Robin Stern

Der Gaslight-Effekt


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Ihr Wirklichkeitssinn wird untergraben oder geleugnet. Dahinter steht ein Gaslighter, der zwanghaft recht haben muss. Aus solch einem Gespräch nehmen Sie keinen positiven Impuls mit, sondern den unterschwelligen Vorwurf »Ich hab recht und du nicht!«. Und dann geben Sie mal wieder nach, ohne genau zu wissen, warum. Oder Sie bekommen, was Sie wollen, sind aber nicht zufrieden. Sie sind sich zwar nicht sicher, worüber Sie sich beschweren sollten, merken aber, dass etwas nicht stimmt. Wie Sondra fühlen Sie sich erstarrt, ohnmächtig und unglücklich. Und das »Warum« nicht zu kennen deprimiert Sie noch mehr.

      Die Erklärung ist ganz einfach. Der Gaslighter ist vollauf damit beschäftigt, seine rechthaberische Sicht zu verteidigen. Er muss hier und da nett sein. Aber nicht, weil er Sie mag. Er versucht nur verzweifelt, sich zu beweisen, was für ein guter Kerl er ist – ein »Good Guy«. Deshalb fühlen Sie sich einsam, ohne zu wissen, warum. Aber Sie wollen unbedingt eine gute Meinung von ihm haben, und er soll eine gute Meinung von Ihnen haben. Also ignorieren Sie Ihren Frust. Vielleicht machen Sie es sogar wie Sondra: Wer »erstarrt« ist, fühlt nichts.

      SIND SIE AN EINEN GOOD-GUY-GASLIGHTER GERATEN?

       Arbeitet er zielstrebig daran, Ihnen und anderen gefällig zu sein?

       Bietet er Hilfe, Unterstützung oder Kompromisse an, die bei Ihnen irgendwie Frust oder eine vage Unzufriedenheit auslösen?

       Ist er bereit, mit Ihnen Absprachen zu Haushalt, Freizeit und Arbeit zu treffen, und doch haben Sie das Gefühl, nie wirklich »gehört« zu werden (obwohl Sie vermutlich bekommen haben, worum Sie baten?).

       Haben Sie das Gefühl, nie ganz das zu bekommen, was Sie wollen, ohne genau benennen zu können, worüber Sie sich eigentlich beschweren müssten?

       Würden Sie Ihre Partnerschaft als richtig gut beschreiben und sich doch im Allgemeinen irgendwie matt, teilnahmslos oder entmutigt finden?

       Fragt er Sie, wie Ihr Tag war, hört Ihnen aufmerksam zu und klingt mitfühlend, und Sie fühlen sich nach den meisten dieser Gespräche trotzdem vage schlechter als vorher?

       3. Der »Tyrannisator«: Zuständig für Schikanen, Schuldgefühle und Liebesentzug

      Verbirgt sich das Gaslighting hinter viel Glamour oder vorgetäuschter Gutmütigkeit, ist es oft schwer zu erkennen. Denn ein Großteil des zugehörigen Verhaltens wäre unter anderen Umständen ja sehr willkommen. Eine andere Art des Gaslightings ist jedoch eindeutig problematisch: Brüllen, Sticheleien, Ausgrenzung, Mobbing und jede Art von Bestrafung und/oder Einschüchterung. Es mag alle möglichen Gründe geben, ein solch unerfreuliches Verhalten hinzunehmen – Sie halten diesen Mann für Ihren Seelenverwandten, Sie denken, er sei Ihren Kindern ein guter Vater, Sie glauben, seine Kritik an Ihnen sei berechtigt. Aber eigentlich wissen Sie auch, dass Sie so nicht behandelt werden wollen.

      Manchmal alterniert dieses problematische Verhalten mit der Glamour-Version oder dem Good Guy. Oder aber es ist so dominant, dass man diese Art Gaslighter als »Tyrannisator« bezeichnen kann. Melanies Mann Jordan ist zum Beispiel ein klassischer Vertreter dieses Typs. Als Melanie den Wildlachs für das Abendessen nicht finden konnte, schrie er sie an und drangsalierte sie mit zahllosen Fragen, auf die sie keine Antwort hatte. Dann sprach er stundenlang kein Wort mit ihr. So reagierte er immer, wenn ihm etwas an ihr nicht gefiel, und inzwischen zermürbten diese Attacken Melanie. Sie versuchte schon lange nicht mehr, sich zu rechtfertigen, wohl aber, seine Liebe zu gewinnen. Sie dachte immer noch, dass Jordans Anerkennung beweisen würde, was für eine starke, kluge, kompetente Frau sie doch war. Diese Frau verdiente ein gutes und schönes Leben. Jordans Zurückweisung dagegen war der ultimative Beweis, dass sie wertlos war.

      Haben auch Sie es mit einem Gaslighter vom Typ Tyrannisator zu tun? Sehen Sie selbst, ob Ihnen folgende Situationen bekannt vorkommen.

      SIND SIE AN EINEN TYRANNISATOR GERATEN?

       Demütigt er Sie oder behandelt Sie verächtlich, sowohl vor anderen als auch unter vier Augen?

