Josef Fontana

Sepp Kerschbaumer


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werden!

      L A N D S L E U T E !„Ein Volk, das um nichts anderes kämpft als um sein angestammtes, verbrieftes Recht, wird den Herrgott zum Bundesgenossen haben!“ (Kanonikus Gamper). Aber kämpfen müssen wir um unser Recht, kämpfen, auf daß wir wieder freie Tiroler werden! In einemf r e i e nS Ü D T I R O L!

      Das Blatt war ungezeichnet, die Aufmachung bescheiden. Doch die Diktion ließ schon erahnen, dass da eine neue politische Kraft im Untergrund tätig war.

       Resonanzen und Dissonanzen

      Im Ausland hatte die Kundgebung von Sigmundskron eine gute Presse. Nicht so im Inland. Liest man die Kommentare der italienischen Zeitungen über den Tag von Sigmundskron, so gewinnt man den Eindruck, dass ihnen der disziplinierte Verlauf der Kundgebung gar nicht recht war. Es fehlte der Skandal, das Anrüchige, das Kriminelle. Aber was nicht war, ließ sich machen. Man bauschte Nebensächlichkeiten zu Staatsaffären auf, drehte einfache Tatsachen zu Sensationsmeldungen um und stellte Bezüge her, die es nicht gab. Dabei erlangte Kerschbaumers Flugblatt einen unerwarteten Stellenwert. Der L’Adige in Trient schob es kurzerhand der Südtiroler Volkspartei in die Schuhe.54 Magnago stellte richtig: Die SVP hat mit dem Flugblatt „nicht das Geringste zu tun“.55 Umsonst. Die Diskussion ging weiter, ja nahm an Heftigkeit zu. Und so befasste sich in der Sitzung vom 25. November 1957 die Parteileitung mit dem Corpus Delicti. Auch die Parteileitung erklärte: Die SVP hat mit dem Flugblatt nichts zu tun. Sie habe es weder gebilligt noch billige sie es. Gleichzeitig machte sie der italienischen Presse zum Vorwurf, dass sie dieses Flugblatt benütze, „um die sehr sachlichen Forderungen der Partei und des Volkes zu übergehen und den Haß der italienischen Bevölkerung zu schüren, mit all den Folgen, die wir Sonntag in Bozen sehen konnten“. Die „Würde der Nation“ könne nicht durch ein anonymes Flugblatt verletzt werden. Sie könne auch nicht durch Umzüge und Anpöbelungen wiederhergestellt werden.56

      Diese Stellungnahme enthält zwei Anspielungen auf italienische Gegendemonstrationen. Wie man einen Protest mit Würde und Anstand an den Mann bringt, hatten zuerst italienische Oberschüler am 19. November den Südtirolern vor Augen geführt. Allein die Aufschriften auf ihren Transparenten offenbarten feinen Takt und ein überdurchschnittlich hohes Bildungsniveau:

      Fuori legge la SVP! – Die SVP ist aufzulösen!

      Fuori Magnago dall’Italia! – Hinaus mit Magnago aus Italien!

      Non vogliamo rinnegati in Italia! – Wir wollen keine Verräter in Italien!

      Alto Adige, non Südtirol! – Alto Adige, nicht Südtirol!

      Basta con le provocazioni, qui è Italia! – Schluß mit den Provokationen, hier ist Italien!

      Tedeschi, non insultate chi vi ha tolto la fame! – Deutsche beleidigt nicht jene, die euch vor dem Hunger gerettet haben!

      Governo se ci sei, batti un colpo! – Regierung, wenn du da bist, gib ein Zeichen!

      Damit kein Zweifel aufkomme, wie der letzte Slogan gemeint sei, zierte ein Totenkopf die Tafel.57 Damit war aber noch nicht Schluss. Es waren sogar noch Steigerungen möglich. Dazu trug bei, dass am 22. November auf das Grabmal Tolomeis in Montan ein Anschlag verübt wurde. Die Attentäter sind zwar nie ausgeforscht worden, doch stand für die italienischen Medien unzweifelhaft fest, dass sie unter den Südtirolern zu suchen seien. So war das Klima um einige Grade heißer, als am Sonntag, dem 24. November, Frontkämpfer und Neufaschisten aus Italien in Bozen angereist kamen, um an einer Kranzniederlegung beim Siegesdenkmal teilzunehmen, die als „Wiedergutmachungsakt gegen die in Schloß Sigmundskron formulierten Beleidigungen der Werte des Kämpfertums“ vorgenommen wurde. Von kaum zu überbietender Freundlichkeit auch ihre Rufe:

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       19. November 1957: Gegendemonstration vor dem Bozner Siegesdenkmal wider die Kundgebung von Sigmundskron

      A morte! – Zum Tode!

