und meinen Eltern, als alles arrangiert war, weil ich ahnte, dass alle mich davon abhalten wollten. Bei meinen Eltern verhielt es sich genauso, wie ich es voraus gesehen hatte. Thoralf hingegen sagte gar nichts dazu, er schaute mich nur irgendwie merkwürdig an. Immer wenn es darauf ankam, konnte er seine Gefühle nicht ausdrücken; er war wie blockiert.
Im Dezember 1995 zog ich also um, in eine Wohnung, die ich mir vorher nicht einmal angesehen hatte. Nach 400 Kilometern Fahrt mit einem Transporter, kamen ich und mein Vater abends in M. an, wo uns Richard schon in der Wohnung erwartete. Dass so etwas überhaupt als Wohnung vermietbar war, verstand ich im Nachhinein überhaupt nicht. Ich war wirklich schockiert, als ich dieses Wohnklo mit Kochdusche, mit nur einem einzigen Fenster im Wohnzimmer, betrat. Drehte ich mich einmal um, stand ich schon wieder draußen im Flur. Und dafür 600,- DM im Monat? In W. hatte ich bei weniger Mietkosten 3 Zimmer zur Auswahl gehabt. Ja, das war der Kapitalismus. So hatte ich mir meine erste eigene Wohnung nicht vorgestellt. Ich empfand es ziemlich ernüchternd und ahnte, dass diese Wohnung völlig überteuert vermietet wurde. Und dann noch die Kaution und so. Ja, jetzt gab es kein Zurück mehr, jetzt fing es in M. erst mal an.
In M. arbeitete ich 40 Stunden in der Woche in einer Apotheke. Schon bald merkte ich, dass hier die Dinge anders liefen als in W. Privatgespräche waren z. B. nicht erwünscht; diese kamen mit den anderen Kollegen nur zustande, wenn der Chefapotheker abwesend war. Schon nach einigen Wochen freute ich mich bereits auf diese Zeiten der Abwesenheit. Mit Richard traf ich mich meistens am Wochenende und ein bis zweimal abends unter der Woche. Er zeigte mir viele Sehenswürdigkeiten von M. und die vielen Facetten dieser Großstadt: Reize über Reize, Möglichkeiten über Möglichkeiten ...
Richard und ich gingen einige Male in eine Diskothek zum Tanzen. Doch jedes Mal, wenn er dann mit mir schlafen wollte, sträubte sich etwas in mir und ich redete mich mit irgendeinem Grund heraus. Nach vier Wochen eröffnete mir Richard, dass er sich nicht mehr mit mir treffen würde. Mich traf das wie ein Hammerschlag. Das hatte ich nie und nimmer erwartet. Doch Richard sagte mir, dass er es so rein freundschaftlich nicht mehr aushalten würde, weil er sich in mich verliebt hätte. Und so brach Richard die Treffen mit mir von heute auf morgen ab. Plötzlich stand ich ganz alleine da, in einer riesigen Stadt und kannte niemanden! Ouhh ... was für ein Graus. Von diesem Moment an wurde ich von einer starken inneren Unruhe von einem Ort zum anderen getrieben. Ich wollte alles ausprobieren, doch allein war das eher schwierig.
Ich hatte oft das Gefühl, etwas zu verpassen, besonders dann, wenn ich am Wochenende in meiner winzigen Wohnung saß. Und so durchstreifte ich immer und immer wieder die Innenstadt, die großen Parks, die Kaufhäuser, Museen und Buchläden. Doch zufrieden fühlte ich mich nicht. Ich sehnte mich nach einer Freundin oder einem Freundeskreis, mit denen ich etwas unternehmen konnte, zu dem ich dazugehörte. In M. war man nur „in“, wenn man entweder mit mehreren Leuten umherzog oder mit irgendetwas beschäftigt war. Sobald man als Frau allein nur so herumstand, hatte man sofort alleinstehende Männer im Schlepptau. Bald schon merkte ich, dass es schwer war, jemanden kennen zu lernen. Die meisten Cliquen waren eingeschworen und ließen keine neuen Leute herein. Dazu kam noch, dass die Versicherung meines Autos so viel Geld verschluckte, dass das Monatsgehalt oft schon am 20. Tag des Monats aufgebraucht war. Ja und mit keinem Geld lässt sich nicht viel machen. So fühlte ich mich einsamer und ruheloser als in W. Dazu stellte sich wieder die Langeweile ein, trotz des ständigen Umherstreifens, die ich schon in W. und als Kind so oft gespürt hatte.
