Tanja Langer

Kleine Geschichte von der Frau, die nicht treu sein konnte


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hart ausformuliert. Auf der Bühne trug sie oft schwarze Perücken. Sie war sehr zierlich und hatte eine enorme Stimmkraft; selbst in Phrasen, bei denen Schostakowitsch die Dissonanzen aufs Äußerste zuspitzte. Sie passte gut in die Rolle der eigenwilligen Katerina, die es in ihrem eingeengten Leben krachen lässt. Die aus dem Milieu herauswill und dafür über Leichen geht. Sie hielt beim Singen die gefalteten Hände halb an die Wange, halb über das Ohr gelegt. Es war, als holte sie die Kraft aus der Hüfte: an bestimmten Stellen schleuderte sie sie in abgehackten Bewegungen vor, fast unheimlich sah das aus. Stefan mochte sie gern. Er trank manchmal einen Kaffee mit ihr. Oder einen Wein. Aber nicht so gern in der Kantine; denn über Musiker, die mit den Sängerinnen zusammensaßen, wurde gelästert. Gewisse Barrieren sollten doch geachtet werden.

      Der lange Mann alias Karl Valentin im Holzfällerhemd kam herein. Schmidt. Er sang den Schwiegervater von Lady Macbeth. Er stellte sich neben das Orchester, schob das Becken noch weiter vor als beim Spazierengehen, kreuzte die Arme vor der Brust und setzte ein.

      „Sie ist so jung“, schmetterte er, „sie ist so toll. Sie kann nicht schlafen, weil sie so jung ist / und voller Begierden.“

      Die Musiker unterdrückten nur schwer ein Lachen. Zu lachen war das Ende. Viele Dirigenten fühlten sich verschaukelt, wenn Musiker lachten.

      „Wäre ich nur jünger / nur zehn Jahre jünger / ja dann / heiße Nächte hättest du dann / die würd ich dir machen / da wär ich scharf drauf.“

      Damen und Herren prusteten los. Georgidis ließ den Taktstock sinken und lachte selbst. Frau Blomstedt war rot geworden. Die Klarinetten schubsten sich an und schielten zu Heinrich dem Bratschisten, der verzückt die nervöse Flöte ansah, die lächelnde Elena. Er war auch rot geworden. Die Geigerinnen, japanisch, tschechisch, deutsch, kicherten.

      „Nu guck nich so kritisch, Ronald“, sagte Herr Schmidt todernst zu seinem Kollegen, der neben ihm stand. Ronald sang den Gatten, seinen Sohn also. Herr Schmidt grinste. Er war nicht böse über das Gelächter. Er war es gewohnt. Er wusste, wie ulkig er aussah, wenn er sang. Er war gern komisch.

      „Wir wiederholen das noch mal, Detlev“, sagte Georgidis, „aber wir nehmen den Liebhaber gleich dazu, wir machen gleich alles hintereinander weg, ja, Jochen?“

      Georgidis sah sich um. Jochen war der Liebhaber.

      „Jochen is aufm Klo“, sagte Detlev gedehnt und verursachte eine neue Lachsalve. Er sang noch dreimal den tollen Alten, „die würd ich dir machen, da wäre ich scharf drauf“, er sang es dreimal anders, hitzig, elegisch und schrill. Stefan mochte das Schrille am liebsten. Dann kam eine Passage, die die Klarinetten einleiteten und begleiteten: Katerina gab dem Alten vergiftete Pilze zu essen. Weil er ihr nachstellte und sie tyrannisierte.

      „Katerina“, sagte Georgidis, „ gives Pilze with poison to him, and here die Klarinette gives us the aaahhh.“ Er markierte großes heftiges Bauchkrümmen, alle lachten erneut. Die Probe eierte mittlerweile selbst wie besoffen. Alle freuten sich schon darauf, wenn Katerina den Gatten erstechen würde. Wegen des Liebhabers. Ronald spielte sein Erstochen-Werden wie eine Slapstickeinlage.

      Stefan setzte die Klarinette an. Gut, dass er das neue Blatt aufgewickelt hatte. Es kam sehr leicht. Er spielte etwas schneller als Matthias und Ernst, von Tobias zu schweigen. Sie setzten ab.

      „Mist“, fluchte Ernst.

      „Sie waren zu langsam, macht nichts.“ Georgidis sah sie an, nickte.

      Sie spielten zwei Phrasen, der Dirigent hörte zu.

      „Die Es-Klarinette muss am Anfang viel schneller, kürzer. Mal bitte allein.“

      Tobias spielte etwas schneller.

      „Schneller“, sagte Georgidis. Tobias spielte.

