und die ihn begleitenden Umstände schließlich ans Licht kamen, geriet Großvater Waldemar so in Zorn, dass er Jana und mir mit der Aufkündigung des besagten Deals und seinem undankbaren Enkel Waldemar, wegen arglistiger Täuschung, mit dem testamentarischen Ausschluss von der Erbfolge drohte.
Schließlich erklärte er noch, er werde beim Bürgermeister von Bitterfeld eine Eingabe gegen die „Ische Schön“ einreichen. Wegen Vorteilsnahme im Amt und so weiter. Außerdem bekam sie bei ihm Hausverbot. Das war aber eher eine hilflose Geste, denn Ilona hatte ihn zuvor wissen lassen, dass sie keineswegs die Absicht habe, mit einem Typen von Großvater, der auf den „echt blöden“ Namen Waldemar hörte, Umgang zu pflegen.
Das alles löste bei uns eine kurzfristige mittelschwere Familienkrise aus. Die konnte ich aber entschärfen, indem ich meinem Vater versprach, den neuen Namen Henry seines Enkels künftig nur gemeinsam mit seinem Geburtsnamen zu benutzen. Daran hielt ich eisern fest. Wort ist schließlich Wort. Doch wirklich wichtig waren bald weder der Deal zwischen mir und meinem Vater noch die Namensänderungsaffäre, denn die noch zu schildernden weltpolitischen Ereignisse überlagerten alles andere. Der einzig Leidtragende des Namensspektakels blieb zuletzt ich, denn mein altehrwürdiger Name Heinrich wurde neben Heinz und Heini nun auch noch durch Henry verstümmelt. Doch richtig gelitten habe auch ich nicht darunter.
Inzwischen nahmen die Montagsdemos und die Versammlungen mit endlosen Diskussionen über die Missstände im Staat DDR im Allgemeinen und speziell denen in unserer Firma meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch. Es nützte aber nichts. Langsam aber stetig änderte sich die Stoßrichtung unserer Bewegung. Wir alle spürten das, doch fanden wir dagegen kein Mittel. Niemand hatte so etwas wie Richtungskompetenz. Von außen drängten halbseidene Elemente mit populistischen Parolen nach vorn und gaben schließlich die Richtung vor. Die übergroße Mehrheit der DDR-Bürger folgte ihnen willig. Damit entglitt uns die Entscheidung über unsere Zukunft. Von Treibenden wurden wir zu Getriebenen. Die Veränderungen im Land nahmen ein so rasantes Tempo auf, dass keine Zeit zum Denken blieb. Was war dagegen schon ein winziges Problem wie die Namensänderungsfrage unseres Sohnes?
Anfangs lief alles vorwärts. Wir wollten sie, die lange überfälligen Reformen. Die allgemeine kopflose Euphorie löste bei mir nur leise unterschwellige Ängste vor der Zukunft aus. Aber ich wusste natürlich auch, dass Menschen zwar Veränderungen herbeisehnen, zugleich aber immer Angst vor einer ungewissen Zukunft haben. Gesprochen habe ich darüber mit Kollegen nicht, denn allzu leicht konnte man bereits damals in Verdacht geraten, ein „Konterrevolutionär“ zu sein. Verzeihung, der Begriff war natürlich bereits veraltet. Jetzt hieß es „Ewig-Gestriger“. Gemeint war aber das Gleiche. Wir kannten ihn ja, den Begriff, den die jeweiligen Gutmenschen verwenden, um unerwünschte Mahner zum Schweigen zu bringen. Deshalb vor allem schien es zunächst so zu sein, dass ich der Einzige in unserer Firma war, den manchmal unterschwellige Ängste vor dem plötzlich erwachten Volkswillen überkamen. Jana lächelte nur sanft, wenn wir darüber sprachen. „Lass das Volk sich doch etwas von der Seele schreien. Die beruhigen sich wieder“, sagte sie, „oder hast du schon mal etwas von einer richtigen Revolution ohne Studenten gehört? Unsere jedenfalls sind ruhig und gehen nicht auf die Straße, sondern in die Disko.“
In der Tat, einige Studenten der Leipziger Universität, die damals noch den Namen Marx trug, beteiligten sich zwar an den Montagsdemos, aber wohl eher aus Neugier. Einige diskutierten auch untereinander in den Vorlesungspausen, doch am Studienablauf änderte sich nichts. Der akademische Nachwuchs, gewöhnlich das Hauptunruhepotential bei Revolutionen, spielte vor dem 9.
November 1989 in Leipzig nur eine beinahe passive Rolle. Der Forschungs- und Lehrkörper engagierte sich eigentlich überhaupt nicht. Vielleicht war es nur die Angst vor möglichen Folgen, vielleicht aber glaubte man auch nicht an den Sinn der Bewegung. Ich weiß, das darf man heute nicht mehr sagen, wie vieles andere auch nicht. Aber ich weiß es eben durch Jana, die dort arbeitete, als Slawistin. Es galt schon als mutig, wenn sich Studenten die Demonstration gelegentlich aus den Fenstern oder von der Plattform des „Uni-Riesen“ ansahen. Die stolze Universität stand in den aufkommenden Stürmen der Zeit wie ein Fels in der Brandung. Das beruhigte Jana zunächst, dann auch mich, meistens wenigstens. Wenn ohne Studenten keine richtige Revolution zustande kommt, sagte ich mir, dann wird das auch keine. Das ist auch besser so. Ein paar grundsätzliche Veränderungen im Staat herbeizurevoltieren, war ja notwendig und überfällig. Deshalb ging ich weiter zu den Versammlungen im Werk und fuhr mit zu den Montagsdemonstrationen nach Leipzig. Aber immer wieder pochte es warnend in meinem Hinterkopf und ich wusste nichts dagegen, als es mir selbst kleinzureden.
