nach meiner gegenwärtigen Auffassung, fast noch ein halbes Ersatzauto dazu bekommen würde. Dies war entscheidend für meine nächste klare Aussage: „Gut, dann nehme ich alles.“ Damit war der Handel perfekt.
Nun hatte ich ein Auto, ein eigenes, sogar einen Wartburg. Ich war erleichtert, denn meine ablehnenden Gedanken gegenüber einem Trabbi waren somit null und nichtig. Dass ich künftig manchmal beinahe verächtlich auf einen Trabbifahrer geschaut haben soll, ist aber nun wirklich an den Haaren herbeigezogen! Jedoch muss ich an dieser Stelle auch Folgendes zugeben, was ich damals zwar wusste, aber nicht erkannte. Erst Jahre später wurde mir klar, wie der große Kampf der Systeme um die Vormachtstellung auch bei den nicht DDR-überzeugten Bürgern (zum Beispiel bei mir) seine individuelle Wirkung hatte.
Ich war nämlich, trotz meiner inneren politischen Widerstände, dem auf der Grundlage der einzig wahren Lehre von Marx, Engels und Lenin beruhenden und für die DDR postulierten Ziel gefolgt, welches da hieß: „Überholen ohne einzuholen!“
Diese Losung möchte ich zum Anlass nehmen, allen ehemaligen Trabbibesitzern zu sagen, dass sämtliche ihnen hier negativ erscheinenden Formulierungen nicht als Diskriminierung zu verstehen sind! Ich wusste auch damals, dass sich so mancher DDR-Bürger seinen Trabbi vom Munde abgespart hatte und stolzer Autobesitzer war. Daher achte ich nach wie vor seine diesbezügliche Einstellung. Dennoch haben sich meine Befindlichkeiten gegenüber diesem Fahrzeugtyp bis heute nicht abgebaut. Sehe ich einen Trabbi, gleich ob in Natura oder auf einem Bild, dann werden all meine Erinnerungen und Gefühle wach, die mit der DDR in Verbindung stehen. Im gleichen Augenblick bin ich froh, dass ich die DDR hinter mich gebracht habe.
Selbst wenn bescheiden ist dein Lauf, die Hoffnung, die gib niemals auf!
Namensgebung
Die Aufregung in der Familie kann man sich heute kaum vorstellen. Ich spürte, dass meine Frau Emmy stolz auf mich war. Ihre drei in der DDR lebenden Geschwister besaßen einen Trabbi. Nein, das soll nichts heißen! Es ist nur eine Feststellung, ohne jeglichen Hintergedanken! Sie war einfach nur glücklich, dass wir es soweit gebracht hatten. Mein Selbstbewusstsein bekam dadurch einen unerwarteten Auftrieb. Ich, der ich in meinem bisherigen Leben als größte Investition in der Kategorie Luxus 250 Mark der DDR für ein Moped ausgegeben hatte, besaß nun ein Auto. Wahnsinn!
Und erst unsere beiden Töchter! Sie schienen vor Freude fast außer sich zu geraten. Meine Ankunft im Wohnviertel hatten sie sofort von ihrem Kinderzimmerfenster aus erspäht und quiekten, dass es durch das ganze Haus schallte. Dann rannten sie, als ich mich mit dem Auto dem Hause näherte, die Treppe herunter und stürmten auf den Wartburg zu. Das taten sie derart, dass ich das Auto, viel früher als geplant, zum Stillstand bringen musste, um einen Zusammenprall zu verhindern. Die beiden kamen gar nicht schnell genug in das Innere. Sie stiegen Hals über Kopf durch die rechte Hintertür, zogen diese hinter sich zu und jickerten vergnügt auf der Rückbank. „Oh, Papa, ist das jetzt wirklich unser Auto?“, fragte Manuela, die Ältere. Und Susanne ergänzte: „Und das dürfen wir jetzt auch behalten?“
„Ja, das ist jetzt unser Auto, unser eigenes Auto!“ Voller Stolz war dieser Satz über meine Lippen gekommen. Darauf Susanne: „Oh, ich glaube, ich werde verrückt!“
Ein herrliches, warmes Gefühl machte sich in mir breit. Das wurde noch verstärkt, als Emmy beim Auto stand. Als wäre sie mit einer total unvorhergesehenen Überraschung konfrontiert worden, legte sie ihre Hand auf den Mund und sagte: „Oh, so schön habe ich es mir nicht vorgestellt.“
„Was meint ihr, wollen wir gleich eine Testfahrt nach Lutter machen?“
„Oh, jaaaa!“, schrien die Kinder und ergänzten: „Zu Oma und Opa! Juchhu!“
„Dann zieht eure Schuhe an und macht euch schick.
