Ernst Peter Fischer

Gott und die anderen Großen


Скачать книгу

dass der Herr im Himmel den kränklichen Astronomen auf der Erde lang genug am Leben hielt, um ihm ausreichend Gelegenheit zu geben, das Werk des allmächtigen Herrn des Himmels und der Erden in seiner Schönheit und Vollkommenheit zu erforschen.

      Leider schaffte es Gott nicht, sein Geschöpf Kepler so bei Gesundheit zu halten, dass der angestellte Astronom beim Kaiser als Arbeitgeber sein ausstehendes Gehalt einfordern konnte, nachdem der Herrscher ihn jahrelang nicht bezahlt und immer wieder vertröstet hatte. Der bescheidene Wissenschaftler starb daher arm und hinterließ eine vielköpfige darbende Familie.

      Man wüsste gerne, was Gott sich dabei gedacht oder welche Prüfung seines gläubigen Geschöpfs der Herr dabei im Auge gehabt hat, falls solch eine Formulierung sinnvoll ist und von gottesfürchtigen Menschen nicht sofort als unangemessen verworfen wird.

       Weltharmonik

      Doch lieber zurück zum wissenschaftlichen Treiben unseres Helden: Kepler zeigte sich trotz aller Mühsal zeitlebens überzeugt, „Nichts in der Welt ist von Gott planlos geschaffen“, wie er etwa in seinem Hauptwerk Weltharmonik von 1619 geschrieben hat. Er sah seine Aufgabe vornehmlich darin, sich auf die entsprechenden Gedanken Gottes einzulassen und sie in möglichst vielen Details seines Weltenplans aufzuspüren.

      Von den umfangreichen wissenschaftlichen Bemühungen Keplers, die den Gang von Licht durch Glas (Optik) ebenso ins Visier nahmen wie die sechseckige Form von Schneeflocken (Chemie), sollen in diesem Buch nur die astronomischen Leistungen bedacht werden, die den Himmel und seine Formationen zu erfassen versuchten, in denen seit dem Mittelalter dem lieben Gott Raum für sein Wirken zugestanden wird.

      Die christliche Kultur des Abendlandes hat tatsächlich um 1300 herum die Gestalt des Kosmos übernommen und zugleich christlich aufgeladen, wie sie von den alten Griechen – vor allem in den philosophischen Werken von Aristoteles – entworfen worden war. Die Philosophen der Antike stellten sich jenseits des Mondes kugelförmige Himmelssphären vor, die nichts mit irdischer Wirklichkeit zu tun hatten, die sich vielmehr nach göttlichen Vorgaben und somit ohne physikalische Mühe drehten und dabei die Planeten mit sich führten. Deren Bewegungen waren von der sublunaren Erde aus gut zu beobachten.

      Um die auf diese Weise zugängliche kosmische Mobilität zu erklären, benötigte man in der Antike keine Kräfte, wie sie die moderne Physik seit Newton benutzt. Dafür hatte der heidnische Grieche Aristoteles einen „unbewegten Beweger“ eingeführt, der alles in Schwung hielt, ohne sich selbst zu verausgaben.

      Wie nicht anders zu erwarten, übernahm die christliche Zeit diesen zentralen Gedanken, nur dass sie den antiken Antreiber in ein lateinisch benanntes „Primum Mobile“ verwandelte, in das „Erste Bewegte“ also, aus dem heraus die göttliche Kraft fließt, die in der Welt wirksam ist und empfangen wird sowie weiterströmt.

      Als Kepler sich an sein Werk machte, sah das christliche Denken die Erde mit dem Menschen im Zentrum der Welt. Um diese Mitte scharten und drehten sich die kugelförmigen Sphären, die ihrerseits weit außen Platz für das Göttliche ließen, das viele schöne Bezeichnungen erhielt und dabei als „Primum Mobile“ die Dinge auf ihren Weg brachte und den Lauf der Welt bestimmte.

       Kopernikanische Umwälzungen

      Der aus dem Württembergischen stammende Astronom Kepler kannte nicht nur die antiken Himmelsmodelle in christlicher Ausschmückung, wie sie etwa in Dantes Göttlicher Komödie eine Rolle spielen. Er kannte darüber hinaus auch die Ideen von Nikolaus Kopernikus (1473–1543), der in seinem Sterbejahr die bis heute für viele Menschen umwerfenden oder umwälzenden Ansichten über die Bewegungen am Himmel publiziert und dabei zwei dramatische Wendungen (Revolutionen) im Denken vorgenommen oder zumindest vorgeschlagen hatte.

      Zum einen empfahl Kopernikus tatsächlich, die Erde aus dem Zentrum der Welt zu nehmen und dort die Sonne unterzubringen, wobei zu beachten ist, dass diese (eher unwesentliche) astronomische Erniedrigung des Menschen – seine Entfernung aus der Mitte – eine (wesentliche) christliche Erhöhung zur Folge hat. Denn je weiter außen die Erde im Modell der Himmelskugeln (Sphären) zu liegen kommt, desto näher rückt sie an die Quelle der göttlichen Kraft heran und damit auf Gott zu – ein Umstand, der bis heute vielfach übersehen und peinlich falsch verstanden wird.

