Seine eigenen gaben ihm mehr Rätsel auf. Er musste doch eine Art Seeschulung erhalten, aber irgendwie schien das nicht vorgesehen. Und wenn man ihn dann eines Tages mit sehr guten Japanischkenntnissen, aber unfähig, den Bug vom Heck zu unterscheiden, auf ein Schiff abkommandierte, würde er wieder einmal die Zielscheibe aller Witze, der Außenseiter sein.

      Das jetzt war ein ganz anderer Krieg, dachte Naomi, der in die falsche Richtung zeigte. Ihr war danach, das Radio zu verprügeln und nach allen Erwachsenen der Welt zu treten, die fest entschlossen schienen, mit ihren Kriegen alles kaputtzumachen. Sie hatte gedacht, wenn der Krieg hierherkam, dann der gleiche, in dem ihre Eltern gefangen waren, aber jetzt schien ein ganz anderer anzufangen, mit den Japanern jenseits des komischen anderen Ozeans, der so viel von dem Blau auf dem Globus aufbrauchte.

      Sie verließ das Wohnzimmer, wo das Radio dröhnte, um sich auf Ruthies Etagenbett zu legen, das nach Fliederparfüm duftete. Sie drückte ihre Wange in Boston Blackies warme Flanke. Irgendwo lauschten Maman und Rivka ihrem kleinen Radio und hörten von diesem Überfall und sorgten sich um sie. Irgendwo in Südfrankreich lauschte auch Papa.

      Sie umklammerte Boston Blackie und grübelte, ob es hier losgehen würde wie in Paris, als die Deutschen kamen. Es hatte nicht lange gedauert, da kannte der Kaufmann Maman nicht mehr, wenn sie in die épicerie ging, und bediente sie zuallerletzt. Auf der Treppe wandten die Nachbarn den Blick ab, wenn Naomi hinaufrannte, bevor das Treppenlicht ausging; auf der Straße spuckten Menschen vor ihr aus; ihre Freundin Agathe spielte nach der Schule nicht mehr mit ihr, denn ihr Vater hatte es verboten. Jeden Moment konnte sich die Welt dir gegenüber ändern, und die, die du immer deine Freundinnen genannt hattest, wandten sich ab und ließen dich allein auf dem Schulhof stehen. Dann gingst du näher zu den anderen Juden, sogar zu der langen, staksigen Yvette, und du und Rivka, ihr hieltet euch bei den Händen und standet zusammen mit den anderen jüdischen Kindern und wartetet, was die anderen sich als Nächstes gegen euch ausdachten.

      Sie hörte Schritte, und Ruthies Arm legte sich sanft um ihre Schultern. »Naomi, was fehlt dir? Hast du Angst?«

      Sie nickte.

      Da riss Ruthie sie in ihre Arme. »Ich habe auch Angst, Naomi. Schreckliche Angst.«

      Naomi erwiderte die Umarmung, und plötzlich durchflutete sie heftige Liebe zu ihrer Tante, die eigentlich gar nicht ihre Tante war, sondern ihre Kusine. Etwas in ihr riss sich los, und für einen Augenblick hatte sie ein schlechtes Gewissen gegenüber Maman und Papa und Rivka und Jacqueline, dass sie anfing, jemand anders zu lieben. Ob sie sie je wiedersah? Jemals? Sie hatte Maman und Rivka seit Mai nicht gesehen und Papa seit Juni.

      Alle diese Kriege zerschnitten die Welt in blutende Stücke, und niemand konnte hinüber. Aber Ruthie, die wollte sie lieben. Nach dem Krieg, wenn es je ein Danach gab, dann nahm sie vielleicht Ruthie mit zurück, und dann lebte Ruthie auch bei ihnen. »Comme elle est belle, avec ses yeux très verts, et sympathique aussi. Tu as de la chance, petite.« Mamans volltönende Stimme mit dem singenden Tonfall sprach in ihr Ohr, die Stimme, in der immer ein Lachen lag, wie Adern aus dunklen Wirbeln in hellem Marmor. Sie drückte Ruthie noch enger an sich. Sie hielt sich fest.

      Jacqueline 2

      Von Frostbeulen und fauligen Kohlrüben

      22 août 1941

      Dies wird eine kurze Eintragung, denn ich habe zwei Nächte lang nicht geschlafen. Wir sind alle mit Papas altem copain Georges aufs Land bei Fontainebleau gefahren, um auf zwei Bauernhöfen, wo Georges die Leute kennt, so viel Nahrungsmittel wie nur möglich zu kaufen. Es war heiß, und Maman ging nicht zur Arbeit, also beschlossen wir, fast eine Landpartie daraus zu machen. Der Zug war völlig überfüllt mit anderen, die genau das Gleiche taten, mit unzähligen Taschen und Rucksäcken, die wir alle mit Vorräten vollstopfen wollten. Bohnen- oder Kartoffelzüge werden sie genannt.

      In diesen Zeiten ist außer den Deutschen und jenen, die ihnen nachlaufen und ihnen schöntun und ihnen dienen, niemand auch nur das kleinste bisschen elegant. Im Winter watscheln wir alle unter so vielen Schichten von Pullovern