       Nutzt er Schweigen als Waffe, um sich durchzusetzen oder Sie zu bestrafen, wenn ihm etwas missfällt?

       Kriegt er regelmäßig oder gelegentlich Wutanfälle?

       Haben Sie in seiner Gegenwart oder bei dem Gedanken an ihn Angst?

       Haben Sie das Gefühl, er verhöhnt Sie, entweder offen oder mit einem nachgeschobenen »war nur Spaß« oder »kleiner Scherz«?

       Droht er offen damit, Sie zu verlassen, wenn ihm etwas an Ihnen missfällt? Oder deutet er an, dass er Sie verlassen könnte?

       Weckt er regelmäßig oder gelegentlich Ihre schlimmsten Ängste in Bezug auf sich selbst? Nach dem Motto »Jetzt geht das wieder los – dass du immer so fordernd sein musst!« oder »Siehst du – du bist genau wie deine Mutter!«.

      An einen Tyrannisator zu geraten kann, gelinde gesagt, eine Herausforderung sein. Damit Ihre Partnerschaft besser wird, müssen Sie beide an zweierlei arbeiten: dem Gaslighting und den Einschüchterungen, die auch ohne das Gaslighting unerfreulich genug sind. Der Tyrannisator müsste seine Einstellung zu Beziehungen ändern – und Sie müssten an Ihrer Fähigkeit arbeiten, seinen Drohungen zu widerstehen. Denn es geht darum, nicht immer gleich nachzugeben, um dem Unerfreulichen aus dem Weg zu gehen.

      Warum ist das Gaslighting so weitverbreitet? Warum stecken so viele kluge, starke Frauen in lähmenden Beziehungen fest, im Vergleich zu denen Ehen aus Fernsehserien der Fünfziger geradezu fortschrittlich wirken? Warum kämpfen so viele Männer und Frauen damit, sich von eindeutig manipulativen und oft auch grausamen Arbeitgebern, Familienmitgliedern, Ehepartnern und Freundschaften zu lösen? Warum ist es so schwer geworden, die Wahrheit über diese Beziehungen zu erkennen?

      Ich glaube, es gibt drei Hauptgründe für grassierendes Gaslighting. Es handelt sich um eine Reihe wichtiger Erkenntnisse, die unsere Kultur betreffen und über unsere persönlichen Gründe hinausreichen, aus denen wir in Gaslighting-Beziehungen ausharren.

       Der tief greifende Wandel in der Rolle der Frau – und die Gegenreaktion darauf

      Beim Betrachten der Beziehungen zwischen Männern und Frauen – sowohl romantischer als auch beruflicher Natur – darf man nicht vergessen, dass sich die Rolle der Frau rasch und unversehens gewandelt hat. Das letzte Mal hat sich die Rolle der Frau drastisch im Zweiten Weltkrieg verändert, als viele Frauen plötzlich zu Arbeitskräften wurden, um die Stellen der Männer zu besetzen, die zum Kriegsdienst eingezogen wurden. Die Antwort Hollywoods auf die neue wirtschaftliche Macht der Frauen bestand in der Produktion diverser »Gaslight«-Filme, zu denen eben auch der Film mit diesem Originaltitel zählt, mit Ingrid Bergman und Charles Boyer in den Hauptrollen. Da schaffen es dann kraftstrotzende Charmebolzen, starken, aber verletzlichen Frauen die eigene Perspektive auszureden. Diese Art Beziehung schien die abrupten Veränderungen in den Erwartungen und Erfahrungen beider Geschlechter widerzuspiegeln. In den Vierzigern genauso wie heute hatten Frauen plötzlich privat und beruflich eine neue Unabhängigkeit – ein Rollenwandel, den sie genau wie die Männer bedrohlich finden mochten. Trotz der neuen Freiheit zu arbeiten, ins Büro zu gehen und ganz allgemein am öffentlichen Leben teilzuhaben, wünschten viele Frauen sich bis zu einem gewissen Punkt eine traditionelle Partnerschaft – einen starken Mann, der ihnen Halt und Orientierung bot. Und viele Männer fühlten sich latent bedroht von den neuen Forderungen der Frauen nach Gleichberechtigung in Partnerschaft und Beruf.

      Darauf reagierten manche Männer meiner Meinung nach mit dem Versuch, eben die starken, klugen Frauen zu kontrollieren, zu denen sie sich hingezogen fühlten. Und manche Frauen reagierten mit einer gezielten »Umprogrammierung« ihrer selbst. Sie suchten die starke Schulter nicht nur in emotionaler Hinsicht, sondern auch als Hilfe zur Selbstwahrnehmung – »wo ist mein Platz auf dieser Welt?« So entstand eine komplette Generation Gaslighter auf der einen, Gaslighting-Opfer auf der anderen Seite.

      Paradoxerweise hat auch die Frauenbewegung, die mehr Freiheiten brachte, den Druck auf viele von uns erhöht, stark, erfolgreich und unabhängig zu sein – die Art Frau also, die theoretisch gegen jede Form