Wolfgang Fritz Haug

Hightech-Kapitalismus in der großen Krise


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bezeichnet, wenn man also die Verwertungsbeziehungen als zur Realität gehörend, ja mehr noch, als das Real-Herrschende begreift, dem mehr Realität zukommt als den beherrschten Gebrauchswerten, dann sind die Finanzmarktbewegungen tatsächlich Ausdruck der wirklichen Ökonomie und der ihr entspringenden Interessegegensätze und -konvergenzen. Denn die Gebrauchswertwirtschaft ist nicht die wirkliche Ökonomie. Sie ist deren passives Material, das nur insofern durchschlägt, als es in seiner stofflichen Materialität vorgibt, was sich mit ihm machen lässt. Eher könnte man sagen, dass der real herrschende Kapitalismus die für alle gesellschaftlichen Formen naturnotwendige Gebrauchswertwirtschaft als Geisel genommen hat.

      »Spekulation« ist »Mystik für den Verstand«

       Karl Jaspers, Philosophie, 3, Met., 135

      Allem kapitalistischen Handeln wohnt ein Moment von Spekulation inne. Für die Betrachtung kann es zurücktreten hinter den konkreten Herstellungsprozessen und ihren anlagemäßigen und persönlichen Verkörperungen. Doch insofern diese Prozesse markt- und gewinnorientiert sind, gilt allemal: »Wer spekuliert, versucht sein Glück mit dem Fetischcharakter der Ware Kapital. Das Machwerk, das Macht über die es Machenden hat (KV I, XI.5) und dessen Bewegung sich zwar aus ihrem Handeln speist, aber gegen dieses sich verselbständigt, erlaubt die Wette auf seine nächste Oszillation.« (KV II, 180)

      Und selbst noch 2009, da laut Weltbank die Große Krise noch immer keinen »Boden«, wie die Börsianer sagen, gefunden hatte, beschrieb der Leiter der Abteilung Volkswirtschaft der DZ-Bank die Situation folgendermaßen: »Der zweifellos auf der Welt vorhandene Geldüberhang dürfte sein Ventil eher in einer neuen ›asset bubble‹ finden« (Jäckel), einer erneuten »Anlagen-Spekulationsblase« – das ist der Kern von Brenners »Vermögenspreis-Keynesianismus«.

      Doch Vorsicht! Das moralische Schuldverlangen darf sich nicht vorschnell auf die US-Regierung festlegen. Denn die ganze Welt hat davon gezehrt. Ihr Geld vermehrt haben die einen, Lohnarbeit gefunden die anderen. Dass die USA in Folge jener Politiken zunehmend mehr verbrauchten, als sie herstellten, und als »Konsumenten letzter Instanz« wirkten, wurde zum Konjunkturmotor der Welt. Chinas Überproduktion bildete die komplementär-dynamische Gegenmenge zur US-Überkonsumtion. Dafür legte China seine Handelsüberschüsse vornehmlich in US-Staatsanleihen fest, zumal Direktinvestitionen von der US-Politik behindert wurden. Auf die dabei sich entfaltende Herr-Knecht-Dialektik kommen wir im »Chimerika«-Kapitel zurück.

      Sollte man angesichts des kreditbasierten Überkonsums der USA als anscheinend unentbehrlicher Konjunkturlokomotive womöglich statt vom finanzgetriebenen vom Konsumkredit-getriebenen Kapitalismus sprechen? Um solchen Schlagwörtern zu entgehen, wechseln wir die Analyseebene. Das Problem der Probleme, »die Hauptursache«, ist für Robert Brenner das Sinken der Profitrate. Wo er dieses Sinken auf »eine anhaltende Tendenz zur Überkapa­zität in der weltweiten verarbeitenden Industrie« zurückführt (2009, 5), unterscheidet Marx drei krisentheoretisch zu berücksichtigende Wirkungszusammenhänge. Den ersten fasst er als einen dem Verwertungsprozess innewohnenden Mechanismus der Produktivkraftentwicklung; den zweiten als Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate; den dritten als Gesetz der Kapital-Überakkumulation. Es ist kein bloßer Streit um Worte, wenn wir