In einer viertel Stunde fahren wir los.“
Total aufgeregt und dennoch sehr diszipliniert waren die beiden im Handumdrehen fertig und rannten vorweg zum Auto. Als wir dann alle bei ihm standen, ich den Autoschlüssel zog und nach dem Einstieg von innen die Türen geöffnet hatte, erwies sich das Tollste, was es am Wartburg gab. Er hatte vier Türen! Außer mir bekam nun jede meiner drei Mitfahrerinnen ihren festen Platz im Auto. Damit war geregelt, wer künftig durch welche Tür einsteigen würde. Das ging völlig problemlos. Die Hausherrin beanspruchte natürlich den Sitz vorn neben dem Fahrzeugführer, also neben mir! Die beiden Mädchen waren sich auch schnell einig: hinten rechts der Platz gehörte Manuela, hinten links hatte Susanne ihren Stammplatz.
Da saßen wir nun alle in unserem Auto und fühlten uns wie Könige. Susanne brachte dies auf ihre Weise zum Ausdruck: „Oh, Papa, jetzt sind wir aber reich!“ Ja, wir waren reich. Reich, weil wir sehr glücklich waren und dankbar. Nun konnten wir bei Wind und Wetter nach Lutter fahren. Wir waren auch viel, viel schneller dort als vordem, als wir zu Fuß und nur bei gutem Wetter und einem langen Weg über den Iberg nach Lutter gelangten.
In Lutter angekommen, konnten sich die Kinder kaum zurückhalten. Noch ehe ich die Handbremse richtig angezogen hatte, waren sie ausgestiegen und rannten zu ihren Großeltern. Das ganze Haus war in helle Aufregung geraten. Alle bewunderten unsere Errungenschaft. Beim Abschied steckte mein Schwiegervater seiner Tochter etwas in die Hand und sagte: „Hier, dafür könnt ihr mal tanken.“
Wieder in Heiligenstadt, machten die Kinder einen Vorschlag. „Wir haben uns auch schon einen Namen für das Auto ausgedacht!“
„Sooo? Was denn für einen?“
„Er soll Johnny heißen!“ Ein lautes, vierstimmiges Lachen erfüllte darauf das Innere von Johnny!
Die Mädchen hielten bis zu seinem Ableben an diesem Namen fest. Wenn wir uns heute gemeinsam Bilder anschauen, auf dem der Wartburg zu sehen ist, dann zeigen sie mit dem Finger darauf und sagen: „Hier, das war unser Johnny!“
Warum ich ihn später umtaufte, ist auf seinen nach wenigen Jahren beginnenden Einsatz als Transportfahrzeug zurückzuführen, dem er trotz bereits vorhandener übergroßer Gebrechlichkeit sehr zuverlässig nachkam. Ich nannte ihn nur noch Gefechtsziege. Die mit einer Generalreinigung einhergehende, aber ungewollte farbliche Auffrischung der Außenhaut war daran schuld, dass dem Wort „Gefecht“ (wegen der vielen ausgefochtenen Gefechte) das Wort „Ziege“ angeheftet wurde.
Zur Ehrenrettung eines in der DDR hergestellten Autos sei gesagt: Der Titel „Gefechtsziege“ ist in diesem Fall kein Schimpfwort für ein dahinsiechendes DDR-Produkt. Der Buchtitel „Gefechtsziege LB-55-40“ ist vielmehr ein würdiges Memorial für ein Auto, das uns gute Dienste leistete und viel Freude brachte.
Gib deinem Auto einen Namen, dann zieht es mit dir enge Bahnen!
Trauerla
Alle, die angesichts der Überschrift nun ein jähes Ende der gerade so munter begonnenen Geschichte erwarten, können beruhigt sein. Keine Angst, es ist nichts passiert! Ich bin ja noch keine hundert Kilometer gefahren. Außerdem war ich damals mit Sicherheit noch reaktionsschneller als heute, und die Anzahl der Fahrzeuge im Straßenverkehr betrug im Vergleich zur Jetztzeit nur etwa zehn Prozent. Hinzu kommt, dass ich meine Fahrerlaubnis bei einem von allen Fahrschülern gefürchteten Fahrschullehrer gemacht habe – ohne Wiederholung, ohne Nachhilfestunden! Also, Ruhe bewahren und abwarten, was nun kommt.
Wenn man zu DDR-Zeiten ein Auto gekauft oder ergattert hatte, brauchte man noch etwas: Eine Garage! In welche Orte man auch kam, überall waren lange Reihen unterschiedlichster Garagentypen zu sehen. Das vermittelte den Eindruck einer ansteckenden Privatinitiative, welche die gesamte Bevölkerung erfasst zu haben schien. Das hatte seinen guten Grund. Denn ein Auto, das bedeutete doch etwas. Es war Ausdruck eines Wohlstandes, ja, eines in vieler Hinsicht hart erkämpften Wohlstandes. Darum musste es selbstverständlich nach allen Kräften bewahrt und gesichert werden. Vor allem auch deswegen, weil dieser Status anzeigende Gegenstand nicht ständig