      Porci! – Schweine!

      Fuori oltre il Brennero! – Hinaus über den Brenner!

      Auf dieser Höhenstufe stand auch die Rede des Bozner MSI-Führers Andrea Mitolo. „Die Südtiroler“, verkündete er, „werden als Nazi geboren und bleiben Nazi, denn sie sind von Natur aus Nazi!“58 Dies alles waren italienische Beiträge zur politischen Kultur im Lande.

      Jedoch die Vorgänge auf Sigmundskron und die Nachklänge zu Sigmundskron versetzten nicht nur die Italiener in Erregung. Sie lösten auch innerhalb der SVP ein Nachbeben aus. Josef Raffeiner gab im Senat am 26. November 1957 eine Erklärung ab, die mit der Linie der Partei nicht mehr im Einklang stand:59

      Ich fühle mich für meine Person zur Feststellung verpflichtet, daß ich den Dynamitanschlag, durch welchen am vergangenen Freitag das Grabmal des Senators Ettore Tolomei in dem kleinen Friedhof von Montan, an der Fleimstaler Straße, zerstört wurde, bedauere. Nicht weniger bedauere ich die Beleidigungen, die dem nationalen Gefühl der Italiener von unverantwortlichen Elementen mit feindseligen Rufen und einem Flugblatt anläßlich der Kundgebung unseres Volkes in Sigmundskron zugefügt wurden. Ich glaube, daß mein Freund und Kollege Braitenberg, der nicht im Saale anwesend ist und mit welchem ich über diesen Gegenstand nicht sprechen konnte, mit mir in dieser meiner Verurteilung und meinem Bedauern eines Sinnes ist. Ich will für den Augenblick nichts weiteres hinzufügen.

      Kein Wort über Sinn und Zweck der Kundgebung von Sigmundskron, kein Wort über die Ausschreitungen der Italiener in Bozen. Von Braitenberg schloss sich dann in der Tat der Erklärung Raffeiners an.

      Die Dolomiten meinten, die Südtiroler würden es begrüßen, wenn Senator Raffeiner seinen Kollegen im Senat und den Mitgliedern der Regierung auch den übrigen Inhalt der Entschließung der Landesleitung der Südtiroler Volkspartei zur Kenntnis brächte, in welcher die Ausschreitungen und Übergriffe bei der Kundgebung der Neufaschisten in Bozen am letzten Sonntag gebrandmarkt wurden und die Einsetzung einer Untersuchungskommission des italienischen Parlamentes zur Überprüfung der Zustände in Südtirol verlangt wurde. Die Zeitung gab der sicheren Erwartung Ausdruck, dass Senator Raffeiner dies bei nächster Gelegenheit nachholen werde.60 Diese Hoffnung erfüllte Raffeiner jedoch nicht. Der L’Adige erkannte richtig, dass zwischen den Erklärungen Raffeiners und Braitenbergs und dem Geist, der die SVP-Resolution leite, ein Abgrund klaffte.61 Viele Südtiroler stellten sich die Frage, auf welcher Seite die beiden eigentlich standen. Sie hatten diese Frage vermutlich auch an die drei SVP-Abgeordneten Tinzl, Guggenberg und Ebner gerichtet, wenn sie gewusst hätten, dass sie und die zwei Senatoren am 29. November 1957 ohne Wissen der Parteileitung bei Bundeskanzler Julius Raab in Wien vorsprachen und die Politik der neuen SVP-Führung madig machten. Nach den Ausführungen Tinzls und Guggenbergs hätte die in Sigmundskron erhobene Forderung nach Provinzialautonomie in der italienischen Regierung jener Richtung Oberwasser gegeben, die schon immer die Ansicht vertreten habe, es habe keinen Sinn, den Südtirolern Konzessionen zu machen.62 Wenn man das weiß, dann wundert man sich auch nicht, dass sich Raffeiner und Braitenberg weigerten, im Senat den Entwurf für ein neues Autonomiestatut einzureichen. Man wundert sich nach diesen Vorkommnissen vielmehr darüber, dass die Abgeordneten Tinzl, Ebner und Guggenberg am 4. Februar 1958 das Autonomieprojekt dann doch noch in der Kammer einbrachten.63 Logisch ging’s wirklich nicht her in der SVP in diesen Monaten. Sepp Kerschbaumer, über die Vorgänge in der Partei gut informiert, fand, dass es wieder an der Zeit war, ein Flugblatt in die Welt zu schicken.

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       Ein BAS-Flugzettel aus der Werkstatt Sepp Kerschbaumers

      V O L K S V E R T R E T E R!

      Seit der denkwürdigen Volkskundgebung auf Schloß Sigmundskron sind Tage und Wochen vergangen. Überall