      „So etwa, jetzt im Einzelnen gedehnter.“

      Stefan sah mitfühlend zur Seite. Georgidis war offenbar ein Seismograf, der sich versteckte. Es war immer wieder verblüffend, dass den Dirigenten nichts entging. Tobias’ Gesicht war so rot wie sein Pullover. Er fühlte sich ertappt. Er bockte. Er wischte die Klarinette aus. Er versuchte Zeit zu gewinnen.

      „Hier steht aber nur forte“, sagte er.

      „Jajaja. Karascho. Gut. Steht da. Aber ich. Verstehen Sie, small lips, but legato! In der zweiten Version hat Schostakowitsch das crescendo weggenommen, deshalb leise, zart und ein bisschen traurig.“ (Manchmal sprach Georgidis wunderbar deutsch.)

      Tobias knurrte.

      „Traurig oder schnell, ja wat denn nun?“

      Georgidis sah ihn an. Er legte kurz den Kopf nach hinten, ganz kurz, eine winzige Geste, die man manchmal an balkanischen Männern sieht, hey du, was willst du, sieh dich vor.

      Tobias spurte. Die Klarinetten spielten alle noch einmal zusammen. Stefan hatte das Gefühl, er könnte diese Passage der ersten Klarinette auch gut beherrschen; vor Schostakowitsch hatte er jedenfalls keine Angst, er lag ihm. Es war allerdings ein alter Hut, dass die zweite Klarinette dachte, sie sei besser als die erste … Ach! Was musste er immer so zögerlich sein! Sibylle hatte recht: Es würde ihm Spaß machen!

      Georgidis zuckte mit den Achseln. Es ist zu banal, um sich darüber aufzuregen, deutete Stefan sein Mienenspiel. Dieser Mann gefällt mir, dachte er, ganz ohne Worte, wirklich, immer mehr.

      · 5 ·

      Am Samstag darauf war Auktion. Eva hatte den Wecker gestellt. Stefan schlief noch, er hatte Abendproben gehabt. Die Kinder stritten sich bereits lautstark im Wohnzimmer um die Legoplatten, die sie als Unterlage für ihre Häuser und Bauernhöfe brauchten. Das Frühlingslicht fiel angenehm weich in den großen Raum im Erdgeschoss.

      „Nicht so laut“, sagte Eva, „Papa schläft.“

      „Blöde Kuhen“, schrie Lucie (sie sagte Kuhen statt Kühe, sie liebte dieses Wort). Lucie stand auf dem Stuhl und schrie die andern beiden an. Sie hatte nur ein Hemdchen an. Eva setzte Wasser auf, ging die Treppe wieder hoch und holte Unterhosen, Strumpfhosen und ein T-Shirt für Lucie.

      Aber Lucie wollte keine Unterhose anziehen. Eva deckte den Frühstückstisch und hielt ihr jedes Mal, wenn sie an ihr vorbeikam, ein anderes Exemplar vor die Nase.

      „Die mit der Naht mag ich nicht!“, sagte Lucie. Eva zeigte ihr eine andere.

      „Die ist zu eng! Die gehört Sina! Die hat doofe Blümchen!“

      „Jetzt hab ich aber genug“, sagte Eva, „dann bleibst du eben nackt. Ich muss jetzt etwas essen, ich muss heute arbeiten.“

      Eva brachte heiße Milch und Kakao und schmierte Brote für die Kinder. Zwischendurch nahm sie einen Schluck aus ihrer Tasse. Sina und David erläuterten ihr mit immer hitziger werdenden Stimmen den Verlauf ihres Streites.

      „Ich hatte die grüne Platte zuerst“, sagte David.

      „So“, sagte Sina spitz, „wie kommt es dann, dass sie auf dem Boden lag, ganz allein, als ich sie fand?“

      David hasste Sinas Ironie, er verstand sie nicht.

      „Ich hatte sie zuerst“, schrie er.

      „Blöder Kerl!“ Sina warf ihr Marmeladenbrot nach David. Eva schlug auf den Tisch. „Sina!“, brüllte sie. „Es reicht!“

      David heulte, stürzte zu Eva, die gerade noch die Tasse absetzen konnte, und krallte sich an ihr fest.

      „O nein, bitte nicht!“

      Evas Strumpfhose riss.

      „Scheiße!“

      Stefan tauchte auf.

      „Morgen.“

      Eva schubste David fort, küsste Stefan flüchtig auf die Wange, „Morgen“, und rannte an ihm vorbei in den Keller, um eine schmutzige Strumpfhose aus dem Wäschekorb herauszusuchen. Nora rief an, hörte das Geschrei und wurde von Stefan vertröstet. Eva kam wieder hoch, mit rotem Gesicht.

      „Scheiße“,