begegnet, und gewiss hat er noch nicht von diesem neuen Programm gehört. Die Patienten und ich müssen ein seltsames Bild abgeben, wie wir da ohne Schuhe und Strümpfe in Sweatshirts und Trainingshosen im Konferenzraum auf dem Boden liegen.
Mir gegenüber stand damals einer der einflussreichsten Männer des Medical Center, der ein sehr wichtiges Treffen zu leiten hatte,* und die Zeit strich dahin, während er sich einer völlig unerwarteten und, von außen betrachtet, äußerst bizarren Zusammenkunft gegenübersah, die noch dazu von jemandem geleitet wurde, der im Medical Center so gut wie nichts zu sagen hatte.
Er sah sich nochmals um und betrachtete die am Boden liegenden Gestalten, von denen sich einige inzwischen auf die Ellenbogen aufgestützt hatten, um zu sehen, was da los war. Dann stellte er eine Frage: „Sind das unsere Patienten?“, während er den Blick weiter schweifen ließ.
„Ja“, antwortete ich, „das sind unsere Patienten.“
„Dann werden wir einen anderen Raum finden und unser Treffen dort abhalten“, sagte er, drehte sich um und führte seine Gruppe wieder hinaus.
Ich bedankte mich bei ihm, schloss die Tür hinter der Ärztegruppe und legte mich wieder auf den Boden, um mit der Übung fortzufahren.
Das war meine erste Begegnung mit Brownie Wheeler. In jenem Moment wusste ich, dass mir die Arbeit in diesem Medical Center gefallen würde.
Jahre später, nachdem Brownie und ich Freunde geworden waren, erinnerte ich ihn an diese Episode und erzählte ihm, wie beeindruckt ich damals von seinem unbedingten Respekt für die Patienten des Krankenhauses gewesen war. Es war typisch für ihn, dass er das für selbstverständlich hielt. Es war für ihn ein unverbrüchliches Prinzip, dass die Patienten immer an erster Stelle kamen, ganz gleich, worum es ging.
Inzwischen wusste ich, dass er selbst Meditation praktizierte und sich der Verbindung von Körper und Geist und des sich daraus ergebenden Potenzials für eine neue Art von Medizin wohl bewusst war. Mehr als zwei Jahrzehnte lang war er ein großer Befürworter der Stress Reduction Clinic. Nachdem er sich dann aus der Position des Chefarztes der Chirurgie zurückgezogen hatte, leitete er eine Bewegung, die sich dafür einsetzt, dass Menschen in Frieden und Würde sterben können. Wenige Jahre später erlag er seiner Parkinson-Erkrankung. Auf Bitte seiner Tochter sprachen wir uns, einige Tage bevor er starb, noch einmal am Telefon, wobei ich das Sprechen für uns beide übernahm.
Dass er an jenem Nachmittag in der Glanzzeit seiner beruflichen Laufbahn und seines Einflusses am Medical Center seine Macht und Autorität nicht dazu benutzt hatte, um die Situation zu seinen Gunsten zu beeinflussen, gab mir das Gefühl, gerade etwas erlebt zu haben, was man in unserer Gesellschaft leider nur allzu selten antrifft: Weisheit und Mitgefühl in Aktion. Der Respekt, den er den Patienten in diesem Moment erwies, gehörte zu den Dingen, die wir an jenem Nachmittag gerade in uns selbst zu finden versuchten: Es ging um ein tiefes und nichturteilendes Annehmen unserer selbst und um die Entwicklung unseres eigenen Potenzials für Heilung und Transformation. Dr. Wheelers großzügige Geste war ein gutes Omen dafür, dass an diesem Ort die alten hippokratischen Prinzipien der Medizin,* die in dieser Welt in vieler Hinsicht so bitter nötig sind, nicht bloß ein Lippenbekenntnis waren. Es wurden keine großen Worte gemacht. Und doch blieb nichts ungesagt.
* Erst sehr viel später erfuhr ich, dass dieses Treffen einberufen worden war, um zumindest einige der Spannungen zu beleuchten und hoffentlich zu lösen, die sich zwischen dem relativ neuen Medical Center und den kleineren, örtlichen Krankenhäusern darüber aufgebaut hatten, dass die chirurgische Behandlung an diesen Krankenhäusern reduziert und dafür ein einziges, „integriertes“ Programm der Universität Massachusetts entwickelt werden sollte, was zu einigem Unmut gegenüber der Universität geführt hatte. Für Dr. Wheeler stand bei diesem Treffen also viel auf dem Spiel, und es war ihm wichtig, es in diesem ausgesprochen einladenden und ansprechenden Raum abzuhalten.
* Der Hippokratische Eid gilt als erste grundlegende Formulierung einer ärztlichen Ethik (Anm. d. Übers.).
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