Paul Rosenkranz

Luzern entdecken


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auch über den toskanischen Säulengängen der Gräberhallen bei der Hofkirche (um 1640).

      Keine Stilrichtung aber hat Luzern derart geprägt wie der Barock. Seine sinnenhafte und von Erzählfreude überquellende Welt, aber auch die im Barock sich äussernde Verbundenheit von Volk und Kirche entsprachen dem Luzerner Kunstgemüt ganz besonders. Der Barock hat nicht nur in der Stadt selbst bedeutende Akzente wie die Jesuitenkirche oder am Musegghang das formidable Kornmagazin (1685, Nr. 37) geschaffen, sondern namentlich auch auf dem Land eine grosse Zahl reizvoller Juwelen hinterlassen, darunter Klosteranlagen wie Werthenstein, Beromünster und St. Urban, Wallfahrtskirchen wie Blatten und Hergiswald sowie Landkirchen wie in Ettiswil, Hochdorf oder Ruswil mit seiner wohl schönsten Dorfkirche im ganzen Kanton. In der Stadt trägt zudem manches Patrizierhaus, etwa die beiden Sonnenberghäuser links und rechts der Reuss, barocke Züge, in die sich mehr und mehr auch anmutig-heitere Züge des Rokoko mischen. Erst recht gilt dies für manchen Herrensitz, den sich vornehme Familien an schöner Lage draussen vor den Stadttoren errichteten, etwa für den Landsitz Himmelrich von 1772 (Nr. 97) an der Obergrundstrasse, den ehemaligen Jesuitenhof Seeburg von 1729 oder den Landsitz Tribschen (um 1800), das heutige Richard-Wagner-Museum (Nr. 80). Mit den Familien Singer und Purtschert entstanden Baumeisterdynastien, die den spätbarocken Stil von 1750 bis weit ins 19. Jahrhundert und in über fünfzig Landkirchen fortsetzten.

       Nun von der Pädagogischen Hochschule genutzt, diente das mächtige Museggmagazin von 1686 (Nr. 37) fürs Korn- und Salzlagern. Zuletzt war es Zeughaus.

      Im 19. Jahrhundert stellten sich der Architektur mit dem Bau öffentlicher Gebäude für Bahn, Post, Verwaltung und Schule, aber auch mit Fabriken, Geschäftshäusern, neuen Wohnvierteln und in Luzern namentlich mit Hotelbauten ganz neue Aufgaben. Zur Anwendung kamen von etwa 1770 bis Anfang des 20. Jahrhunderts, der Zeit von Klassizismus, Neurenaissance, Neugotik und Neubarock, vor allem historische Formen. Es lohnt sich, einmal aufmerksam durch damals neu entstandene Viertel wie Hirschmatt (S. 168 ff.) oder Bruchmatt und Säli zu schlendern, an deren Mehrfamilien- und Geschäftshäusern man die ganze Stilgeschichte Europas ablesen kann. Auch finden sich da und dort interessante Einflüsse des Jugendstils aus der Zeit zwischen 1890 und 1914. Im Hotelbau ging es oft darum, höfisch-adligen Prunk für die bürgerlichen Gäste zu demokratisieren. So erstaunt es nicht, dass bei den in nur sechzig Jahren zwischen 1845 und etwa 1905 entstandenen Monumentalbauten der Hotels Schweizerhof (Nr. 57), National (Nr. 62), Kursaal (Nr. 64) und Palace (Nr. 65) die repräsentativen Formen von Neurenaissance und Neubarock dominieren. Das 1884 über der Stadt errichtete Hotel Gütsch (Nr. 114) nannte ein Kenner einmal «halb Gralsburg, halb Hochzeitstorte».

      Das 20. Jahrhundert wandte sich mit neuen Baumaterialien wie Beton, Stahl, Glas und Kunststoffen von den historischen Formen entschieden ab und einer funktionalen oder oft einfach auch nur einer ökonomisch zweckmässigen Bauweise zu. Luzern weist aus dieser Zeit zahlreiche interessante Werke von einheimischen wie auch international tätigen Architekten auf. Zu den bedeutendsten Werken dürften bei den Sakralbauten die 1933/34 entstandene Kirche St. Karl (Nr. 115) und die St. Johannes-Kirche (Nr. 69) im Würzenbach von 1970 zählen, bei den Wohnbauten das Hochhaus Alvar Aaltos (Nr. 85) im Schönbühl, und bei den öffentlichen Bauten das im Jahr 2000 eingeweihte Kultur- und Kongresszentrum (Nr. 76) des französischen Architekten Jean Nouvel, das sein Schöpfer selbst von seiner Ausstrahlung her mit einer mittelalterlichen Kathedrale verglich.

       Grosser Speisesaal des Architekten Leonhard Zeugheer (1865) im Hotel Schweizerhof (Nr. 57) – höfischer Prunk für bürgerliche Reisende demokratisiert.