Nach 3 Monaten räumte die Bank, die mein Konto verwaltete, einen Dispokredit ein. Da wurde es etwas besser mit dem Geld. Doch der Dispokredit war bald voll ausgeschöpft. In M. war vieles um einiges teurer als es in W. gewesen war. Um meine Einsamkeit und die Langeweile zu überbrücken, meldete ich mich bei einem Englischkurs an. Dieser erwies sich bald als „Flop“, da die Lehrerin alles Mögliche erzählte außer englisch. Das einzige positive an dem Kurs war, dass ich ein tschechisches Mädchen kennen lernte. Swenja begegnete mir sehr offen und herzlich; ich spürte sofort eine angenehme Anziehung zu ihr. Und so trafen wir uns öfters und unternahmen auch einiges miteinander. Bei Swenja verhielt es sich ähnlich mit den Finanzen. Sie arbeitete als Au-Pair Mädchen bei einem Ärzteehepaar. Auch sie hatte im Monat nur einige hundert D-Mark zur Verfügung und es reichte oft nicht bis zum Monatsende. So konnten wir beide manchmal ‚nur‘ spazieren gehen und nichts kaufen oder irgendeine andere Aktivität unternehmen. Bei mir stellte sich langsam Frust ein, weil ich ja voll arbeitete, aber nichts übrig blieb.
Nach einigen Monaten hatte ich einen Lieblingsplatz in der Innenstadt gefunden. Sehr oft setzte ich mich in den größten Buchladen am Marienplatz und durchstöberte Bücher über Bücher. Da ich schon immer sehr schnell las, las ich einige Bücher schon im Buchladen durch. Das erste, was mich sofort in seinen Bann zog, war ein Buch mit dem Thema ‚Hexenverbrennung‘ im Zusammenhang mit der Inquisition. Ich wurde von diesem Thema magisch angezogen, ja regelrecht hypnotisiert. Während ich dieses Buch las, regte sich in mir eine Stimme, die sagte: „Ich habe schon einmal gelebt und ich bin als Hexe verbrannt worden.“ Je mehr ich darüber las, umso sicherer wurde diese Gewissheit in mir, dass ich in einem früheren Leben für mein Wissen sterben musste.
Ein weiteres Buch, welches mich sofort faszinierte, war ‚Sophies Welt‘, welches 1991 erschienen war. Je mehr ich in dieses Buch eintauchte, fragte auch ich mich:
„Wer bin ich wirklich?“
„Woher komme ich?“
„Warum bin ich hier?“
War auch ich nur eine Figur, ein Teil in einer Geschichte, die sich irgendjemand ausgedacht hatte und die Fäden in seiner Hand hielt? Solche Fragen kreisten unaufhörlich in meinem Kopf herum. In mir formte sich eine leise Erkenntnis, dass ich hier war, um etwas Einzigartiges für diese Welt zu schaffen und zu hinterlassen, eine Botschaft zu überbringen, etwas, was die Menschen wirklich weiter bringen würde, etwas, womit sie sich weiterentwickeln konnten, etwas, an was sie sich immer wieder erinnern konnten. Doch war dafür meine Tätigkeit als PTA überhaupt geeignet? Wer war ich denn eigentlich als PTA? „Nun ja“, dachte ich, „damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt, bezahle meine Miete, mein Auto, meinen Urlaub ... und weiter? Was war da noch? Nichts ...?“
Oder ich fragte mich, wie mein Leben wohl aussehen würde, wäre ich mit Thoralf, Mattias oder Richard zusammen geblieben. Irgendwie wurde mir dabei klar, dass dieses klassische Bild einer Ehe und dann Kinder, jedes Jahr der Urlaub, das ganze Leben die gleiche Arbeit und dann die Rente, für mich nicht in Frage kam. Ich wusste, dass für mich etwas anderes vorgesehen war. Das erkannte ich einfach daran, weil ich mich so oft fremd unter den Menschen fühlte und mich solche „Allerweltsthemen“ zu Tode langweilten und ich so eine Art besondere Aufgabe in mir spürte, aber noch nicht konkret wusste, was das war. Jetzt wurde mir auch klar, dass es mit Thoralf auf Dauer nicht funktioniert hätte, obwohl ich es mir sogar eine ganze Weile gewünscht hatte. Doch gerade mit ihm und unserer wortkargen Kommunikation hätte sich unsere Beziehung zusammen in einer Wohnung ultraschnell erschöpft.
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