IV
Unser Sohn Waldemar Henry, wie ich ihn jetzt zu seinem Ärger nannte, war aktiv, glücklich mit seiner neuen Freundin, der Ische Ilona, und seinem selbstbestimmten Namen. Besonders aber mit den rasanten Veränderungen im Land. Gleich als es möglich war, wurde er in den ersten provisorischen Betriebsrat seiner Firma gewählt. Es ging aufwärts, dachte er. Doch wer hoch steigt, kann tief fallen. Nach einigen Monaten der Euphorie fiel er dann auch. Zunächst wieder zurück auf die Füße. Betriebsratsmitglied hin oder her, er gehörte zu den ersten, die freigesetzt wurden. Das war sogar noch einigermaßen logisch, diesmal aus Sicht der Gutmenschen, denn in den provisorischen Betriebsrat hatten sich auch einige Mitglieder der alten Betriebsgewerkschaftsleitung eingeschlichen. Das ging natürlich gar nicht, befand der neue Besitzer, als der Betrieb ihm gehörte. Außerdem war der Betriebsrat, wie bereits gesagt, ein Provisorium, also nur auf Zeit eingesetzt. Frei gewählt durch die Arbeitnehmer war er nicht! Gewählt zwar, aber so wie in der DDR üblich durch Handzeichen. Das reichte für einen Betriebsrat, den man brauchte, um mit seiner Zustimmung den Betrieb verkaufen zu können, für mehr aber nicht. Also arbeitete man zunächst ohne Betriebsrat. Einige Zeit später, Waldemar Henry war bereits geflogen, hätte theoretisch ein neuer Betriebsrat gewählt werden können. Ganz korrekt, in geheimer Wahl mit richtiger Urne. Doch dazu kam es dann leider nicht mehr. Der neue Inhaber war gerade dabei, die Firma abzuwickeln und ein Betriebsrat hätte dabei nur gestört. Notwendig war er auch so nicht mehr unbedingt, denn die Mehrzahl seiner potentiellen Wähler sahen sich ihren früheren Betrieb bereits von draußen an. Doch ich greife vor. Gehen wir noch einmal zurück zu unseren Vorwende-Lebensumständen.
Meine Frau Jana und ich waren schon früh, dank eines Tauschgeschäfts mit einer Tante und mit Assistenz der Betriebsgewerkschaftsleitung, Mitglieder einer Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft (AWG) geworden und als solche inzwischen stolze Besitzer einer Vier-Zimmer-Neubauwohnung. 78 Mark Miete kostete sie uns monatlich, warm, versteht sich. Später, als im vereinten Vaterland das Licht aus der Sonnenuntergangsrichtung immer längere Schatten nach Osten zu werfen begann, würde man solche Wohnungen in den Medien verächtlich „Platte“ nennen. Klar, offensiv verächtlich machen musste sein. Wie hätte man sonst die wachsende Ostalgie bekämpfen sollen? Die entstand ja nun einmal nur, weil die undankbaren Ossis im Beitrittsgebiet manches anders vorgesetzt bekamen als von ihnen einst erwartet. Geschieht uns recht. Hätten wir doch besser zugehört in den politischen Veranstaltungen. Aber was soll es, in der DDR gab es ja auch nur die Farben Schwarz und Weiß, wenn uns etwas berichtet wurde aus dem goldigen Westen da drüben. Wer hätte da wissen können, was wahr und was Propaganda ist? Wohin so etwas führt, wissen wir jetzt allerdings!
Ach, fast hätte ich es vergessen, eine Reihengarage besaßen wir auch, ein echtes Privileg damals. Und darin stand ein achtzehn Jahre alter, weißer 353er Wartburg mit rotem Dach. Er war ein indirektes Geschenk meines Vaters Waldemar. Indirekt, weil er uns nicht das Auto und auch nicht das Geld dafür schenkte, sondern uns eine seiner parallel laufenden Bestellungen auf diesen Wagen abtrat. Als Gegenleistung verlangte er von uns nur, dass wir seinem ersten Enkel, falls wir einen solchen je zustande bringen würden, den vom Aussterben bedrohten Vornamen Waldemar geben. Dafür wollte er uns sogar das Geld, das wir wahrscheinlich allein für einen solchen Wagen auch nie zusammenbekommen hätten, mit einem günstigen Zinssatz von sechs Prozent vorschießen. Das war der bereits mehrfach angedeutete Deal. Jana wehrte sich zunächst heftig dagegen, doch als alle unsere Bekannten und Freunde ein Auto fuhren, siegte er schließlich, der Gruppendruck. Wir nahmen den angebotenen Kredit meines Vaters und auch die Anmeldung. Als es dann soweit war, ich glaube drei Jahre nach Waldemar Henrys Geburt, kauften wir ihn uns, den herbeigesehnten Wartburg, und zahlten den