       Kleine Luzerner Geografie

      Der Siedlungsraum der späteren Stadt war durch die Natur weitgehend vorgegeben, nämlich durch das flache Felsplateau, das sich am rechten Ufer der Reuss unweit der Stelle erhebt, wo sie den See verlässt, sowie ihm gegenüber am linken Ufer durch das flache Schwemmland des Krienbachs. Während dieses aber nur wenig über dem Flussniveau liegt, steigt die Felsplatte rechts einige Meter über das Flussufer an, bevor sie sich wieder zu einer Art Rinne – heute Löwengraben und Grabenstrasse – senkt. Von dort geht es bergan zum Höhenzug der Musegg, der knapp vierzig Meter höher liegt als das Flussufer. Den ältesten Siedlungskern bildete jedoch das Kloster im Hof etwa 450 Meter östlich dieser Felsplatte. Da das Seeniveau bis ins 16. Jahrhundert – vermutlich wegen der Mühlen- und Brückenbauten in der Reuss – um ein bis zwei Meter anstieg, ergab sich durch den vorrückenden See eine deutlichere Trennung des Klosters von der neu entstehenden Stadt. Andererseits wurde das erwähnte Felsplateau dadurch erst recht zum idealen Siedlungsraum, da es nun auf drei Seiten von Wasser umgeben war. Der Fluss verengt sich von seinem heutigen Seeaustritt bei der Seebrücke bis zur Stelle des ältesten Übergangs bei der Reussbrücke von rund 165 auf etwa 50 Meter. Er teilt Luzern in die Grossstadt auf dem rechten und die Kleinstadt auf dem linken Ufer, oder in «meren stat» und «minre stat», wie es im Mittelalter hiess.

      Die Hauser im Zöpfli (Nr. 28) aus dem 17. und 18. Jahrhundert am nördlichen Brückenkopf der Reussbrücke stehen zum Teil auf Mauern und Säulen direkt über dem Wasser.

      Ein älterer oder innerer Befestigungsring, der vermutlich zwischen etwa 1230 und 1280 errichtet wurde, bestand auf beiden Seiten der Reuss aus kompakten Häuserzeilen. Er folgte in der Grossstadt auf einer Länge von rund 550 Metern der bereits erwähnten Rinne vom heutigen Mühlenplatz (Nr. 11) bis zum Hoftor am Kapellplatz. Dieser Ring zählte acht Türme oder Tore, von denen heute nur noch das Mühlentor (Nr. 34) steht. Sowohl in der Kleinstadt wie in der Grossstadt waren auch die Gassen und Treppen, die zur Reuss führten, mit Toren geschlossen. Der Graben vor dem Mauerring war mit Wasser gefüllt, und der Grendel vom Seeufer bis zum inneren Weggistor bildete eine Art schmalen Seearm. Über dem seichten Uferwasser stellte die Hofbrücke die Verbindung vom Hof in die Grossstadt her.

      Nach der Schlacht bei Sempach (1386) machte sich die Stadt Luzern in einem ausserordentlichen Kraftakt an den Bau des äusseren Befestigungsrings. Dazu zählte im Norden auf einer Länge von über 900 Metern die Museggmauer (Nr. 38) mit ihren zehn Türmen, von denen sich zwei – Schirmerturm und Äusserer Weggisturm – über Toren erhoben; der Äussere Weggisturm wurde als einziger von diesen zehn im 19. Jahrhundert wieder abgetragen. Am linken Reussufer entstanden die heute verschwundene Sentimauer und die Litzimauer, während die Stadt wasserseits durch Wasserturm und Kapellbrücke (Nr. 23 u. 22) und reussabwärts durch die Spreuerbrücke (Nr. 32) gesichert wurde. Der äussere Ring machte nun den inneren weitgehend überflüssig. Die Tore zur Reuss hin verschwanden, während der Löwengraben zwischen 1520 und 1580 zugeschüttet wurde. Sein Name erinnert daran, dass jene, die bei dieser Arbeit den Frondienst nicht leisteten, einen «Löwenplappart», eine Entschädigung in Form einer Geldabgabe, zu bezahlen hatten.

       Der Wasserarm am Grendel mit dem Lederturm aus der Serie der Bilder von Alt-Luzern von 1897 von Xaver Schwegler (1832–1902).

      Das alte Strassennetz war geprägt durch drei hauptsächlich in ostwestlicher Richtung verlaufende Längsachsen. Von den beiden Achsen auf der Grossstadtseite verband die nördliche den Hof über die heutige Hertensteinstrasse, Weggis- und Rössligasse mit den Mühlen, während die südliche von der Reussbrücke über Kramgasse, Weinmarkt und Kapellgasse zum Hoftor führte. Mit der Verlegung von Hafen und Gotthardverkehr ab 1545 auf die Grossstadtseite zwängte sich der ganze internationale Transitverkehr mit all seinen Saumpferden und Karren durch diese engen Gassen, und dann über die Reussbrücke und durch die Pfistergasse zum Basler- oder Niedertor. Hier wie auch am «Platz»