      Und zum Zweiten unterbreitete der polnische Domherr den Vorschlag, dass sich die Erde sogar zweimal drehe, nämlich nicht nur um die Sonne in einem großen Umlauf, für den sie ein Jahr benötigt, sondern zusätzlich in einem eher kleinen und kürzeren Rahmen um ihre eigene Achse – was den Wechsel von Tag und Nacht erklärt.

      Philosophisch betrachtet steckt die so genannte „Kopernikanische Revolution“ in der zweiten Rotation unseres Planeten, da die von unserem Planeten zu beobachtende Drehung der Fixsterne jetzt nicht mehr von diesen Himmelskörpern, sondern von dem sie beobachtenden Menschen her erklärt wird. Der rückt auf diese Weise doch wieder in die Mitte seiner Welt, nachdem er gerade das Zentrum des Sonnensystems aufgeben musste. Ein zugegebenermaßen manchmal verwirrendes Hin-und-Her der Positionen, das auch vielen Großen der Geistesgeschichte Mühe macht, hier aber nicht weiter verfolgt werden soll, da es weniger um Kopernikus und mehr um Kepler geht. Der interessierte sich vor allem für die erste Idee seines revolutionären Vorgängers.

      Genauer gesagt begeisterte sich Kepler unmittelbar für den heliozentrischen Vorschlag, obwohl es mit diesem Modell eine eigentlich unübersehbare und unüberwindbare Schwierigkeit gab. Denn offenkundig passt die Behauptung, die Erde drehe sich um die Sonne, die dabei selbst als ruhend betrachtet wird, nicht mit den Erfahrungen zusammen, die Menschen mit ihren Sinnen machen. Diese erlebten Eindrücke finden ihren Ausdruck sogar in der Sprache wieder und lassen die Menschen morgens von einem Sonnenaufgang und abends von dem dazugehörenden Untergang sprechen, obwohl der zentrale Himmelskörper im heliozentrischen Modell keinen einzigen Schritt tut und nicht geht, sondern einfach ruht.

      Neben diesen allgemeinen Schwierigkeiten, dem Modell des Kopernikus zu vertrauen, gab es im frühen 17. Jahrhundert das weitere Problem, dass keinerlei empirische Evidenz für eine Drehung der Erde um die Sonne vorlag, was es vielen Astronomen dieser Zeit leicht machte, den heliozentrischen Gegenvorschlag zum geozentrischen Kosmos als belanglose Spielerei ohne wissenschaftlichen Wert abzutun. Es war offenbar mehr oder weniger allein Johannes Kepler, der trotz der genannten Widrigkeiten von Anfang an fest von der zentralen Position einer wärmenden und leuchtenden Sonne überzeugt war.

      Kepler glaubte an das, was Kopernikus sagte. Dieser Glaube beruhte auf einem Grund, der direkt zu Gott führt. Er steckt darin, dass unser Astronom durch das Kopernikanische System von „religiöser Leidenschaft“ erfasst wurde, wie der Physiker und Nobelpreisträger Wolfgang Pauli (1900–1958) in den 1950er Jahren in einer historischen Analyse ausgearbeitet und geschrieben hat.

      Tatsächlich sieht Kepler in der heliozentrischen Anordnung am Himmel „das körperliche Abbild“ des „drei-einen Gottes“ in der Welt, wobei er Gott den Vater im Zentrum, seinen Sohn in der Oberfläche der Kugel und den „Heiligen Geist im Gleichmaß der Bezogenheit zwischen Punkt und Zwischenraum“ sieht, wie es bei ihm etwas kryptisch und für die Gegenwart nicht immer leicht nachvollziehbar heißt.

      Einfacher ausgedrückt: Kepler erkundet die Gestalt des Kosmos im heliozentrischen Glauben mit Hilfe der christlichen Trinität, und mit diesen Vorgaben macht er sich daran, „nach den wahren Gesetzen der Proportionen der Planetenbewegung als dem wahren Ausdruck der Schönheit der Schöpfung zu suchen“, wie es Pauli in dem Aufsatz formuliert, in dem er 1952 den Einfluss archetypischer Vorstellungen auf die Bildung naturwissenschaftlicher Theorien bei Kepler erkunden möchte.

      Pauli erläutert am Beispiel von Kepler seine bis heute von Wissenschaftsphilosophen kaum zur Kenntnis genommene Ansicht, dass erfolgreiches wissenschaftliches Erkennen nicht allein rational gelingt, sondern vor einem archaischen (irrationalen) Hintergrund stattfindet, in dem Pauli Urbilder der Seele vermutet, die sich als so genannte Archetypen am Denkspiel des Erkennens beteiligen. Und eines dieser archetypischen Urbilder, die in das Bewusstsein gelangen können, findet sich in der Trinität oder Dreifaltigkeit (Dreieinigkeit), mit deren Hilfe Kepler seinen festen Glauben an die Zuverlässigkeit des Kopernikanischen Modells erlangt