bei 93,2 % der untersuchten Gebisse strukturgestörte Molaren, die Schmelzdysplasien oder MIH aufwiesen (Abb. 1-3). Ein Fallbericht aus dem 15. Jahrhundert scheint dies zu bestätigen11. Die zahnärztlichen Befunde bei der Untersuchung des Schädels zeigten Schmelzdefekte der Molaren 36 und 46 und kleine Defekte an den weiteren ersten Molaren. Weiterhin wurden Streifungen des Schmelzes bei den permanenten Inzisiven gefunden.
Abb. 1-3 Mittelalterlicher Skelettfund: a) vermutlich bestehende MIH an der Höckerspitze des ersten unteren Molaren, b) denkbare MIH des distobukkalen Höckers des unteren linken zweiten Milchmolaren (Quelle: Ogden et al.10; mit freundlicher Genehmigung von Springer).
Auch für Deutschland gibt es diesbezüglich empirische Daten, die die Aussage des manifesten Auftretens von MIH in der weiteren Vergangenheit indes ein wenig relativieren. Eine Studie an Skeletten des 12. bis 16. Jahrhunderts aus Regensburg und des 16. bis 18. Jahrhunderts aus Passau zeigte zwar das Auftreten von MIH, jedoch nur in einem sehr geringen prozentualen Anteil (3,2 %)12,13. Von den insgesamt 309 untersuchten Schädeln zeigten dabei sieben (2,2 %) mindestens einen Molaren mit einer zum Gesunden abgrenzbaren Opazität, die sich nach den Kriterien der EAPD einer MIH zuordnen ließe. Drei weitere Schädel (1,0 %) wiesen mindestens einen Zahn mit einem posteruptiven Schmelzeinbruch auf. Aufgrund der niedrigen Prävalenz schlussfolgerten die Autoren, dass MIH höchstwahrscheinlich nicht oder zumindest nur selten in den von ihnen untersuchten archäologischen Fallserien existierte. Die Vermutung liege also nahe, dass die MIH ein spezifisches Phänomen und therapeutisches Problem unseres Jahrhunderts sei.
Seit der Erstbeschreibung und der Definition der MIH als eigenständigen Krankheitsbilds ist viel geschehen. Das mediale Interesse an der Virulenz des Problems ist in den letzten Jahren gestiegen – sowohl in der Fach- als auch in der Laienpresse. Epidemiologisch und ätiologisch ausgerichtete Studien zur MIH sind in den letzten Jahrzehnten zahlreich erschienen. Dies zeigt, dass weltweit an dem Krankheitsbild geforscht wird. Weil international standardisierte Diagnosekriterien verfügbar sind, können Prävalenzdaten vergleichbar dokumentiert werden.
Großer Forschungsbedarf besteht indes immer noch in den Bereichen der Ätiologie und der Therapie. Die ursächlichen Faktoren der Erkrankungen sind trotz zahlreicher Untersuchungen mit zum Teil kontroversen Ergebnissen weiterhin unklar. Ein großes Problem besteht darin, dass die MIH erst klinisch sichtbar wird, wenn die Eruption der betroffenen Zähne in die Mundhöhle einsetzt. Diese findet jedoch erst einige Jahre nach der Schmelzbildung statt und somit auch lange Zeit nach der Schädigung. Vielfach publizierte retrospektive Studien sind deshalb limitierend und bergen die Gefahr der Fehlinterpretation von Ergebnissen. Prospektive, randomisierte Studien fehlen derzeit, wären aber immens wichtig. Folglich muss es in den nächsten Jahren das Ziel sein, weiter verstärkt in diesem Teilbereich zu forschen.
Im Hinblick auf die Therapie der MIH hat das benötigte Wissen um die Symptomatik des Krankheitsbilds – wie posteruptive Schmelzeinbrüche oder Hypersensibilitäten – stark zugenommen, und im Rahmen ihrer Behandlung konnten auch immense Fortschritte erzielt werden. Dennoch besteht großer Bedarf an klinischen Studien, um vorliegende Versorgungskonzepte auch in randomisierten klinischen Studien zu verfeinern und sinnvoll zu ergänzen. Zudem muss es im Bereich der Grundlagenforschung in den nächsten Jahren das Ziel sein, Maßnahmen und Lösungen zur Stabilisierung der weichen Zahnhartsubstanz zu entwickeln.
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Bei der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation handelt es sich per Definition um eine systemisch bedingte Hypomineralisation von einem bis vier bleibenden ersten Molaren mit oder ohne Beteiligung der Inzisiven1. Eine große klinische Herausforderung stellen die Variabilität der Hypomineralisation sowie der differierende Ausprägungsgrad